Nürnbergs Schleudertrauma und die Folgen
Der Club ist ein Depp
Kaum ein Bundesliga-Verein lebt in solchen Extremen wie der 1. FC Nürnberg. Da ist es fast logisch, dass dem Pokalsieg im Jahre 2007 stante pede der sportliche Totalschaden folgte. Und was kommt nach dem Abstieg? 
2. Liga antreten. Denn wer es einst geschafft hat, als amtierender Meister abzusteigen, dem sollte das wohl locker auch als Pokalsieger gelingen. Man hat in der Noris herzlich gelacht über derlei pseudopessimistische Prophezeiungen. Natürlich wusste jeder, der sich in all der Europapokaleuphorie etwas Realitätssinn bewahrt hatte, dass eine Wiederholung der jüngsten Erfolge utopisch war. Ein kommodes Plätzchen irgendwo im Tabellenmittelfeld hätte ja durchaus genügt. Aber absteigen? Mit dieser mit Nationalspielern gespickten Mannschaft, diesem treuen Publikum und dem mindestens besten Trainer der Welt? Nein, so ein Horrorszenario klang dann doch zu absurd.
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Am 17. Mai war in Nürnberg keinem mehr zum Lachen zumute. Fast genau ein Jahr, nachdem man den DFB-Pokal in den Berliner Nachthimmel gestemmt hatte, besiegelte eine 0:2-Pleite gegen Schalke den siebten Sturz ins Unterhaus und kürte den Altmeister zugleich zum Rekordabsteiger. Gestern noch gegen Everton, St. Petersburg und Benfica, morgen in Ingolstadt, Koblenz und Ahlen – die zweite historische Katastrophe war perfekt. »Der Club is a Depp!«, pflegt der Franke in solchen Momenten zu sagen, und es schwingt stets ein Hauch Fatalismus mit.

Auch 2008 ist das Schicksal des 1. FCN eng mit einem Mann verbunden, der dem Nürnberger Fußball zunächst eine spektakuläre Renaissance beschert hatte. Im Herbst 2005 übernahm Hans Meyer den fränkischen Patienten als scheintotes Schlusslicht, führte ihn in einer grandiosen Rückrunde bis auf Rang acht und ließ im Jahr danach gar Platz sechs folgen, Pokaltriumph inklusive. Eine ganze Region lag dem listigen Thüringer darauf zu Füßen und hätte ihm am liebsten umgehend ein Denkmal gebaut.
Doch hinter den Kulissen war längst nicht alles eitel Sonnenschein. Etliche Profis waren den bisweilen harschen Umgangston, die überstrapazierte Ironie und die Launenhaftigkeit des 65-Jährigen leid. Meyer regierte in einer zunehmend autokratischen Art, kanzelte Kritiker selbstgefällig ab und leistete sich fatale Fehleinschätzungen bei der Kaderzusammenstellung. Exemplarisch mag der unsinnige Wintertransfer des tschechischen Auslaufmodells Jan Koller stehen – benötigt wurde eigentlich viel dringender ein flinker Außenstürmer.
Letztlich entwickelte sich eine negative Eigendynamik
Als kontraproduktiv erwiesen sich die rauschhaften Erlebnisse im Europapokal, die die Sinne vernebelten und die prekäre Lage in der Liga übertünchten. Viel zu lange wurde das trügerische Potenzial eines spielstarken Teams beschworen, das sich im Existenzkampf jedoch mental überfordert zeigte, keine echten Leader in seinen Reihen hatte und Ausfälle kaum kompensieren konnte. Letztlich entwickelte sich eine negative Eigendynamik, die von nichts und niemandem und auch von »Konzepttrainer« Thomas von Heesen nicht mehr zu stoppen war.
Des Volkes Trauer hielt sich diesmal allerdings in Grenzen. Ein paar Tränen, ein paar Proteste am Stadiontor – es gab schon dramatischere Abschiedsszenen. Der inzwischen verstorbene Ex-Manager Edgar Geenen hatte wohl recht, als er einst feststellte: »Im Elend sind wir ja schon routiniert.« Vielleicht aber hat man auch einfach nur begriffen, dass dieser Verein eben eine Angelegenheit der emotionalen Extreme ist. Heute himmelhoch jauchzend, morgen zu Tode betrübt. Und vermutlich macht genau das die fast bizarre Faszination aus, die der Club seit jeher auf die Menschen ausübt.
Zum Trainingsauftakt jedenfalls empfingen gleich mal wieder 1600 Fans den Absteiger mit freundlichem Applaus. Von Aufbruchstimmung war danach die Rede und dass man den »Betriebsunfall« umgehend reparieren wolle. Den mahnenden Einwand, der Club sei ja auch schon bis in die Regionalliga durchgereicht worden, mochte hingegen niemand hören. Nicht mal im Spaß.