Mehr als 30 Jahre war Rainer Wulff Stadionsprecher beim FC St. Pauli. Sein Vermächtnis: eine Liste mit erstaunlichen Aussprachetipps für Spielernamen.
Die folgende Reportage erschien erstmals in unserem Bundesliga-Sonderheft 2015 (hier geht’s zum Heft), 2017 wurde Wulff nach 31 Jahren als Stadionsprecher verabschiedet. Zum Tag der Zungenbrecher gibt es hier die Reportage über ihn und seine fabelhafte Liste.
Der Lohn harter Arbeit schlägt Rainer Wulff von den Rängen entgegen, ein Mix aus Spott und Unverständnis. Der großgewachsene Hamburger steht im Mittelkreis des Millerntorstadions, in der Rechten ein Mikro, in der Linken ein Blatt Papier. Darauf: 42 Namen. Wulff ist Stadionsprecher beim FC St. Pauli, seit drei Jahrzehnten. Heute ist Pokal, BVB, ein kühler Oktoberabend, 2014.
Kurz vor Anpfiff verliest Wulff seinen Zettel: 22 Start- und 14 Ersatzspieler, vier Schiedsrichter, zwei Trainer. Zunächst die Gäste. „Mit der Nummer 4 – Newen Subotitsch“, hallt es über die Lautsprecher, und dann: „Mit der Nummer 10 – Genrich Michiterjan“. Vereinzeltes Gelächter auf den Tribünen, andere schütteln den Kopf. Genrich? Michi-wer?
„Manchmal bekomme ich eben negative Rückmeldung“, erinnert sich Wulff knapp zwei Jahre später an den Abend, an dem ihm die Vorstellung des Armeniers Henrikh Mkhitaryan scheinbar misslang. „Das sind Leute, die meinen, ich läge falsch, weil sie einen Namen zuvor nie so gehört haben, wie ich ihn ausspreche. Henrikh Mkhitaryan ist das beste Beispiel.“ Und Wulff sagt wieder: Genrich Michiterjan. Der Vorname mit G. Der Nachname auf der letzten Silbe betont; Wulff nickt, wenn er sie erreicht.
800 Namen in der Datenbank
„Henrikh = Genrich (G, nicht H!) Michiterjan (ch wie in Kachel)“. So steht es in Wulffs Datenbank. „Ausspracheliste zu Spielernamen“ hat er sie genannt, über 800 Personen trägt sie. Kämen alle Kicker aus dieser Aufzählung zusammen, könnte sie der EU-Parlamentssaal wegen Platzmangels nicht beherbergen.
Jeden Erst- oder Zweitligaspieler seit Beginn der Rückrunde 2014/15 führt Wulff auf, sofern er einen ausländischen Namen trägt. Die Sammlung reicht von Moa Abdellaoue (Abdell-laueh) bis Robert Zulj (Zuul mit Z wie J in Journal). Sie beinhaltet serbisch-kyrillische Schriftzeichen (Никола Ђурђић – der Ex-Fürther Nikola Djurdjic) und französische Nasalvokale (das erste A im Nachnamen von Younès Belhanda). Führt Stürmer aus Ugbokolo, Nigeria, und Aufsteiger aus Espoo, Finnland. Wulff hat sie alle – und ihre vermeintlich richtige Aussprache.