Glücksspiel, Krieg, Gefängnis – das Leben des Vlado Kasalo gleicht einem Mafia-Film. Was macht er eigentlich heute? Eine Audienz beim König von Zagreb.
Casual Friday in Kroatien. Vlado Kasalo trägt Sonnenbrille, Jeans, Après-Ski-Daunenjacke und signalrote Turnschuhe. Er fährt mit seinem schwarzen BMW 318 durch Zagreb, als gehöre ihm die Stadt. Und ein bisschen ist das auch so. Wenn er den Wagen parkt, kommen die Menschen zu ihm und rufen „Hallo, Vlado!“, Vlado legt dann seinen Arm um sie und fragt: „Mein Freund, was macht das Leben?“ Er ist der König von Zagreb.
In einem Fischrestaurant trifft er seinen alten Kumpel Ivo Cicic, halblanges zurückgekämmtes Haar, aufgewachsen in Berlin, früher Gastwirt, heute Chef eines Zagreber Wettbüros. Am Maksimir-Stadion klatscht er mit Zoran Mamic ab, auch ein ehemaliger Bundesligaspieler, VfL Bochum und Bayer Leverkusen, jetzt Trainer von Dinamo Zagreb. Und ein paar Straßen weiter winkt Nana, „die beste Friseurin von allen“, wie der König sie nennt, seit 27 Jahren schneidet sie ihm bereits die Haare. „Vlado, oh, Vlado“, sagt sie, „er kennt hier alle“, und Vlado lächelt. Dann geht er in ihren Salon und lässt sich ein wenig die Kopfhaut massieren. Als er zahlen möchte, winkt Nana ab, das passt schon. Küsschen links, Küsschen rechts, wir sehen uns, Schätzchen. Dieser Kasalo wirkt wie die leicht überzeichnete Figur eines Balkan-Krimis: Alle Geschäfte erledigt? Klar! Also Sonnenbrille auf und den Fuß wieder aufs Gaspedal. Eine Hand am Steuer und immer auf der Suche nach dem nächsten Überholmanöver.
Noch hat Kasalo viel Freizeit, denn erst in zwei Wochen beginnt sein neuer Job. Er wird als Scout und Spielanalytiker bei Dinamo arbeiten, irgendwas Geregeltes müsse er ja machen, sagt er. In ein paar Tagen will er sich zwar auch einen 5er BMW kaufen, in Weiß, noch ein bisschen dicker, noch ein bisschen breiter als der, den er schon hat. Aber immer nur mit dem Auto rumfahren, und sei es als König von Zagreb – das kann nicht alles sein.
Kasalos Welt besteht aus Gegensätzen und Extremen
Und wo sollte er wieder ins Fußballgeschäft einsteigen, wenn nicht bei Dinamo? Hier spielte er als Profi, hier war er später Sportdirektor und Jugendtrainer. Und selbst wenn er kein Amt ausübte, traf man ihn jede Woche irgendwo im Umlauf des Maksimirs. Bei wichtigen Spielen saß er mit seinen Freunden in der VIP-Loge, bei Trainingseinheiten stand er am Zaun, mit zwei Schachteln Zigaretten und einer Menge Geschichten in petto, zwischen Kiebitzen und anderen einstigen Dinamo-Helden. „So ist Leben!“, sagt Kasalo. „Leben ist scheiße!“ Das sagt er ziemlich oft, dabei meint er es nicht so, denn eigentlich läuft es gerade wieder mal ganz gut. Die Sache ist nur: Kasalos Welt besteht aus Gegensätzen und Extremen. Aus Top oder Flop, Freund oder Feind, super oder scheiße.
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Am 5. April 1991 lief es erst auch total super und dann total scheiße. Kasalo saß in seinem Lieblingscasino und fühlte sich wie der König von Nürnberg. Er hatte auf diesem Platz schon einmal 270 000 Mark verloren, doch an jenem Freitagabend fielen die Barbut-Würfel, wie er wollte. Kasalo gewann einen fünfstelligen D‑Mark-Betrag und riss jubelnd die Arme in die Luft. Plötzlich zuckte er zusammen. „Hände hoch!“, rief jemand, Kasalo drehte sich um und blickte in die Pistolenläufe der Polizisten. „Ich habe sie doch schon oben!“, stammelte er. In der rechten Hand hielt er den Geldbatzen, in seiner linken den Würfelbecher. Wo Kasalo ist, ereignen sich Filmszenen. Diesmal: „Goodfellas“ in Nürnberg.
