Der Argentinier Ramón Aguirre Suárez gilt als der größte Treter in der Fußballgeschichte Südamerikas. Passend zu unserer Titelgeschichte „Die 50 härtesten Fußballer der Welt“ stellen wir den legendären Bösewicht vor.
Harte Hunde hat es im Fußball immer gegeben. Verteidiger, die ihren Kontrahenten mit gezielten Attacken früh zeigen, wer Herr auf dem Rasen ist. Spieler, die blaue Flecken und Platzwunden sammeln wie andere Briefmarken. Und die sich mit ihren Aktionen stets am Rande des Platzverweises bewegen.
Ramón Aguirre Suárez wird man mit diesem Etikett allerdings nicht gerecht. Er kultivierte in den 1960er und 1970er Jahren einen Typ Fußballer, der seine Gegenspieler nach dem Schlusspfiff häufig so aussehen ließ, als hätten sie einen Fight über zwölf Runden mit dem jungen Muhammad Ali hinter sich.
Wie kaum ein anderer Fußballer malträtierte der Argentinier die Gesundheit seiner Rivalen. Für viele Experten rangiert Aguirre Suárez mit seinem Einsteigen jenseits der Grenzen des Fair Play ganz oben auf der Liste der unfairsten Kicker aller Zeiten.
Zu Unrecht, wie dieser jedoch selbst findet: „Alle sagen, ich sei brutal gewesen. Dabei habe ich nie einen Gegenspieler krankenhausreif oder verkrüppelt zurückgelassen.“ Nester Combi dürfte da anderer Meinung sein. Ebenso wie zahlreiche andere Opfer, die der heute 68 Jahre alte Aguirre Suárez im Laufe seiner Karriere niedergestreckt hat.
Nach dem Schlusspfiff eskalierte die Gewalt
Combi, in Argentinien geboren, international aber für Frankreich aktiv gewesen, wird sich heute noch mit Grausen an jenen 22. Oktober 1969 erinnern, als er die volle Wucht des kompromisslosen Gauchos zu spüren bekam. Es war der Tag des Rückspiels im Intercontinental Cup zwischen Estudiantes de La Plata und dem AC Mailand. Das erste Duell hatten die Italiener im heimischen San Siro mit 3:0 für sich entschieden. Die Entscheidung musste nun in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires fallen.
Mit übertriebener Härte versuchten die Argentinier die Wende zu erzwingen. Mit Fußball hatte die im Stadion der Boca Juniors ausgetragene Partie dabei wenig zu tun. Für viele Beobachter handelte es sich um eine der bis heute brutalsten Duelle überhaupt in dieser Sportart. Im Minutentakt wälzten sich Mailänder Spieler vor Schmerzen auf dem Rasen der Bombonera. Nach dem Schlusspfiff eskalierte die Gewalt vollends.
Zwar hattte Estudiantes die Partie mit 2:1 für sich entschieden – unter anderem mit einem Tor von Aguirre Suárez. Der Pokal ging aber dennoch an Milan. Enttäuscht ob der Niederlage entlud sich nach Spielende der Frust bei den Argentiniern. Estudiantes-Keeper Alberto Poletti streckte Italiens Legende Gianni Rivera zu Boden. Aguirre Suárez setzte jedoch noch einen drauf. Mit einem Ellenbogencheck brach er Milan-Angreifer Combi die Nase. Augenzeuge Rivera soll später einmal gesagt haben, dass der Schlag von Aguirre Suárez jedem Schwergewichtsboxer vor Neid hätte erblassen lassen.
Während Combi die Heimreise arg lädiert mit schiefer Nase, blauem Auge und geschwollener Wange antrat, verbrachte Aguirre Suárez die darauffolgenden 30 Tage im Knast. Die damals in Argentinien unter General Juan Carlos Onganía herrschende Militärregierung ging hart gegen die Estudiantes-Rüppel vor. Negative Schlagzeilen konnte man nicht gebrauchen, war man doch gerade darum bemüht, sich für die Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft 1978 zu empfehlen.
Aguirre Suárez wurde nach Verbüßung seiner einmonatigen Haftstrafe für fünf Jahre von internationalen Partien ausgeschlossen. Seinen Teamkameraden Poletti traf es zunächst noch härter: Er wurde lebenslang gesperrt. Später wurde das Urteil jedoch revidiert.
Die beiden Badboys waren die im negativen Sinne auffälligsten Vertreter einer Mannschaft, die mit ihrem rustikalen Stil und taktischer Disziplin eine Ära im argentinischen Fußball prägte. Unter der Führung von Trainerlegende Osvaldo Zubeldía gewann Estudiantes drei Mal in Folge die Copa Libertadores (1968, 1969 und 1970). Hinzu kam ein nationaler Meistertitel (1967) sowie der Triumph im Intercontinental Cup 1968 gegen den hohen Favoriten Manchester United mit George Best und Bobby Charlton in seinen Reihen.
Er soll sogar Nadeln mit aufs Feld genommen haben!
Dass Estudiantes trotz aller Erfolge der Makel einer üblen Tretertruppe anhängt, wurmt Aguirre Suárez. Dabei hat er selbst einen großen Teil zu diesem fragwürdigen Ruf beigetragen. Außer im Zweikampf mit offener Sohle und Stollen voran soll Aguirre Suárez auch ein Experte in Sachen versteckter Fiesheiten gewesen sein. Gegner behaupten, kleine Stecknadeln hätten ebenso zu seinem Folter-Repertoire gehört wie Kniffe in Körperregionen, wo es besonders wehtut.
Der Angeklagte weist jede Schuld von sich: „Wir wurden mit dem Etikett ›Anti-Fußball‹ versehen. Man hat behauptet, wir würden den Gegnern Sand in die Augen streuen und sonst noch was. Nichts davon ist wahr. Das ist alles eine Erfindung der Journalisten.“
Zum Ende seiner Karriere verbreitete Aguirre Suárez auch noch drei Jahre lang in Spanien im Dress von Granada CF Angst und Schrecken in der Primera División. Argentiniens Fußball-Legende Alfredo Di Stefano, damals Trainer des FC Valenica, konnte nach einer Partie nur mit Mühe davon abgehalten werden, seinem Landsmann an die Gurgel zu springen. Dieser hatte Valencia-Angreifer Pep Claramunt bereits in der ersten Halbzeit krankhausreif getreten.
Ballstreichler wie Günter Netzer oder Johan Cruyff wählten die einzige Option, den Attacken des Argentiniers, den die spanische Presse schnell „Killer“ getauft hatte, aus dem Weg zu gehen: Sie ließen sich gar nicht erst aufstellen.
Aguirre Suárez’ Landsmann Bambino Veira hatte dagegen nicht das Glück eines freien Nachmittags wie die Weltstars Netzer und Cruyff, als er mit dem FC Sevilla gegen Granada ranmusste. Ein Mitspieler hatte ihn vor dem Anpfiff noch eindringlich gewarnt: „Bambino, du musst über die Außen kommen! In der Mitte ist Vietnam.“