Wir bauen unsere Seite für dich um. Klicke hier für mehr Informationen.

Bra­si­lien hat in den ver­gan­genen zwei Jahr­zehnten eine erstaun­liche Wand­lung durch­ge­macht – vom Ent­wick­lungs­land hat man es zu einer der wirt­schafts­stärksten Nationen der Welt gebracht. Im nächsten Jahr wird das Land die Fuß­ball-Welt­meis­ter­schaft aus­richten, 2016 finden dann in Rio de Janeiro die Olym­pi­schen Spiele statt. Umso scho­ckie­render, dass trotz aller Erfolge für Land und Leute immer noch ein Han­dels­zweig pro­spe­riert, den man wohl eher im Mit­tel­alter oder der frühen Neu­zeit ver­orten würde: Men­schen­handel ist in Latein­ame­rikas größtem Staat wei­terhin an der Tages­ord­nung. Und das in kaum vor­stell­baren Dimen­sionen. Mit­ten­drin: der Fuß­ball.

Zehn Mil­li­arden Euro Umsatz allein in Bra­si­lien

Die Behörden scheinen das Pro­blem her­un­ter­spielen zu wollen. Laut bra­si­lia­ni­schem Jus­tiz­mi­nis­te­rium wurden seit 2005 nur 514 Fälle erfasst, doch eine US-Studie spricht von bis zu meh­reren hun­dert­tau­send Ver­schleppten – pro Jahr. Auch die Zahlen der UNO spre­chen eine deut­liche Sprache: welt­weit sind jedes Jahr 2,5 Mil­lionen Men­schen direkt oder indi­rekt vom Men­schen­handel betroffen. Kri­mi­nelle Orga­ni­sa­tionen locken ihre Opfer unter fal­schen Ver­spre­chungen und bringen sie so dazu, ihnen zu vetrauen – und ver­dienen damit jedes Jahr Unsummen an Geld, laut inof­fi­zi­ellen Schät­zungen bis zu zehn Mil­li­arden Euro per annum alleine in Bra­si­lien. Welt­weit sollen es der UNO zufolge 32 Mil­li­arden Dollar sein.
 
Die typi­schen Opfer sind junge Frauen aus einem insta­bilen sozialen Hin­ter­grund“, sagt Maricio San­to­roso von Amnesty Inter­na­tional Bra­si­lien. Sie stammen häufig vom Land oder aus kleinen Städten. Die Men­schen­händler machen ihnen Illu­sionen von einer gut bezahlten Arbeit im Aus­land als Kell­nerin, Baby­sitter oder Haus­mäd­chen, ohne dass sie dafür einen Schul­ab­schluss brau­chen würden. Tat­säch­lich enden diese Mäd­chen dann aber als Pro­sti­tu­ierte.“
 
Doch nicht nur junge Frauen werden zu Opfern des Men­schen­han­dels: Das Pro­blem betrifft auch talen­tierte Nach­wuchs­fuß­ball­spieler, die von der ganz großen Kar­riere als Profi träumen. In Bra­si­lien gibt es unzäh­lige zwie­lich­tige Agenten, die diese Jungen aus­beuten und sie wie Sklaven in Länder wie China, Vietnam oder Indien ver­kaufen. Die Vor­ge­hens­weise der Kri­mi­nellen ist dabei immer die­selbe: Sobald die Opfer an ihrem aus­ge­machten Zielort ankommen, werden ihnen sämt­liche Doku­mente weg­ge­nommen, sie werden ein­ge­schüch­tert, not­falls mit Gewalt, und rund um die Uhr über­wacht. Nicht selten sind auch Dro­hungen gegen Fami­li­en­an­ge­hö­rige, sollten die Opfer die Polizei auf­su­chen. Die meisten dieser Ver­bre­chen werden des­halb nicht einmal ange­zeigt, sei es nun aus Angst oder auch aus Scham. Eine 2012 zum Thema im bra­si­lia­ni­schen Bun­des­staat Pará erho­benen Studie belegt die Exis­tenz ganzer Netz­werke sol­cher Gangster, die die hoff­nungs­vollen Jungen mit Kne­bel­ver­trägen an sich fes­seln.