Nürnberg, der Goldene Westen
Er war im Sommer 1989 für die Rekordablöse von 1,3 Millionen Mark aus Zagreb zum Club gewechselt. Franz Beckenbauer hatte den Jugoslawen empfohlen. „Den könnt ihr blind nehmen“, hatte er gesagt, und Nürnbergs Präsident Gerd Schmelzer glaubte, einen „richtig dicken Fisch“ geangelt zu haben. In der Tat war Kasalo bis dahin eine große Nummer in seiner Heimat gewesen. Bei Dinamo galt er als einer der Topstars, er war Jugoslawiens Hoffnung für die WM 1990 und hatte in Kiew neben Zico und Claudio Gentile in der Weltauswahl gespielt. Nun also Deutschland, Nürnberg, Mittelfranken, der Goldene Westen.
Als er zu Vertragsverhandlungen in Schmelzers Büro saß, stellte er zur Überraschung seines Beraters Forderungen. „Ich will 30 000 Mark pro Monat und dasselbe Auto haben wie Sie“, sagte er zum Club-Präsidenten, während der Berater in seinem Sessel versank. Für Kasalo hingegen war das ein bekanntes Spielchen, schon immer hatte er seine Deals ausgezockt. Bei seinem zweiten Profiverein, Olimpija Osijek, unterschrieb er nur, weil der Trainer versicherte, ihm eine besonders teure Lederjacke zu kaufen. Als nun der Berater beschwichtigen wollte, lachte Schmelzer laut auf und sagte: „Kein Problem, mein Freund!“, und Kasalo, der in Osijek ohne Vater als Sohn einer Kurierdienstfahrerin aufgewachsen war, der sich in seiner frühen Karriere mit Supermarkt-Bons statt mit regelmäßigen Gehältern durchgeschlagen hatte, sah mit einem Mal, dass er es in Deutschland zu etwas bringen könnte. Zumindest auf der Straße. Fortan fuhr er mit einem Mercedes-Coupé 300 durch die Stadt, kaufte sich Schuhe für 800 Mark, Anzüge für 1500 Mark und, wenn noch Geld übrig war, ein paar goldene Rolex für seine Freunde.
Die Presse spottete über den Millionen-Fehleinkauf
Doch sportlich lief es überhaupt nicht. Niemand verstand ihn, und er verstand niemanden. Mit Souleyman Sané spielte anfangs nur ein weiterer Ausländer in Nürnberg, doch der lebte schon über fünf Jahre in Deutschland. Und während sich der Senegalese bei Mannschaftsabenden mit den Mitspielern Witze erzählte, verschwand Kasalo so schnell wie möglich in seine überdimensionierte Wohnung, schaltete den Fernseher ein und dachte, dass ihm die anderen mal den Buckel runterrutschen könnten, schließlich lebte er wie ein König.
Nach fünf Spielen verletzte sich Kasalo so schwer, dass er einige Monate ausfiel. Während die Presse über den Millionen-Fehleinkauf herzog, pendelte Kasalo zwischen Reha-Klinik und Einkaufspassage. Er fuhr jedoch ohne gültigen Führerschein, und die Polizisten in Deutschland waren aus anderem Holz als die in seiner Heimat. Als sie Kasalo zum dritten Mal erwischt hatten, musste er 25 300 Mark Strafe zahlen. Zudem bekam er eine einjährige Bewährungsstrafe.
Also ging es zu Fuß durch die fremde Stadt, in Diskotheken und Bars, in Boutiquen und Cafés. Wenn ihn Frauen ansprachen, zeigte er ihnen seine Uhren und seine Schuhe, und wenn Journalisten fragten, ob er Zeit für ein Interview habe, sagte er: „Natürlich, mein Freund!“, und lederte los. Einmal erzählte er, dass es für ihn keine Ehre sei, bei der WM 1990 für Jugoslawien zu spielen. Ivica Osim strich ihn prompt aus dem Kader. Ein anderes Mal fragte ihn ein Radiomoderator, ob er sich als Jugoslawe fühle. Kasalo antwortete, dass er einen jugoslawischen Pass habe, doch im Herzen ein Kroate sei. Kurze Zeit später lernte er in der Stadt ein paar Männer kennen. „Vlado, wir sind Kroaten, so wie du“, sagten sie, und Kasalo ging mit ihnen.
