Pal Dardai hat Hertha auf einem Abstiegsplatz übernommen und binnen zwölf Monaten in die Spitzengruppe und ins Pokalhalbfinale geführt. Everybody’s Darling will er trotzdem nicht sein.
Pal Dardai, Sie haben kürzlich einen Werbeclip für Berlin mit dem bekannten ungarischen DirigentenIvan Fischer gedreht. Haben Sie eine Affinität zur Musik?
Die beschränkt sich auf das, was ich in Ungarn in der Schule gelernt habe. Wenn ich nicht gerade mit Fußball beschäftigt bin, kümmere ich mich um meine Familie und meinen Garten.
Sie sind bei Hertha BSC vor gut einem Jahr vom U15-Trainer zum Chefcoach der Profis aufgestiegen. Waren Sie überrascht, als Manager Michael Preetz damals auf Sie zukam?
Sehr. Ich hatte gedacht, Ante Covic sei seine erste Wahl. Ante hatte als Assistent von Otto Rehhagel einen guten Job gemacht, außerdem hatte er im Gegensatz zu mir schon den Trainerschein.
Haben Sie dennoch auf den Job spekuliert?
Überhaupt nicht. Als ich ungarischer Nationaltrainer wurde, habe ich mit keinem Hertha-Profi auch nur einen Mucks geredet, damit die Leute bloß nicht auf dumme Gedanken kommen.
Und plötzlich rief Preetz Sie in sein Büro.
Glauben Sie mir, als er mir das Angebot machte, habe ich eine große Last auf meinen Schultern gespürt – und auch auf seinen. Abstiegskampf ist hart. Ich habe mir hier als Fußballer und Mensch einen guten Ruf erarbeitet, und es war irgendwie klar, dass die Medien mit mir etwas mehr Geduld haben würden als mit anderen. Also habe ich zugesagt.
Als Sie die Mannschaft übernahmen, stand sie auf Platz 17. Ist man in solch einer Situation zunächst mal als Psychologe gefragt?
Sicher. Vielleicht ist man am Anfang sogar gezwungen, die Dinge ein wenig schön zu reden. Der Mannschaft fehlte es damals an Fitness und Führungsspielern. Wenn ich sie von oben, von der Nachwuchsakademie aus beobachtete, dachte ich immer: „Der nächste Trainer, der hierher kommt, hat ein Problem.“ Und wer war der nächste Trainer? Ich. Am Ende hat uns Valentin Stocker mit seinen Toren gerettet, und ab dem Sommer haben wir alles systematisch neu aufgebaut.
Mit welcher Strategie?
Der erste Aspekt war die Fitness. Dabei ging es auch um den Willen, sich zu überwinden. Das war hart für die Spieler, aber ich habe im Trainingslager gesehen, dass es bei ihnen auf fruchtbaren Boden trifft. Der Schweiß hat uns zusammengebracht. Danach haben wir uns nach und nach das Spielerische erarbeitet.
Das Team ist beinahe nicht wiederzuerkennen, dabei wurde es vor der Saison kaum verändert.
Stimmt, eigentlich ist es fast noch die gleiche Mannschaft. Aber dass Vladimir Darida kommt, war schon klar, als ich meinen Vertrag unterschrieben habe. Damit hatte ich einen Prototypen für das System, das ich spielen lassen wollte. Und ich wusste, dass wohl auch Vedad Ibisevic kommt. Die einzige Sorge war, dass ihn uns kurz vor Schluss noch jemand wegschnappt.
Haben Sie Ibisevic auch wegen seiner sozialen Kompetenz geholt? Bei früheren Klubs hat er ausländischen Spielern oft als Dolmetscher oder bei organisatorischen Dingen geholfen.
Das wusste ich gar nicht. Für mich war wichtig, dass er Tore schießt.
Und das macht er.
Mir war klar, dass er perfekt in unser Spielsystem passt. Außerdem haben die Gegner vor einem wie ihm Respekt – allein wegen des Rufes, der ihm vorauseilt. Das wiederum gibt Salomon Kalou mehr Raum. Ein Trainer kann den Spielern bis ungefähr zwanzig Meter vor dem Tor helfen. Aber dort braucht es Typen, die nicht nachdenken, sondern einfach die Tore machen.
Kalou wirkte in seiner ersten Hertha-Saison oft isoliert.
Da war er vorne auf sich allein gestellt. Salomon kickt wie ein Schachspieler, er hat immer den Kopf oben und schaut, was um ihn herum passiert. Er denkt meist schon drei, vier Spielzüge voraus. Seit Vedad neben ihm wirbelt, hat er einen halben Meter mehr Platz als in der letzten Saison – und das hat einen großen Einfluss auf unsere Effektivität.
Hat Hertha mit Mitchell Weiser nun endlich einen ehemaligen Bayern-Spieler gefunden, der den Erwartungen gerecht wird?
Seine Fähigkeit, den vorletzten und letzten Pass auf der rechten Seite zu spielen, hilft uns enorm.
Aber es sind schon andere Bayern-Profis mit Vorschusslorbeeren nach Berlin gekommen und gescheitert.
Wer denn?
Christian Lell und Andreas Ottl, zum Beispiel.
Lell war längst nicht so gut wie Mitch. Okay, Ottl war ein spielintelligenter Typ – aber leider auch oft verletzt.