Sir Alex Ferguson wird heute 80 Jahre alt. Sein Biograf Patrick Barclay porträtiert den grimmigen Schotten mit der unerbittlichen Persönlichkeit und zeichnet seinen Weg an die Spitze des europäischen Fußballs nach.
Dieser Text erschien erstmals in 11FREUNDE #123 anlässlich des 70. Geburtstag von Sir Alex Ferguson. Die Ausgabe ist hier im Shop erhältlich.
Die entscheidenden drei Minuten seiner Karriere erlebte Alex Ferguson an einem späten Abend im Mai in Barcelona, als die unbegreifliche Schlussphase des Champions-League-Finals zwischen Bayern München und Manchester United nicht nur die Anhänger beider Mannschaften, sondern auch Ferguson selbst beinahe sprachlos machte. Als ein Fernsehreporter ihn im Augenblick des Triumphs zu fassen bekam, sagte der Trainer jenen Satz, der zu seinem berühmtesten werden sollte: „Football“, sinnierte er, „bloody hell!“ Fußball, verdammte Hölle!
Die Anzeigetagel zeigte: noch drei Minuten
Aus Bayern-Sicht war das noch milde ausgedrückt. Der deutsche Meister war durch ein Freistoßtor von Mario Basler früh in Führung gegangen, und bis Mitte der zweiten Halbzeit sah es nie danach aus, als sollte sich das Blatt noch wenden. Mit dem Schachzug, Mehmet Scholl im Mittelfeld neben Stefan Effenberg aufzubieten, schien Ottmar Hitzfeld seinen englischen Widersacher ausgetrickst zu haben. Scholl scheiterte einmal am Pfosten, Carsten Jancker an der Latte und ihre Kollegen gleich mehrfach an Manchesters dänischem Keeper Peter Schmeichel, der fast im Alleingang dafür sorgte, dass seine Mannschaft nach 90 Minuten mit nur einem Tor zurücklag.
Auf der Anzeigetafel, die der vierte Offizielle hochhielt, leuchtete eine „3“ auf. In der ersten dieser drei Minuten sprintete Schmeichel bei einer Ecke über das gesamte Feld und sorgte für Verwirrung im gegnerischen Strafraum, was der eingewechselte Teddy Sheringham zum Ausgleich nutzte. Angesichts der Reaktion der 50 000 United-Fans hätte man meinen können, Fergusons Team hätte soeben das Spiel gewonnen. Aber auch die Bayern schienen das Unheil bereits zu ahnen. Kaum hatten sie sich aus ihrer Schockstarre gelöst, zappelte der Ball erneut hinter Oliver Kahn im Netz, diesmal hineingestochert von Fergusons zweitem Joker, Ole Gunnar Solskjær.
Noch nie hatte ein Finale eine so dramatische Wendung genommen. United-Verteidiger Gary Neville bezeichnete die Schlussphase anschließend als „übernatürlich“, und niemand mochte ihm widersprechen. Als Ferguson das Spiel später analysierte, hatte er indes eine weitaus nüchternere Erklärung parat: Hitzfeld hätte keineswegs die bessere Taktik gewählt und das Pech gehabt, dass sich Fergusons panische Auswechslungen bezahlt machten. Vielmehr hätten die Bayern nach der Herausnahme von Lothar Matthäus buchstäblich ihren Kopf und dadurch Organisation und Übersicht bei der folgenschweren Ecke in der Nachspielzeit verloren.
„Macht und Kontrolle“
Genie wird bisweilen als die unbegrenzte Bereitschaft definiert, alle Mühen auf sich zu nehmen, und Fergusons Detailversessenheit ist wirklich legendär. Seit seiner Zeit als Spieler beim schottischen Klub Dunfermline Athletic, der in den Sechzigern beachtliche Erfolge auf europäischer Bühne feierte, beschäftigt Ferguson sich mit sämtlichen Aspekten des Fußballs und bedient sich seines außerordentlichen, Freunden zufolge „fotografischen“ Gedächtnisses, um Informationen über Spieler, Systeme und dergleichen zu speichern. Doch hinter seinen Erfolgen steckt noch mehr. Seine grimmige Entschlossenheit geht mit einer Persönlichkeit einher, die als die unerbittlichste im britischen Fußball gilt – was er selbst keineswegs leugnet. Im Gegenteil nennt er „Macht und Kontrolle“ als seine wichtigsten Werkzeuge. Und auch mit 70 Jahren macht er keineswegs den Eindruck, altersmilde zu werden.
Es sind die immer neuen Herausforderungen seines Jobs, die Ferguson nach wie vor antreiben. Schon vor der Niederlage im letztjährigen Champions-League-Finale gegen den FC Barcelona – eine Vorführung, die so manchen altgedienten Trainer dazu gebracht hätte, sich zur Ruhe zu setzen – plante er, eine neue, junge Mannschaft aufzubauen. Ihr Scheitern in der diesjährigen Gruppenphase wird ihn nur noch mehr motivieren. Und auf einmal lohnt es sich sogar, für den Gewinn der Europa League zu kämpfen.
Ferguson hätte bereits 1999, nach dem bis dahin in England unerreichten Triple aus Champions League, Meisterschaft und Pokal, zurücktreten können. Mit dem fünften Premier-League-Titel und nun dem Europapokal hatte er es damals einem seiner Vorgänger im Old Trafford, dem legendären Matt Busby, gleichgetan und war in die Riege der erfolgreichsten Trainer auf der Insel aufgestiegen. Er hätte sich auf seinen Lorbeeren inklusive Ritterschlag ausruhen können, doch das alles kam für Sir Alex nicht in Frage. Nicht, solange es Herausforderer gab, die Anspruch auf seinen Thron erhoben.