Vielleicht wäre vieles auch dann schiefgelaufen, wenn er damals nicht mitgegangen wäre. Vielleicht aber bedeutete dieser Moment den Anfang vom Ende in Deutschland. Denn Kasalo fand sich bald in einer Halbwelt aus verrauchten und schlecht beleuchteten Hinterzimmern wieder. Einer wieder mal filmreifen Kulisse, in der Männer mittleren Alters kurz vor dem Untergang mit Armani-Anzügen und Manschettenknöpfen posierten, bevor sie in Schuppen mit Namen wie „Tropicana“ oder „Monte Carlo“ ihre letzten Geldreserven in Automaten steckten und wieder mal vergeblich auf die drei Kirschen warteten.
Kasalo faszinierte diese Welt naturgemäß. Sie war anders als die heile und immergleiche Welt der Mannschaftsabende, wo seine Mitspieler Schafkopf um ein oder zwei Mark spielten. Als er einmal mit einem Verband an der Hand auf der Geschäftsstelle erschien, fragte ihn sein Trainer Hermann Gerland, was passiert sei. „Bin die Treppe runtergefallen!“, antwortete Kasalo. In Wahrheit hatte er sich geprügelt, im „Tropicana“ oder im „Monte Carlo“, so genau erinnert er sich nicht mehr. Er weiß nur, dass ihm mal wieder jemand dumm gekommen war.
„Eins, zwei, Polizei, drei, vier, Grenadier“
„Ich bin ein Kindskopf“, sagt Vlado Kasalo und fährt den BMW vorbei am Nationaltheater und am Mimara-Museum. Er ist 51 Jahre alt, 1,86 Meter groß, inzwischen bringt er fast 100 Kilo auf die Waage. Er hat breite Schultern, kantige Gesichtszüge, aber er hat Recht: Das Kind ist immer noch da. Wenn ihm etwas in den Sinn kommt, spricht er es sofort aus. Wortfetzen, Halbsätze, Assoziationsketten. Schweigen erträgt er nicht. „Ich liebe Deutschland!“, sagt er, und dann folgt ohne ersichtlichen Grund der 77er-Kader des HSV: „Kargus, Kaltz, Memering, Nogly, Magath, Reimann, Volkert … Keegan!“ Dann plötzlich Fragen nach alten Weggefährten. „Was macht Gerd Schmelzer? Was macht Dieter Eckstein?“, Namen, die auf einer Zagreber Stadtautobahn wohl noch nie gefallen sind. Tempo, Tempo, Höllentempo, da hinten die Lücke, rechts, dann links, noch einmal überholen, Gelächter. „Mein Freund, alles Spaß!“
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Schließlich zündet Kasalo sich die siebzehnte Zigarette an diesem Tag an und setzt weitere Bruchstücke seiner Vergangenheit zusammen: wilde Partys in Berliner Diskotheken, ausufernde Shoppingtouren am Hamburger Neuen Wall und ein Lied, das er damals ganz gerne mochte: „Eins, zwei, Polizei, drei, vier, Grenadier.“ Ein Euro-Dance-Hit aus den frühen Neunzigern von der Gruppe Mo-Do.
Waren die Glücksspiele illegal?
