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Serge Racine war mal ein Prinz. Er hatte kein Zepter, er trug Stol­len­schuhe. Sein Reich war der Fuß­ball­platz. Wenn der Prinz ein Restau­rant betrat, machte ihm der Kellner den besten Tisch frei und das Essen ging aufs Haus. In den Bars war der Rum umsonst. Und die Frauen waren ver­rückt nach ihm.

Serge Racine ist inzwi­schen 63, sieht zehn Jahre jünger aus und hat den Habitus einen laus­bu­ben­haften Gen­tleman. Wenn er lacht, dann lacht das ganze Gesicht. Und wenn er seine Geschichte erzählt, dann glimmen die Erin­ne­rungen in seinen Augen nach.

Flucht vor dem Schlächter Papa Doc“

Er war zwölf, als sein Vater sich ent­schloss, aus der Enge der Dik­tatur nach New York zu fliehen. In Racines Hei­mat­land Haiti herrschte Fran­cois Duva­lier, genannt Papa Doc“. Ein bru­taler Schlächter, der mehr als 30.000 seiner Lands­leute ermorden ließ. Gemeinsam mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Ernst tat Serge das, was er schon auf Haiti am besten konnte: Fuß­ball spielen. Serge bekam ein Sport­sti­pen­dium und schaffte es 1972 gar in den ame­ri­ka­ni­schen Olym­pia­kader. Bis ihn sein Bruder davon über­zeugte, für sein Hei­mat­land auf­zu­laufen. Also kehrte der Jüng­ling zurück nach Port-au-Prince, Papa Doc“ war bereits gestorben und durch seinen Sohn Baby Doc“ ersetzt worden. Ein selbst­ge­rechter Playboy, zu dessen Lieb­lings­spiel­zeugen der Fuß­ball gehörte.

Das große Ziel des Dik­ta­toren-Sohnes: Mit seinem Land an der Welt­meis­ter­schaft teil­nehmen. Haiti schaffte tat­säch­lich die Sen­sa­tion und qua­li­fi­zierte sich für die WM 1974 in Deutsch­land. Serge Racine war da längst zum Prinzen von Port-au-Prince geworden. Ich bekam sogar Fan­post von Frauen aus Frank­reich und Ita­lien“, erin­nert er sich, aber ich konnte ja nicht allen ant­worten.“

Die Attrak­tion der WM 1974

1974 wurde der Prinz erstmal ein­ka­ser­niert. Drei Monate lang trai­nierte die Natio­nal­mann­schaft in einer Militär-Aka­demie. Knall­harter Drill, statt Ster­ne­küche aufs Haus. Am Ende waren wir so fit, dass 90 Minuten Fuß­ball eigent­lich viel zu wenig waren“, sagt er. Kurz vor der WM flog die Aus­wahl nach Mün­chen und quar­tierte sich in der Sport­schule Grün­wald ein. Die Exoten aus der Karibik waren eine Attrak­tion. Die Spieler posierten für die ver­zückte Presse in Leder­hosen, nachts machte der Trai­ner­stab auf der Suche nach dem nächsten Maß­krug die Stadt unsi­cher.

Sport­lich gab es für den Underdog nichts zu holen. Beim 1:4 gegen Argen­ti­nien stand Racine in der Startelf, beim 0:7 gegen Polen wurde er zur Halb­zeit ein­ge­wech­selt. Kurz vor dem 1:3 gegen Ita­lien ver­letzte er sich und konnte nur zuschauen, wie sein Mit­spieler Emma­nuel Sanon Tor­wart­le­gende Dino Zoff nach 1143 Minuten ohne Gegentor mal wieder einn ein­schenkte Die WM war vorbei, Haiti flog nach Hause. Serge Racine blieb. Er hatte sich in die deut­sche Jour­na­listin Karin ver­knallt, also zog er bei ihr ein. Doch die Liaison hielt nicht lange. Der Prinz suchte nach neuen Aben­teuern.

Der Exot als Teil des Ber­liner Jet­sset

1975 flog er nach Port-au-Prince. Am Flug­hafen stürzte eine dun­kel­haa­rige Weiße auf ihn zu. Ob er ihr helfen könne, ihre ver­loren gegan­gene Schmuck­scha­tulle wie­der­zu­finden? Mit ein wenig Ver­hand­lungs­ge­schick im Fund­büro besorgte der Fuß­baller der schönen Unbe­kannten ihren Schatz wieder. Und von da an“, erin­nert sich Racine lachend, wich sie mir nicht mehr von der Seite.“ Die Frau, so stellte sich heraus, war die Ham­burger Schau­spie­lerin Birke Bruck. 13 Jahre älter, attraktiv, Wel­ten­bumm­lerin – natür­lich war ich gleich wenig ver­liebt“, erin­nert er sich. Gemeinsam zogen sie nach Berlin. Racine war plötz­lich Teil des Ber­liner Jet­sets und quatschte abends am Tresen mit Mario Adorf über Gott und die Welt­meis­ter­schaft.

Heute lebt Racine noch immer in Berlin. Von 1975 bis 1979 spielte er für Wacker 04 Berlin, ein Wechsel zu TeBe schei­terte Ende der Sieb­ziger, also been­dete er seine Kar­riere. Seitdem hält er sich mit Jobs in der Ber­liner Fuß­ball­szene und für die hai­tia­ni­sche Bot­schaft über Wasser. Mit der Schau­spie­lerin ist er bis heute befreundet, ab und an trinken sie einen Kaffee gleich neben seinem Lieb­lings­boule­platz am Paul-Lincke-Ufer.

Das Leben ist ein Aben­teuer, nicht wahr?“

Dort saß er die ver­gan­genen Stunden auf einer Holz­bank und hat seine Geschichte erzählt. Kein Spieler an diesem Vor­mittag, den Racine nicht begrüßt hat, er kommt hier schließ­lich seit 15 Jahren her. Die alten Kum­pels haben Witze über sein unge­wohntes Outfit gerissen: ein schi­ckes Hemd, extra für den Foto­grafen. Zwi­schen­durch hat er ein paar Par­tien gespielt, die ruhige Kugel geschoben. Wie er es trotz der stau­bigen Spiel­ge­räte geschafft hat, dass sein Hemd auch nach drei Stunden noch blü­ten­weiß ist, wird sein Geheimnis bleiben. Das Leben ist ein Aben­teuer, nicht wahr“, sagt Racine und lacht mal wieder. Dann ver­ab­schiedet er sich und spielt noch eine letzte Runde. Der Prinz ist längst zu seinem Volk hin­ab­ge­stiegen. Und es gefällt ihm dort ziem­lich gut.