Zum Oberligaspiel Rot Weiss Ahlen gegen Westfalia Herne kamen nur 21 Gästefans – trotzdem rückte die Polizei mit Einsatzwagen und Pferdestaffel an. Ein seltsamer Aufmarsch.
Die Fanszene von Westfalia Herne ist ziemlich überschaubar. Zu den Spielen des NRW-Ligisten kommen im Schnitt 300 Zuschauer ins überdimensionierte Stadion am Schloss Strünkede. Es hängt ein bisschen vom Wetter ab und davon, ob die Senioren auf der Tribüne nicht doch eine Verabredung zum Bridge oder einen Ausflug mit Enkeln geplant haben. Gegen den SC Roland verirrten sich diese Saison nur 159 Zuschauer gegen TuS Erndtebrück, immerhin Aufstiegskandidat, waren es erschreckende 147. Man kann sich denken, dass sich die Sache auswärts noch trostloser darstellt, zumal Westfalia seit der Auflösung der „Chaos Brigade Herne“ im Jahr 2011 keine wirkliche Ultraszene mehr hat.
So war man sich in Ahlen sicher, dass das Spiel gegen Herne nur sportliche Brisanz haben würde – für Westfalia ging es immerhin noch um Punkte gegen den Abstieg. Und auch wenn niemand an Fanausschreitungen dachte, hatte Ahlens Präsident Dirk Neuhaus ein paar Tagen zuvor mit Westfalias Geschäftsführer telefoniert und sich abgesichert. „Er sagte, da kommen nicht mehr als eine Handvoll Fans nach Ahlen.“ Neuhaus fühlte sich bestätigt, genauso hatte er sich das vorgestellt.
Die Sorge vor den Fans der Kategorie B
Der Polizei und dem Ordnungsamt in Ahlen lagen allerdings andere Informationen vor. In der Kreispolizeibehörde Warendorf ging wenige Tage vor dem Spiel ein Hinweis ein, nach dem über 150 Westfalia-Anhänger nach Ahlen fahren würden. „Darunter auch 50 der Kategorie B, also Fans die sich von gewaltbereiten oder gewaltgeneigten Fans anstecken lassen“, sagt Polizei-Pressesprecher Martin Schnafel.
Man befürchtete ein Aufeinandertreffen mit den Ahlener Fans, mit denen es in der Vergangenheit nicht immer einfach war. „Die Fans der Fangruppierung Ahlener Ultras sind wiederholt aufgefallen“, sagt Schnafel, „und das hatten wir im Hinterkopf.“ Er meint damit zum Beispiel einen Vorfall vor einem Jahr, auswärts, in Herne. Damals sollen Ahlener Ultras im Block randaliert und die Beamten nach dem Spiel provoziert haben. In einer Presseerklärung hieß es: „Ein 20-Jähriger urinierte vor den eingesetzten Polizisten auf den Platz und beleidigte die Beamten, indem er sich umdrehte und ihnen das entblößte Hinterteil entgegenstreckte.“
Vor wenigen Wochen kam es in Ahlen zu einem Zwischenfall im Kreisligapokal. Beckumer Ultras sollen auf der Tribüne „Stahlstützen aus den Fundamenten gerissen haben und Zaunelemente verbogen haben“, heißt es in der Pressemeldung der Polizei. Die „Ahlener Zeitung“ berichtete von „schweren Ausschreitungen“.
Neuhaus erinnert sich an ein bisschen „Rütteln an einem Pfeiler“, den man dann innerhalb von wenigen Minuten wieder in die Verankerung stellen konnte. Und die Ahlener Ultras? Die hätten sich seit dem Vorfall in Herne nichts zu Schulden kommen lassen, keine Pyros, keine Böller, keine Schlägereien, alles friedlich.
Mit diesem Kenntnisstand gingen die Parteien am Montag in das obligatorische Sicherheitsgespräch, bei dem Vertreter der Polizei, des Ordnungsamtes, der Feuerwehr und der Vereine teilnehmen. Dort erzählte Neuhaus von „der Handvoll Herne-Fans“ und der erwarteten 300 bis 400 Zuschauern im Wersestadion. Die Beamten berichteten von ihrem Hinweis und einer Zuschauerzahl von 500 bis 1000 Fans. Die Ahlener schüttelten den Kopf.