Er klopft den Rhythmus aufs Lenkrad, und erst als er den Wagen vor seinem Haus auf den Hof fährt, ist es kurz still und er für einen Moment ganz klar. Die Filmszenen aus dem „Tropicana“ und „Monte Carlo“, jetzt sieht er sie deutlicher: Spielkarten auf grünen Tischen, die lauter werdenden Signaltöne der Slotmachine, vor ihm Scheine in der Geldklammer, neben ihm mal keine Freunde, mal echte Freunde, mal falsche Freunde. Typen, die in Deutschland gestrandet waren, einige aus Zagreb, andere aus Split, Typen, von denen es später hieß, dass sie in den Krieg gezogen seien. Doch sie alle kümmerten sich um ihn, und, was noch viel wichtiger war, sie schauten zu ihm auf. „Das war nicht illegal“, sagt Kasalo. Er legt den Kopf in den Nacken und holt Luft. Wieder Gelächter, so laut, als wolle er das, was er jetzt sagt, einfach übertönen. Also ganz schnell: „Aber auch nicht legal!“
Er steigt aus und betritt das Haus, hier lebt er mit seiner zweiten Frau Katarina und Vito, ihrem gemeinsamen sechsjährigen Sohn. Im Wohnzimmer ein Ledersofa, ein Flachbildfernseher, eine Wand in Violett, Bilder in Goldrahmen, ein paar Pokale in einer Glasvitrine. „Guck hier“, sagt Kasalo und zeigt auf ein Bild vom ersten Spiel der kroatischen Nationalmannschaft gegen die USA. Es fand am 17. Oktober 1990 statt, und der FCN verbot ihm damals, zum Spiel zu reisen. Kroatien war noch keine anerkannte Nation, weshalb die Versicherung für die Reise keine Haftung übernahm. Er scherte sich nicht darum und verschwand. Kroatien gewann 2:1. „Es war das wichtigste Spiel meiner Karriere!“, sagt Kasalo. Als er nach Nürnberg zurückkehrte, musste er 25 000 Mark Strafe zahlen. Er hätte auch 200 000 Mark bezahlt, sagte er später mal. Heute sagt er: „Das ist Leben. Leben ist scheiße.“
Die ganz große Scheiße begann am 16. März 1991, als Vlado Kasalo gegen den VfB Stuttgart ein Eigentor köpfte. Zwar bezeichnete ihn der „Kicker“ da noch als den „Herrn der Lüfte“ und gab ihm die Note 2, doch weil Kasalo eine Woche später beim Karlsruher SC wieder ins eigene Tor traf, kursierten nach dem Spiel Gerüchte. Es hieß, Kasalo habe die Eigentore erzielt, um seine Schulden bei der kroatischen Wettmafia zu zahlen. „Wenn das Absicht war, kann er im Zirkus auftreten“, sagte Otto Rehhagel damals. Tatsächlich war das zweite Eigentor akrobatisch: Kasalo setzte den Ball mit dem Hinterkopf in den Winkel.
„Große Pech für mich“
Doch auch Rehhagel konnte Kasalo nicht retten. Der Spieler selbst machte sogar alles noch schlimmer. Einem „Anpfiff“-Reporter versuchte er mit seinen paar Brocken Deutsch seine Situation zu erklären. „Große Pech für mich“, sagte er. „Jetzt für mich: ein bisschen Angst.“ Ein bisschen Angst?, fragte man sich in Nürnberg. Vor wem denn?
Es dauerte keine Woche, bis sich in der Presse alles vermischte, was man bislang über den Jugoslawen zu wissen glaubte: die dicken Autos, die verrauchten Casinos, die schönen Frauen, die langen Haare, das viele Bargeld. Am Ende stand das Klischee: Jugo-Betrugo. Nachdem die Polizisten Kasalo am 5. April 1991 wegen des Verdachts auf Spielmanipulation aus dem Casino gezerrt hatten, entzog der DFB ihm seine Spielerlizenz, der FCN suspendierte ihn, und weil Fluchtgefahr bestand, musste er seinen Reisepass abgeben und sich jeden Tag auf der Polizeiwache melden.
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„Wir hatten Hinweise bekommen“, sagte Sven Oberhof, damals Interimspräsident beim 1. FC Nürnberg. „Was für Hinweise?“, fragt Kasalo heute, über 20 Jahre später. „Wo hätte ich denn wetten sollen?“, fragt er und zählt auf: „Führerschein? Okay, scheiße! Glücksspiel? Ja, auch das, scheiße! Aber Wettmafia? Niemals!“ Die Anklage stützte sich auf den Hinweis eines Taxifahrers. Dieser hatte nach der Niederlage gegen den KSC zwei Gäste gefahren, die sich über die Eigentore freuten. Sie sollen zuvor Geld auf eine Nürnberger Niederlage gesetzt haben. „Die Anklage wurde fallengelassen, weil es keinerlei Beweise gab“, sagt Kasalos damaliger Anwalt Matthias Prinz heute.
