Einen Tag vor dem Europa-League-Rückspiel gegen Porto trafen sich Frankfurt-Fans im Eintracht-Museum, um über ihre schönsten und skurrilsten Auswärts-Erlebnisse zu reden. Ein anekdotenreicher Abend mit einem Hauch Nostalgie.
Aber was tun, wenn man an der Grenze von Aserbaidschan zu Georgien aus dem Reisebus geworfen wird und der Busfahrer der Gruppe in gebrochenem Englisch mitteilt, man dürfe, warum auch immer, nicht mehr weiter mitfahren? „Europapokal ist auch Abenteuer“, sagt Eintracht-Fan Basti und in der Tat: An diesem frühen Morgen mitten in der aserbaidschanischen Steinwüste stimmt das. Wie James Bond schleichen sich die etwa zwanzig mitgereisten Eintrachtler durch das bergige Gebiet, auf den Hügelkämmen haben sich die Scharfschützen der Grenzpolizei postiert. Jetzt bloß keine hektischen Bewegungen. Im Entengang geht es einzeln über eine Brücke zur Grenzkontrolle. Skeptische Blicke der Beamten. Warum man denn nur einen Tag in Aserbaidschan gewesen sei? Fußball, klar. Über 3000 Kilometer für ein Spiel, eine Anreise per Zug und Bus, Polen, Georgien, Aserbaidschan und zurück. Eine Woche on the road in osteuropäischen Regionalzügen, Schlafmangel und Rückenschmerzen, da müssen selbst die georgischen Grenzposten den Kopf schütteln.
Der Taxifahrer als Rettung in Baku
Wie sehr man in Frankfurt die andernorts oft belächelte Europa League genießt, sieht man nicht nur an den Heimspiel für Heimspiel beeindruckenden Choreographien oder an der rekordverdächtigen Anzahl an Auswärtsfans. Man sieht es auch daran, dass sich fast 50 Anhänger an einem Mittwoch Abend im Eintracht-Museum versammeln, um ihre schönsten Auswärtsfahrten der laufenden Euro-League-Saison Revue passieren zu lassen. Das klingt mitunter arg nostalgisch, als würden die sechs Herren und Damen dort auf der Bühne über die gute alte Zeit reden, die aber ja eigentlich erst eine Woche zurückliegt. „Aber wer weiß, wann wir das nächste mal die Gelegenheit dazu haben“, sagt Museums-Leiter Matthias Thoma, der den Abend moderiert.
Auch Fan und Fotograf Dominik hat so seine Erfahrungen mit ausländischen Beamten gemacht. Als er am Bahnhof in Baku Fotos schießt, wird er von der Polizei abgeführt. Sie führen ihn durch Katakomben, die aussehen „wie ein Folterkeller“, der Chef will wissen, was und warum er fotografiert. Dominik ist mulmig zumute, was heißt noch gleich „Auswärtsfahrt“ auf Aserbaidschanisch? Und wie sieht wohl so ein Knast in Baku von innen aus? Ein alter Mann, der zufällig auf der Behörde ist, springt ein. Er ist 28 Jahre im Berliner Wedding Taxi gefahren und spricht fließend Deutsch. Fußball, lässt Dominik übersetzen. Achso, jaja. Die Welt ist eben doch ein Dorf. Die unheimliche Begegnung mit den aserbaidschanischen Behörden hält den Fotografen aber nicht davon ab, später am Tag ohne Berechtigung in den Innenraum des Stadions zu gehen. Niemand fragt nach einem Presseausweis, aber was sollte der hier auch nützen? Auf der Tartanbahn stehen die Militärs mit rostigen AK47 im Anschlag und freuen sich über das Interesse des Fotografen. Maschinengewehre, ein Lächeln in die Linse. Der ganz normale Auswärtsfahrt-Wahnsinn, zu sehen in der Diashow im Hintergrund. Das Publikum lacht.
Nicht jede Fahrt ist so weit wie jene nach Baku und fast ist das schade. Es geht nach Tel Aviv, das Fanprojekt bietet einen einwöchigen Aufenthalt an, samt Besuch des Holocaust-Mahnmals Yad Vashem in Jerusalem. Politische Bildung als integraler Teil der Auswärtsfahrt, die mehr als 50 Fans, die das Angebot wahrnehmen, sind bewegt. Manchmal ist eine Auswärtsfahrt eben mehr als Dosenbier und Schlachtgesang, und manchmal ist Fußball plötzlich sehr klein.
Manchmal aber auch sehr groß. 12.000 Frankfurter reisen nach Bordeaux, die Stadt versinkt im Orange der Fans, das die Motto-Farbe dieser Fahrt ist. Gernot Rohr, der glücklose Kurzzeit-Manager der Eintracht, soll ein Hotel in der Nähe haben. „Vielleicht dort einchecken und mit ihm über Horst Ehrmantraut reden“, überlegt SGE-Urgestein Beve und man stellt sich lebhaft Rohrs geschocktes Gesicht vor, wenn eine Horde Frankfurt-Fans in sein kleines Hotel an der Küste einfällt.
Werner organisiert Charterflug und Karten – Werner bekommt Sprechchöre
Beve und seine Freunde fahren dann aber lieber doch direkt nach Bordeaux, die Fahrt ist auch ohne Abstecher schon lang genug. Das denkt sich auch Fanclub-Vorsitzender Werner. 18 Stunden im Doppeldecker-Bus nach Bordeaux und dann nochmal 1000 Kilometer weiter nach Porto? Niemals. Aber das Spiel verpassen geht auch nicht und die Nachfrage im Fanclub ist groß. Was läge also näher als ein eigenes Flugzeug zu chartern? Er setzt sich mit einer Fluglinie in Verbindung, die Bestellungen aus dem Fanclub überrollen ihn. Werner legt vor, die Mitreisenden bezahlen per Überweisung, das Handy steht nicht mehr still. Innerhalb einer Stunde sind die 188 Plätze vergeben. „Sind da auch Tickets mit drin?“ – „Natürlich, klar“. „Werner, hast du auch Tickets?“ – „Sicher, sicher“. Zu diesem Zeitpunkt ist das nur die halbe Wahrheit, der Airbus aber ist schon ausgebucht. Der gute Draht zu Eintracht-Vorstand Axel Hellmann, mit dem er am Telefon die AGBs der Fluggesellschaft durchgeht, sorgt dafür, dass alles glattgeht. Am Flughafen berichtet der „hr“, die Reisegruppe feiert Werner mit Sprechchören. Mit dem eigenen Airbus zum Auswärtsspiel – warum eigentlich nicht?
Aber ein zukunftsträchtiges Modell für Auswärtsfahrten ist es dann wahrscheinlich doch nicht. Und geht gegen Porto alles gut, steht ja mindestens eine Reise noch an. „Wenn wir eine Runde weiterkommen,“, fragt Thoma abschließend, „dann lieber Swansea oder Neapel?“ „Eigentlich egal“, ist der Tenor. Hauptsache überhaupt weiterkommen, damit man wieder gemeinsam verreisen kann. Außerdem seien ja beides schöne Reiseziele. In der Tat. Und auch Scharfschützen soll es in beiden Städten nur recht wenige geben.