Anfang Februar trafen Celtic und die Rangers erstmals seit drei Jahren wieder aufeinander – und versetzten Glasgow in einen Ausnahmezustand.
Kein Bier vor elf Uhr morgens. Das ist die Vorschrift. Und so reihen sich um 10.55 Uhr mehr als 40 Männer entlang des langen blau-weißen Tresens im fensterlosen Glasgower Pub Louden Tavern auf. Sie lehnen die schweren Oberkörper nach vorn und starren auf die silberglänzenden Zapfhähne Zentimeter vor ihren Augen.
Heute ist Old Firm, Rangers gegen den Erzfeind Celtic, der Klub mit protestantischen Wurzeln gegen den katholisch geprägten Rivalen. Es ist eines der härtesten Derbys im Weltfußball. Es findet erstmals nach knapp dreijähriger Pause statt. Es ist dazu das Halbfinale im schottischen Pokal. Da ist Durst gar kein Ausdruck für das, was die Rangers-Fans verspüren. Am liebsten würden sie sich über den Tresen lehnen und das Bier direkt aus dem Hahn saugen.
Mehr als ein Pub
„Das ist das intensivste Spiel der Welt“, sagt Robert Marshall, ein Mann von kräftiger Statur und mit einem herzlichen Lachen, ohne Haare, aber mit einem ausgeprägten Schnäuzer. Er wirkt, als wäre er die Inkarnation des Rangers-Spitznamens „The Teddy Bears“. Marshall ist der Besitzer des Lokals, das nach eigenem Dafürhalten „More Than A Pub“ ist. Die Louden Tavern ist vollgehängt mit gerahmten Porträts früherer Spieler, unzählige Bildschirme zeigen die größten Partien der Klubgeschichte, zwischen ihnen jeweils ein Wort: We – are – the – people.
Die Decke ist in Blau, Weiß und Rot gehalten, den Farben des Union Jack, der Fahne des britischen Königreichs und Nordirland. Überall ist von der Treue zu England die Rede, gesungen wird „God Save the Queen“. Jungs in schwarzen Jacken stehen vor dem Eingang. „Hou are ye?“ – „Fuck the pope.“ Üblicher Smalltalk.
Rangers hängen finanziell am Tropf
Das Louden mag vielleicht wirklich mehr als eine Schänke sein, ein Museum eher, ein Refugium zur Abschottung vor der Gegenwart. Schräg gegenüber liegt das Stadion der Rangers, das Ibrox, in dem der Verein in den vergangenen Jahren nach dem Zwangsabstieg gegen Gegner wie East Stirlingshire oder Ayr United antreten musste. Die Namensrechte der ehrwürdigen Spielstätte hatte der Klub kurzzeitig für ein Pfund an einen windigen Geschäftsmann abgetreten – und von dieser Sorte haben sie bei den Rangers zuletzt genug gesehen.
„Das ist alles eine kriminelle Verschwörung, und diese Verbrecher werden noch vor Gericht gestellt werden“, sagt Marshall, seine dunkle Stimme wird schnell, seine Worte klingen nun wie ein Drumsolo. Unternehmer an der Spitze des Klubs tricksten mit Steuern, häuften Schulden an und führten die Betreibergesellschaft des Vereins in die Insolvenz. Die ruhmreichen Rangers mussten 2012 in der vierten Liga neu starten. Zwar brachen sie dort Zuschauerrekorde und stiegen zweimal in Folge auf, doch der Klub hängt finanziell weiter am Tropf. Das große Spiel gegen Celtic ist das erste nach langer Zeit, aber es kann auch das letzte für lange Zeit bleiben.
Bestimmte Lieder sind verboten, die Polizei kontrolliert
Um Punkt elf Uhr öffnen sich die Schleusen. Die Kellnerinnen ziehen die Zapfhähne, es wird laut, nicht lange, bis Gläser auf dem Boden zerschellen, aus den nun gespülten Kehlen erklingt der Chor: „Build my gallows“ – baut meine Galgen. Die Fans singen ein Lied über einen aus ihrer Sicht aufrichtigen Märtyrer, einen „Loyal Ulster Man“, einen Verteidiger der britischen Monarchie, der gehenkt werden soll. In dem Song kommt kein einziges Wort über die Rangers vor, aber an diesem Ort und an diesem Tag ist alles mit Religion und Politik verknüpft.
Wenig später betritt die Polizei unter Buhrufen das Lokal und spricht mit Marshall. Er nickt und nimmt sich das Mikro. Die Musik verstummt. „Ich soll noch einmal darauf hinweisen, dass die Polizei eingreifen wird, wenn bestimmte Lieder gesungen werden.“ Dann zählt er einige der Gesänge auf, die verboten sind. 2012 trat der „Offensive Behaviour Act“ in Kraft, ein Gesetz, dass Beleidigungen, vor allem religiöse, beim Fußball unter Strafe stellt. Robert Marshall schüttelt den Kopf. Seiner Meinung nach sollten die Leute doch singen können, was sie wollen. Dieses Gesetz fördere doch nur den Korpsgeist unter den Fans und die Ablehnung gegenüber der Polizei. „Ich glaube, es war Hamlet, der sagte: Sie sollten aufhören, diese Leute zu Helden zu machen, indem sie sie einsperren.“ In Glasgow ist alles möglich, auch dass kantige schottische Pubbesitzer Hamlet zitieren.
Marshall schiebt noch nach: „Wenn einer wegen dieser Nichtigkeit belangt wird, ist er doch unter seinen Freunden der große Martell.“ Karl Martell wurde nach einer Schlacht im frühen Mittelalter als „Befreier des Abendlandes“ bezeichnet.
Häusliche Gewalt doppelt so hoch an Tagen des Old Firm
Die schottische Polizei hat an diesem Tag ohnehin genug zu tun. Sie stattet allen aktenkundigen Männern, die ihre Frau geschlagen haben, einen Besuch ab. Studien zufolge steigt die häusliche Gewalt an den Tagen des Old Firm auf das Doppelte. Die Kellner in Glasgow wurden angewiesen, leere Gläser sofort abzuräumen, damit sich die Besucher diese nicht gegenseitig über den Kopf ziehen können.
Die Kneipenkette Wetherspoon hat sich dagegen entschieden, das Spiel in ihren Glasgower Bars zu übertragen. Zugunsten der Sicherheit verzichtet sie auf eine der größten Einnahmequellen des Jahres. Beim Aufeinandertreffen zwischen Rangers und Celtic im Jahr 2011 nahm die Polizei 257 Personen fest. Old Firm sei so, sagte einmal der Celtic-Fan Tommy Carberry gegenüber der Zeitung „Scotsman“, als würde man alle fünf Minuten eine Linie Koks ziehen.