Die Haupt­trans­port­routen ver­laufen dabei aus dem Osten und Nord­osten des Landes in Rich­tung der großen bra­si­lia­ni­schen Städte. Juliana Feli­ci­dade Armede kennt das Pro­blem als Koor­di­na­torin im Minis­te­rium für Justiz und Ver­tei­di­gung des Bun­des­staates Sao Paulo sehr genau: Diese Jungen erhalten weder eine Schul­bil­dung, noch ist ihre Wohn­si­tua­tion oder ihre Ernäh­rung gere­gelt. In stän­diger Unsi­cher­heit werden sie mit­tels phy­si­scher und nicht selten auch sexu­eller Gewalt ein­ge­schüch­tert, was natür­lich gegen das Gesetz ver­stößt.“
 
Aber nicht nur inner­halb des Landes blüht der Men­schen­handel, junge Fuß­ball­spieler werden auch aus Län­dern wie China, Paki­stan oder Korea nach Bra­si­lien ver­schleppt. Der bra­si­lia­ni­sche Staat macht ihnen Ver­spre­chungen von Chancen im Land – das ist zumin­dest das, was ihre Agenten“ ihnen weiß machen wollen. Diese Kinder leiden teil­weise noch mehr als ihre bra­si­lia­ni­schen Leid­ge­nossen, da sie zu alledem noch von Staat und Behörden als ille­gale Ein­wan­derer behan­delt werden. Renato Mendes, Koor­di­nator der Inter­na­tio­nalen Arbeits­or­ga­ni­sa­tion, sagte vor dem bra­si­lia­ni­schen Kon­gress zu den Aus­wir­kungen der Fuß­ball-Welt­meis­ter­schaft und der Olym­pi­schen Spiele, es werde durch diese Groß­ereig­nisse die Illu­sion erweckt, dass eine Kar­riere als Profi tat­säch­lich zum Greifen nah ist.“ Um sich diesen Traum zu ver­wirk­li­chen, begäben sich die Jungen in Abhän­gig­keits­ver­hält­nisse zu kri­mi­nellen Agenten.

Nur 17 von 26 Bun­des­staaten spre­chen sich gegen die Ver­skla­vungen aus
 
Der Men­schen­handel hat in Bra­si­lien eine große Tra­di­tion“, sagt Juliana Mar­chado Brito vom Volks-Komittee für die Fuß­ball-Welt­meis­ter­schaft und die Olym­pi­schen Spiele. Betroffen sind vor allem Städte wie Recife, Sal­vador de Bahia und Bra­silia, aber auch Rio de Janeiro und Sao Paulo.“ Beson­ders scho­ckie­rend: Viele Opfer werden nicht etwa ent­führt, son­dern wissen oft sehr wohl, worauf sie sich ein­lassen, wenn sie sich mit Men­schen­händ­lern abgeben. Sie stammen aber aus derart ärm­li­chen Ver­hält­nissen, dass sie trotz aller mög­li­chen Zweifel gar keine Alter­na­tive mehr sehen.
 
In einem stimmen Armede, San­to­roso und Brito daher überein: Nur durch durch Infor­ma­tion und Auf­klä­rung kann der Staat für eine Ent­span­nung der Situa­tion sorgen. So müssten auch die Rechte der Opfer gestärkt werden – damit diese den Traum von einem bes­seren Leben zukünftig wieder selbst träumen dürfen. Und schließ­lich müsse der Staat ent­spe­ch­ende Gesetze erlassen, denn so unglaub­lich es auch klingen mag: Men­schen­handel wird in Bra­si­lien bis­lang nur als Ver­bre­chen betrachtet, wenn er zum Zwecke der Pro­sti­tu­tion aus­ge­führt wird. Prä­si­dentin Dilma Rousseff und ihr Kabi­nett haben jüngst eine Agenda auf­ge­setzt, um den Men­schen­handel in Zukunft effek­tiver zu bekämpfen. Die Erfolgs­aus­sichten auf natio­naler Ebene sind jedoch gering: Von 26 Bun­des­staaten betei­ligten sich ledig­lich 17.