RB Leipzig – gekommen, um zu bleiben
10 Jahre Tradition
Vor genau einem Jahrzehnt, am 19. Mai 2009, wurde RB Leipzig – tja, wie soll man das formulieren? Aus dem Reagenzglas gezaubert. Für uns ein Anlass, innezuhalten.
-
Dietrich Mateschitz zeigte sich bemerkenswert offenherzig, damals im Jahr 2010. Das Projekt Rasenballsport war nicht einmal zwölf Monate jung, Leipzig spielte noch fünftklassig und Mateschitz warf große Pläne für seinen internationalen Fußballkonzern an die Wand: »Wir wollen mit dem stärksten Team Leipzig in der Bundesliga spielen und in Österreich mit einem Quasi-U-21-Team mit möglichst hohem Anteil an Spielern aus unseren Akademien«, tönte der Brause-Patron. Heute, im Frühjahr 2019, ist die einst kühne Vision längst Wirklichkeit, und die nächsten Ziele sind auch nicht mehr weit entfernt. Mateschitz will Leipzig zu einem internationalen Top-Player aufpimpen.
Das Konzept des RB-Fußballkonzerns mit seinem Flagship-Store in Sachsen sowie einer Reihe von Farmteams auf fast allen Kontinenten, alle mehr oder weniger gleich gebrandet, hat dem Selfmade-Milliardär überragende Erfolge auf der Spielwiese Fußball beschert: RB Leipzig geht im Sommer voraussichtlich zum zweiten Mal in der Champions League an den Start und bald vielleicht in der Europa-, Super- oder Weltliga. Egal. Hauptsache, das Brause-Label ist prominent vertreten im milliardenschweren Balltreter-Business. Denn nur darum geht es hier. Ums Verkaufen.
Marketing ist immer auch Illusion
Man müsse den jungen Leuten, die den von Red Bull gesponserten Fun-Sportarten entwachsen, eben Alternativen anbieten, erklärte Mateschitz schon vor Jahren das Einmaleins der Markenbindung. Die von seinem hauseigenen Sportmagazin in Szene gesetzte »Welt von Red Bull« umfasst seither neben Basejumping, Kunstfliegen, Rafting oder Trickskifahren auch den Fußball. Mit allem, was dazu gehört: So müssen RB-Kicker bei jedem noch so unwichtigen Interview eine Dose mit Energie-Brause vor sich auf den Tisch stellen – zumindest, wenn ein Fotograf in der Nähe ist.
Dass der gestrenge Trainer Ralf Rangnick seinen Schützlingen vom Konsum der synthetisch-duftenden, klebrigen und gesundheitsgefährdenden Plörre abrät – wen wundert's? Im Alltag wird Red Bull eher von übernächtigten Brotfachverkäuferinnen zur schnellen Pausenzigarette konsumiert. Von schmierbäuchigen Brummifahrern auf den ermüdenden letzten 100 Kilometern vor dem Rastplatz. Oder von dämmrigen Junkies in der Warteschlange vor der lokalen Methadon-Ausgabestelle. Doch was macht das schon? Marketing ist immer auch Illusion. Und Tradition? Sei nur »eine Frage der Zeit«, dozierte Mateschitz einmal im Gespräch über sein bundesweit ungeliebtes Retortenbaby. - Wie das Haus eines Puff-Königs
-
Womit wir wieder beim Thema sind: Heute, auf den Tag genau, wird RB Leipzig zehn Jahre jung. Wobei: So richtig geboren wurde RB eigentlich nie, zumindest nicht so wie andere Klubs. Stattdessen übernahm Mateschitz an jenem 19. Mai 2009 im Rahmen einer komplizierten juristischen Vereinbarung den SSV Markranstädt, einen sächsischen Oberligisten, den vor allem eines auszeichnete: Niemand interessierte sich für ihn. Umso leichter fiel es dem österreichischen Milliardär, den angegilbten Fünftliga-Klub abzuwickeln, mit einer komplett neuen Identität auszustatten und ihn nach seinen ureigenen Vorstellungen zum Werbevehikel für stark koffein- und zuckerhaltige Brause umzugestalten.
