Rechte Fans beim Chemnitzer FC
Pogromstimmung in Karl-Marx-Stadt
Rechtsradikale marschieren in Chemnitz auf und machen Jagd auf Migranten und Migrantinnen. Die Drahtzieher sind Anhänger des Chemnitzer FC. Deren Geschichte reicht weit zurück.
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Chemnitz am 26. August 2018. Die Sonne scheint an diesem Sonntagnachmittag, als ein rechter Mob von bis zu 1000 Menschen durch die Chemnitzer Innenstadt zieht, »Wir sind das Volk!« und »Das ist unsere Stadt!« skandiert. Der Aufzug bepöbelt alle, die nicht weiß sind, liefert sich Schlägereien mit der Polizei. Manche von ihnen spalten sich von der Masse ab und machen regelrecht Jagd auf migrantisch aussehende Menschen. Die eingesetzten Beamten und Beamtinnen sind überfordert und zahlenmäßig klar unterlegen, nur etwa 50 sind zu Beginn vor Ort, die Gewalttäter können weitestgehend unkontrolliert und beliebig agieren.
Eigentlich sollte ja in Chemnitz Feierstimmung sein, von Freitag bis Sonntag war ein Stadtfest angesetzt. Doch nach einer tödlichen Auseinandersetzung in der Nacht von Samstag auf Sonntag werden die Feierlichkeiten am Sonntag vorzeitig um 16.00 Uhr beendet, aus Sicherheitsgründen. Und aus Feier- wird Pogromstimmung.
CFC-Hooligans wollen zeigen, wer in der Stadt das Sagen hat
Was war passiert? Klar ist bislang nur, dass es in der Nacht auf dem Stadtfest eine tödliche Auseinandersetzung unter Einsatz von Messern gab. Dabei kam ein 35-jähriger Deutscher ums Leben, beteiligt waren »mehrere Personen unterschiedlicher Nationalitäten«, wie Staatsanwaltschaft und Polizeidirektion Chemnitz mitteilten. Drei Männer wurden verletzt, der 35-jährige erlag seinen Verletzungen. Wie es zu dem Disput kam und was genau vorgefallen ist, müsse noch ermittelt werden.
Für viele schien die Lage dennoch bereits klar. Ein toter Deutscher, ein nichtdeutscher Täter. Dementsprechend veranstaltete die AfD eine spontane Kundgebung und Mahnwache am Tatort, etwa 100 Menschen folgten dem Aufruf. Aber auch eindeutig rechte Akteure wurden aktiv, zum Beispiel die Fangruppe »Kaotic Chemnitz« des Chemnitzer FC.
Unter dem Motto »Unsere Stadt – Unsere Regeln« forderte die 2012 aus dem Heimstadion verbannte Hooligan/Ultra-Gruppierung in einem mittlerweile gelöschten Post auf ihrer Facebook-Seite »alle Chemnitz Fans und Sympathisanten« auf, sich zu versammeln und um 16.30 Uhr gemeinsam zu zeigen »wer in der Stadt das Sagen hat«. Zwischen 800 und 1000 Menschen kamen daraufhin am zentral gelegenen Karl-Marx-Monument in der Chemnitzer Innenstadt zusammen. Darunter war eine Vielzahl von Anhängern des CFC, sowohl Hooligans als auch Ultras. »Die Personengruppe reagierte nicht auf die Ansprache durch die Polizei und zeigte keine Kooperationsbereitschaft«, teilte die Polizei mit. Und die Jagd begann. - In Chemnitz haben Neonazis Tradition
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Die Szenen von gewaltsuchenden rechten Fußballfans, die entfesselt und unkontrolliert durch die Stadt zogen, erinnerten teilweise an den Aufmarsch von »HoGeSa« (Hooligans Gegen Salafisten) im Oktober 2014 in Köln, bei dem sich die zwischen 3.000 und 5.000 anwesenden Hooligans wilde Straßenschlachten mit der Polizei lieferten, Hitlergrüße zeigten und Gegendemonstranten angriffen.
Dass auch bei den jetzigen Ausschreitungen in Chemnitz rechte CFC-Fans maßgeblich beteiligt waren und sie sogar organisierten, verwundert wenig, wenn man sich die Fanszene etwas genauer ansieht. Beim DDR-Meister von 1967 haben Neonazis in der Kurve Tradition.