„Was soll man denn tun, wenn Krieg ist?“
Es ist Abend geworden in Zagreb. Vlado Kasalo hat sich umgezogen und fährt zu einem Freund, der in einem Schrebergarten eine kleine Party schmeißt. Es gibt Fleisch und Bier. „Ich bin vermutlich der einzige Fußballprofi, der nichts hatte, als er aus dem Westen heimkehrte“, sagt er. Kasalo verließ Deutschland im Sommer 1991 mit 50 000 Mark Schulden. Doch auch in Zagreb kam er nicht zur Ruhe. Weil in Kroatien gerade Krieg herrschte, schnappte sich Kasalo eine Waffe und patrouillierte als Soldat durch die Stadt. Zwei Cousins und sein Patenonkel waren ermordet, Bekannte verschleppt worden. Da stand er nun, immer auf der Hut, immer in Sorge, dass gleich die Serben einmarschieren würden, und nachts weinte er sich in den Schlaf. „Wie kann ich das erklären?“, fragt er nun. „Was soll man denn tun, wenn Krieg ist?“
Als er aufsteht, sieht dieser große Mann wieder aus wie ein Schuljunge, naiv, gutgläubig, euphorisch und immer auf dem Weg, auch dorthin, wo er nicht hätte hingehen sollen. Heute würde er den Krieg am liebsten in einen großen Sack stecken und hinter dem Haus vergraben. Doch es ist, wie es ist: Was man behalten will, vergisst man, was man vergessen will, behält man. „Ich war nicht politisch, ich hasse weder Muslime oder Serben“, sagt er dann. „Ich war doch nur loyal.“
„Seine Sonnenbrille war teurer als alles andere in der Kabine“
Eigentlich hatte Kasalo damals seine Fußballschuhe bereits an den Nagel gehängt. Doch dann, im Sommer 1992, kam der Anruf von Josip Kuze. „Vlado, mein Freund, ich brauche dich hier!“, sagte der Trainer, der kurz zuvor beim FSV Mainz 05 angefangen hatte. Kasalo ließ sich überzeugen, und auf einmal stand er wieder in der Kabine einer deutschen Fußballmannschaft. Auf den ersten Blick hatte sich nichts verändert, denn Kasalo war schon wenige Tage nach seiner Ankunft bei Versace shoppen gegangen. „Schon seine Sonnenbrille war teurer als alles andere in der Kabine“, sagt sein ehemaliger Mitspieler Guido Schäfer. Zudem gerieten die ersten Trainingseinheiten zur Tortur, denn Kasalo, eben noch Soldat, machte nach zwei Runden schlapp und schlief manchmal auf der Massagebank ein.
Und doch war es beim Zweitligisten anders als in Nürnberg. Zum einen spielte er bald so gut, dass er mehrmals in die „Kicker“-Elf der Woche und des Monats gewählt wurde. Außerdem fand er mit Schäfer einen Verbündeten. „Die langen Haare, sein Mercedes 500, die Schuhe, er war verdammt cool“, sagt Schäfer. „Wir hielten nach Frauen Ausschau und gingen zusammen shoppen.“ Einmal kauften sie sich dabei Handys, so groß wie Faxgeräte. Sie kosteten über 1000 Mark. Anrufen konnten sie sich aber nur gegenseitig, denn die Apparate waren die einzigen, die bis dahin in Mainz im Umlauf waren.
An den Abenden nahm Kasalo seinen neuen Freund mit in eine Welt, die dieser bis dahin nicht kannte. „In den kroatischen Cafés war er geachtet und gefürchtet“, sagt Schäfer. „Ich habe ihn nie darauf angesprochen, doch es war klar, dass Vlado Kontakte in Kreise hatte, die wir anderen vielleicht nur aus dem Kino kannten.“ Als einmal bei einem Auswärtsspiel bei Tennis Borussia Berlin in die Kabine eingebrochen wurde, fragte Kuze, ob jemand etwas vermisse. Kasalo meldete sich: „Ja, Trainer, 25 000 Mark sind weg.“ Schäfer und die anderen guckten irritiert, doch Kasalo zog die Schultern hoch. Er sagte, er habe so viel Bargeld bei sich gehabt, um später mit seinem Vater im KaDeWe shoppen zu gehen.