Ein riesiger Trubel in Ahlen
Doch es half nichts, denn der Klub war nun in der Pflicht auf Basis dieses Gesprächs das Sicherheitsaufgebot für das Spiel am Mittwoch zu kalkulieren. Am Spieltag waren 27 Security-Leute, 15 Ordner und fünf Sanitäter im Einsatz. Dazu Rettungswagen, Feuerwehrwagen, Krankenwagen, eine Vier-Mann-Reiterstaffel und ein Zug der Bereitschaftspolizei. Insgesamt sollen knapp 50 Beamte vor Ort gewesen sein. Es fühlte sich ein bisschen an wie eine private WG-Feier, bei der plötzlich eine Horde von nie gesehenen Partycrashern in der Küche steht. Es war mächtig was los.
Oder auch nicht.
Denn es kam so, wie Neuhaus es vorhersagte. Ein paar ältere Herne-Anhänger verstreuten sich auf der Tribüne, und von Fans der Kategorie B war weit und breit keine Spur. Man hätte jedem Gästezuschauer problemlos einen eigenen privaten Polizisten und Ordner an die Seite stellen können. Am Ende zählte Neuhaus 21 Auswärtsanhänger, dazu kam vielleicht ein halbes Dutzend auf der Sitzplatztribüne. Insgesamt waren 381 Zuschauer im Stadion. Sonnenschein, 24 Grad, Ahlen gewann 4:1, Applaus, alles friedlich.
Doch jetzt, einen Tag nach Spiel, platzt ihnen ein bisschen der Kragen. „Das war alles dermaßen überzogen! Herne hat doch überhaupt keine Fans, die Krawall machen!“, sagt Peter Otte, Ahlens Fanbeauftragter. „Was sollte das? Wieso hat niemand auf uns gehört?“, fragt Dirk Neuhaus.
Der Klubpräsident muss momentan jeden Euro zweimal umdrehen, denn sein Verein befindet sich noch in der Insolvenz. So kommt es, dass die Ordner nicht mit Geld, sondern mit Wurst und Cola entlohnt werden.
Allerdings wird die Security von einer externen Firma gestellt, und die gibt sich nicht mit Naturalien zufrieden. „Nach unserer Zuschauer-Kalkulation“, sagt Neuhaus, „hätten wir nur zwölf Security-Mitarbeiter aufstellen müssen.“ Weil es aber 27 waren, weil man auch bei Feuerwehr, Sanitätern und Krankenwagen Zusatzkosten hat, gehen dem Klub jetzt Einnahmen im vierstelligen Bereich durch die Lappen. Mehr noch: Rot Weiss Ahlen, so sagt Neuhaus, hat zum wiederholten Male Minus mit einem Heimspiel gemacht. Man hätte sogar überlegt, das Spiel abzusagen. „Doch das wäre ja Wettbewerbsverzerrung gewesen“, sagt Neuhaus.
Wer zahlt die Polizeikosten?
Nun prangert der Verein das Vorgehen öffentlich an. Auf der Vereinshomepage schreiben die Verantwortlichen von „enormen Kosten für ein Polizei- und Ordneraufgebot“ und fragen: „Wer diesen Irrsinn am Ende eines ruhigen Amateurfußballspiels bezahlen durfte?“ Die Antwort gibt man gleich selbst: „Wir, Rot Weiss Ahlen!“
Was so nicht ganz stimmt, denn die Polizeikosten werden nicht vom Klub getragen, sondern vom Land NRW. Das moniert jedenfalls Polizeisprecher Martin Schnafel, der das Aufgebot durch Versammlungsstättenverordnungen, Brandschutz und einem Sicherheitskonzept legitimiert sieht: „Im Nachgang stellt sich der Kräfteansatz vielleicht als hoch dar. Mit den Vorerkenntnissen zum Spiel halten wir Vorwürfe für nicht gerechtfertigt. Vor allem stimmt es nicht, dass der Verein für unsere Kosten aufkommen muss.“
„Mit Waffen und Rauchbomben bewaffnet“
Immerhin hat man in Ahlen nicht das Lachen verlernt. Auf der Facebook-Seite heißt es: „Mit Waffen und Rauchbomben bewaffnet begaben sich die gewaltbereiten Problemfans von Westfalia Herne am Mittwochabend auf den Weg zum Wersestadion, um ein Schlachtfeld der Verwüstung zu hinterlassen.“
Der Text trägt den Titel: „Sondermeldung: Polizeieinsatz verhindert Eskalation.“