Neonazi-Tradition in der Fanszene des CFC
In den 90er Jahren gründete sich die Gruppe mit dem eindeutigen Namen »Hooligans Nazis Rassisten«, oder kurz »HooNaRa«. Deren Mitglieder sollen immer wieder an rechtsradikalen Übergriffen und Ausschreitungen beteiligt gewesen sein, wenn sie sich nicht gerade bei Ackermatches mit anderen Hools schlugen. Einem Mitglied wurde die Tatbeteiligung am Mord an Patrick Thürmer nachgewiesen, der 17-Jährige war 1999 nahe Chemnitz von Neonazis totgeschlagen worden. Laut Beobachtern vor Ort waren »ehemalige« HooNaRa-Mitglieder auch am gestrigen Aufmarsch beteiligt.
(Screenshot facebook.com/kaoticchemnitz (Beitrag mittlerweile gelöscht)).
Ehemalig in Anführungszeichen, denn obwohl die Gruppe 2006 mit einem Stadionverbot belegt und 2007 offiziell aufgelöst wurde, sagte das sächsische Innenministerium noch 2013, sie trete nach wie vor »regelmäßig bei rechtsextremistischen Veranstaltungen der neonationalsozialistischen und subkulturellen Szene im Raum Chemnitz in Erscheinung«. Vor ihrer Auflösung war der Gründer von »HooNaRa«, Thomas Haller, mit seiner Sicherheitsfirma über Jahre für den Ordnerdienst im Chemnitzer Stadion verantwortlich.
Ultra-Nachwuchs mit Kameradschafts-Verbindung: Die »NS-Boys«
Die Chemnitzer Kurve bestimmen eigentlich die »Ultras Chemnitz 99«, die größte Ultra-Gruppierung des Vereins, die sich als unpolitisch bezeichnet, aber von Kennern der Szene zumindest als rechtsoffen eingeschätzt wird. 2004 gründete die Gruppe eine Nachwuchs-Abteilung mit dem wenig subtilen Namen »NS-Boys«, wobei das Kürzel NS nicht für Nationalsozialismus, sondern für »New Society« stehen sollte. - Spuren bis in den NSU-Prozess hinein
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Kameradschaftlich organisiert bekam die neue Gruppierung schnell überregionale Bekanntheit durch die Teilnahme an rechten Aufmärschen, auf die 2006 ein Stadionverbot und die Auflösung durch die Ultras folgte. Die »NS-Boys« gründeten sich aber neu und sind bis heute aktiv. Auf ihrer Facebookseite veröffentlichen sie wöchentlich Spielberichte mit Fotos, das Titelbild ziert ein Schal mit dem Logo der Gruppe, ein Hitlerjunge von einem Propagandaplakat aus dem Jahr 1933, und dem Schriftzug »Good Night Left Side«.
2014 wurde bei einer Razzia im Vereinsheim der anschließend verbotenen Neonazi-Kameradschaft »Nationale Sozialisten Chemnitz« (NSC) eine Zaunfahne der NS-Boys gefunden. Im NSU-Prozess stellte sich heraus, dass ein hochrangiges NSC-Mitglied auch »NS-Boys«-Mitbegründer war. Überschneidungen soll es mit dem Chemnitzer Pegida-Ableger Cegida geben.
Innenministerium stuft Fangruppen als rechtsextrem ein
2017 sollen Mitglieder der »NS-Boys« bei den gewalttätigen Ausschreitungen während des Spiels von Energie Cottbus in Babelsberg beteiligt gewesen sein, CFC- und Energie-Fans unterhalten seit Langem eine Fanfreundschaft. Durch das Stadionverbot konnten die »NS-Boys« bei ihrem eigenen Verein, der sich in der Vergangenheit deutlich von der Gruppierung distanzierte, aber nicht mehr auftreten.
Deswegen orientierten sich die Mitglieder im Stadion zu verschiedenen anderen Gruppen, bis zu deren Stadionverbot namentlich zum Beispiel »Kaotic Chemnitz«, die vom sächsischen Innenministerium als »rechtsextrem« eingeschätzt werden. Auswärts ist die Gruppe aber immer noch mit ihren Fahnen vertreten. Bei rechten Kampfsportveranstaltungen traten Kämpfer in der Vergangenheit im »Kaotic«-Shirt auf. Jene Gruppierung, die die gestrigen Ausschreitungen organisierte.
Auf den Tag genau 26 Jahre nach dem Ende der ausländerfeindlichen Pogrome in Rostock Lichtenhagen ziehen also rechtsradikale Hooligans und Ultras durch Chemnitz. Auch damals beteiligten sich Hooligans an den Ausschreitungen. In rechten Kreisen wird für den heutigen Montagabend erneut nach Chemnitz mobilisiert, vermutlich werden mehr Personen dem Aufruf folgen als gestern noch. Sehr wahrscheinlich werden aber wieder Anhänger des Chemnitzer FC unter ihnen sein.