Als Suker in Mainz brillierte
Doch in Mainz verzieh man ihm das wilde Leben, auch weil Kuze große Stücke auf seinen Landsmann hielt und die restlichen Spieler den Kroaten wegen seiner Leistung respektierten. Sie feierten in großen Runden Siege und Geburtstage, und einmal brachte Kasalo Julischka mit, eine kroatische Likörspezialität, die viele Mitspieler derart berauschte, dass sie sich damit am Ende des Abends gegenseitig einrieben. Sie trainierten zusammen wie eine Mannschaft von Freunden, Steffen Herzberger, Guido Schäfer, Thomas Zampach, und manchmal kam ein guter Freund Kasalos vorbei und tunnelte Holger Greilich oder schoss Stephan Kuhnert mit ins Tor. Als der Mainzer Jürgen Klopp erstaunt fragte, ob der Unbekannte auch Fußballprofi sei, antwortete Kasalo: „Das ist mein Kumpel aus Zagreb, er ist gerade nach Sevilla gewechselt. Merk dir seinen Namen: Davor Suker!“
Die Mannschaft beendete die Saison 1992/93 auf Rang zwölf, und eigentlich hätte es immer so weiter gehen können. Doch eines Nachts, im Frühjahr 1994, als Vlado Kasalo nicht einschlafen konnte, riss er einen Koffer aus dem Schrank und packte seine Sachen. Er setzte sich ins Auto und fuhr gen Südosten, immer weiter, bis er in Zagreb ankam. Ein paar Tage später erreichte Kuze ihn am Telefon. „Wo bist du?“ – „Zagreb!“ – „Warum?“ – „Keine Lust mehr!“ – „Komm bitte zurück!“ – „Nein!“ Kuze bot ihm noch an, mit nach Japan zu gehen, für die schnelle Million in einer Liga, wo Kasalo wieder mal einer der Superstars gewesen wäre. Doch auch das Angebot lehnte Kasalo ab. Am nächsten Tag stellte sich Kuze vor die Spieler: „Der Vlado kommt jetzt nicht mehr!“ Es war das letzte Mal für viele Jahre, dass sie seinen Namen hören sollten.
„So bin ich halt“
Warum er abgehauen ist, kann er bis heute nicht erklären. Irgendein wirrer Gedanke in der Nacht. Die Angst davor, dass es nicht mehr scheiße, sondern gut werden könnte. Das Kind, das weiterrennen muss, egal wohin. Der Wunsch, alles wieder auf eine neue Karte zu setzen. „So bin ich halt“, sagt er, und dann ist es zum zweiten Mal an diesem Tag kurz still.
Zurück in Kroatien wurde er Sportdirektor bei Dinamo, doch kurze Zeit später ging wieder einiges schief. Er bekam Geldprobleme und war kein König mehr. Eines Tages wurde er wegen Waffenbesitzes verhaftet. Bald war es auch der kroatischen Justiz zu bunt. Kasalo musste für ein Jahr ins Gefängnis. „Wäre ich bloß nach Japan gegangen“, sagt Kasalo heute. „Dann wäre das nicht auch noch passiert.“
„Alles super, mein Freund, alles super“
Erst in den vergangenen Jahren ist er ein wenig zur Ruhe gekommen. Auch wegen Katarina und Vito. Jetzt noch der Job als Scout, „alles super, mein Freund, alles super“, findet Kasalo. Er öffnet ein Dosenbier und prostet seinen Kumpels zu, die ihn in die Mitte genommen haben, damit sie ja nichts verpassen von seinen Geschichten. Von dem Mann, über den man in Deutschland immer noch redet. Manchmal jedenfalls.
Danach wieder die Straße, die Lichter, die Nacht, eine Hand am Steuer und Mo-Do im Ohr. Eins, zwei, Polizei. Später noch ein Likör in einer Bar. Auf dem Bildschirm eine Zweitligapartie aus Portugal. Neulich hätte er beinahe im Euro-Lotto gewonnen, sagt Kasalo. Es fehlte nur eine Zahl, dann wäre er Multimillionär gewesen. Es fehlte nur eine verdammte Zahl, doch sie kam nicht. Alles scheiße, mein Freund.