Da wäre zum Beispiel das Wappen von RB Leipzig, das ungefähr so aussieht wie eine platt getretene Red-Bull-Dose. Dabei dürfen Vereinsembleme im Hoheitsbereich der DFL eigentlich keine allzu große Ähnlichkeit zu Sponsoren-Logos aufweisen. Ernsthaften Widerstand gegen seinen Schleichwerbe-Auftritt erfuhr Mateschitz dennoch nicht. Der Ligaverband trug dem Retortenklub nach dessen Zweitliga-Aufstieg 2014 lediglich auf, die »für Red Bull charakteristische gelbe Sonne« aus dem Logo zu entfernen. Die für Red Bull (zu deutsch: Roter Bulle) offenbar weniger charakteristischen roten Bullen durften bleiben.
Wie das Haus eines Puff-Königs
Überhaupt fanden sich dort, wo der spendierfreudige Milliardär auf zaghafte Einwände von Verbandsvertretern traf, stets zuvorkommende Lösungen. In der vergangenen Saison etwa ließ die Uefa das Team von RB Leipzig und sein Farmteam RB Salzburg zeitgleich in der Europa League antreten, obwohl das Statut zur »Integrität des Wettbewerbs« dies kategorisch untersagt. Demzufolge dürfen niemals zwei oder mehr Vereine, die »auf irgendeine Art und Weise« von ein- und derselben natürlichen oder juristischen Person »beeinflusst werden« können (und das »entscheidend«), zeitgleich im kontinentalen Wettbewerb starten.
Dass Mateschitz' Fußballkartell gegen diese Bestimmung verstößt, ist offenkundig: RB Leipzig wird von nicht einmal 20 stimmberechtigten Mitgliedern regiert, die allesamt Red Bull nahestehen. Zudem ist der Getränkekonzern Mehrheitsgesellschafter der ausgelagerten GmbH. Im Zulieferbetrieb Salzburg, der in zehn Jahren weit über 20 Spieler nach Leipzig entsandte, regiert derweil ein Vorstand aus handverlesenen Mateschitz-Vertrauten. Die stehen allesamt in so engen geschäftlichen Beziehungen bzw. Abhängigkeiten zum Patron, dass sie kaum eigenständig entscheiden können. Dennoch erklärte Mateschitz 2017, wenige Wochen vor der erstmaligen Uefa-Entscheidung über ein gleichzeitiges Europacup-Startrecht für die RB-Klubs, in den »Salzburger Nachrichten«: »Es ist alles geregelt.« Red Bull verleiht bekanntlich Flügel. - Na dann..
-
Dennoch wirkt dieser, nun ja, etwas andere Verein auch im elften Jahr seines Bestehens und im bald vierten Jahr seiner Bundesliga-Zugehörigkeit wie ein bizarrer Fremdkörper in der Phalanx der übrigen Traditions-, Werks- und Retortenklubs. RB Leipzig, das ist der überdimensionierte Bauhaus-Stil-Quader eines Puff-Königs inmitten einer alt-ehrwürdigen Gründerzeit-Villensiedlung: Sieht aus wie vom Hubschrauber abgeworfen, passt nicht in die Landschaft, kriegst du aber höchstwahrscheinlich nicht mehr weg.
Stattdessen schafft es der Retortenklub-Experte Rangnick, der uns schon den Bundesligisten TSG Hoffenheim bescherte, die ehrgeizigen Ziele des Dietrich Mateschitz Jahr für Jahr überzuerfüllen: Platz zwei und Champions-League-Qualifikation in der Bundesliga-Premieren-Saison 2016/17, ein Europa-League-Ticket in 2017/18, aktuell gefolgt von Rang drei und dem erneuten Rundtrip durch die »Königsklasse«. Vorausgesetzt, die UEFA gibt beiden – Leipzig und Salzburg – ihr erneutes Go. Wobei Mateschitz da aus Erfahrung zuversichtlich sein dürfte.
Na dann..
Auch sonst wird der fast 75-Jährige kaum von Zweifeln am eigenen Erfolg geplagt. Nach einer möglichen Deutschen Meisterschaft für Rasenballsport Leipzig befragt, erklärte Mateschitz bereits 2014, als der Klub gerade erst in die 2. Liga emporgeklettert war: »Ein paar Jahre vergehen ja schnell, aber irgendwann wird es so sein.«
Rasenballsport Leipzig wird zehn und kann seinen runden Geburtstag am kommenden Samstag obendrein mit dem erstmaligen Gewinn des DFB-Pokals krönen. Na dann: Gratulation.