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Nachdem Mario Götze dieses wun­der­bare Tor geschossen hatte, die deut­sche Mann­schaft den WM-Pokal in den Nacht­himmel von Rio streckte und Joa­chim Löw nun end­lich zu einer his­to­ri­schen Figur geworden war, fühlte sich alles auf einmal ganz schlüssig an. Der Weg mochte lang gewesen sein, voller Hin­der­nisse und unver­hoffter Ver­zwei­gungen. Aber nun war das Ziel erreicht.

Doch um wirk­lich zu ver­stehen, wie weit, hin­der­nis­reich und ver­schlungen er war, muss man an seinen Anfang zurück­kehren oder an einen seiner Anfänge. Etwa den in einem Hotel irgendwo mitten in Hessen, wo im Früh­jahr des Jahres 2000 eine Gruppe von ehe­ma­ligen Natio­nal­spie­lern zusam­men­ge­kommen war, um sich zu Fuß­ball­trai­nern aus­bilden zu lassen. Welt­meister wie Jürgen Klins­mann, Jürgen Kohler und Stefan Reuter saßen dort in einem Tagungs­raum, von dem aus man auf den benach­barten Golf­platz schauen konnte, oder Euro­pa­meister wie Mat­thias Sammer, Oliver Bier­hoff, Dieter Eilts, Andreas Köpke und Stefan Kuntz. Sie sollten, das war die Idee des dama­ligen Bun­des­trai­ners Berti Vogts, im Rahmen eines ver­kürzten Son­der­lehr­gangs zu Fuß­ball­leh­rern aus­ge­bildet werden. 

Es waren grau­en­hafte Jahre für den deut­schen Fuß­ball. Die Natio­nal­mann­schaft war bei der WM 1998 bereits im Vier­tel­fi­nale an Kroa­tien geschei­tert, und als die Kurs­teil­nehmer gerade ihre Prü­fungen abge­legt hatten, sollte es noch schlimmer werden. Bei der Euro­pa­meis­ter­schaft 2000 in Bel­gien und Hol­land schied das deut­sche Team schon in der Vor­runde aus, es hatte nur einen Punkt geholt und ein Tor geschossen. Natio­nal­trainer war mit Erich Rib­beck ein Mann, der kurz­fristig die Vie­rer­kette in der Abwehr ein­führen wollte, aber gar nicht richtig wusste, wie sie gespielt wird.

Löw wurde mehr­mals als untaug­lich ent­lassen

Einer der stillsten Teil­nehmer des Kurses war ein Trainer gewesen, der wenige Monate zuvor beim Zweit­li­gisten Karls­ruher SC ent­lassen worden war: Joa­chim Löw. Seine Kar­riere als Trainer steu­erte nach gutem Start damals in eine Sack­gasse. Als Assis­tent von Rolf Fringer war er zum VfB Stutt­gart gekommen, wo er nach der Ent­las­sung des Schwei­zers erst Pokal­sieger geworden war und das Finale im Euro­pa­pokal der Pokal­sieger erreicht hatte. Anschlie­ßend war er für eine tur­bu­lente Saison bei Fener­bahce Istanbul in der Türkei gewesen. Den Son­der­lehr­gang absol­vierte Löw, weil er seine Trai­ner­aus­bil­dung in der Schweiz gemacht hatte und noch einen deut­schen Abschluss brauchte.

Richtig gut lief es auch danach nicht weiter. Beim tür­ki­schen Abstiegs­kan­di­daten Ada­naspor blieb Löw nur ein paar Monate, mit dem FC Tirol holte er dann 2002 zwar die öster­rei­chi­sche Meis­ter­schaft nach Inns­bruck, aber der Verein war danach pleite und Löw erneut arbeitslos. Auch bei Aus­tria Wien wurde Löw nicht glück­lich, trotz Tabel­len­füh­rung wurde er im Früh­jahr 2004 ent­lassen. Man muss das einen Moment nach­klingen lassen. Der Mann, der Deutsch­land nun zum vierten Welt­meis­ter­titel geführt hat, wurde mal in Karls­ruhe, Adana und bei Aus­tria Wien als untaug­lich ent­lassen.

Löw hasste Fuß­ball als reines Kampf­spiel

Auf der anderen Seite ist es unfair, das fei­xend fest­zu­stellen, denn Joa­chim Löw fehlten damals noch all die Erfah­rungen, die er seither gemacht hat. Aber die Zeit war auch noch nicht reif für ihn. Seine Vor­stel­lungen von Fuß­ball waren schon damals von zwei Begriffen geprägt, die in jener Zeit im Ver­ständnis von Fuß­ball in Deutsch­land eher Neben­rollen spielten: Ele­ganz und Stra­tegie. Da Löw selber ein tech­nisch ver­sierter Stürmer gewesen war, hatte ihn immer die spie­le­ri­sche Lösung auf dem Platz mehr inter­es­siert als Wil­lens­kraft und deut­sche Tugenden.

In Wirk­lich­keit, das kann er unter vier Augen sehr anschau­lich erzählen, hasste Löw Fuß­ball als reines Kampf­spiel. Und weil er schon als Spieler in die Schweiz gegangen war, wo man immer eher bereit gewesen war, aus­län­di­sche Ideen auf­zu­nehmen, war er mit tak­tisch-stra­te­gi­schen Kon­zepten kon­fron­tiert worden, die damals in Deutsch­land unbe­kannt waren: Vie­rer­ketten in der Abwehr, ball­ori­en­tiertes Ver­tei­digen oder flie­ßendes Posi­ti­ons­spiel im Angriff.

Auch der in der Rück­schau längst his­to­ri­sche Moment des Son­der­lehr­gangs hatte damit zu tun. Joa­chim Löw erklärte dem begeis­terten Jürgen Klins­mann in wenigen klaren Worten, wie eine Vier­kette funk­tio­niert. Als die Revo­lu­tion der deut­schen Natio­nal­mann­schaft 2004 unter dem Change-Manager Klins­mann begann, machte er nicht zuletzt des­halb Löw zu seinem Co-Trainer und Chef­stra­tegen. 

Die beiden, vor allem aber Löw als Bun­des­trainer pro­fi­tierten unge­mein davon, dass in der Folge des Desas­ters der Euro 2000 weit­sich­tige Kräfte im deut­schen Fuß­ball begonnen hatten, den Klubs eine teure Nach­wuchs­ar­beit auf­zu­zwingen. Immer weniger mussten sie den Mangel ver­walten, immer mehr ging es darum, mit einer Fülle von Talenten umzu­gehen. Vor allem bei der rausch­haften WM 2010 in Süd­afrika, als die Spieler um den New­comer Thomas Müller durch das Tur­nier zu fliegen schienen.

Nicht wenige wollten unschönen Fuß­ball und dafür Titel

Es ist mit Blick auf den Titel­ge­winn 2014 erstaun­lich, wie stark trotzdem die Zweifel an Löw blieben. Beson­ders heftig wurden die Absto­ßungs­re­ak­tionen nach der Euro­pa­meis­ter­schaft 2012, vor der Löw ver­kündet hatte, dass man Titel nur mit schönem Fuß­ball holen könne. Das klang für viele Fans wie ein Verrat an der eigenen Fuß­ball­ge­schichte, die doch geprägt von so viele Moment des Tri­um­phes ohne Glanz. Sie sträubten sich, als wolle da jemand in die DNA des deut­schen Fuß­balls ein­greifen. Und nicht wenige wollten, wie immer das gehen sollte, dann doch lieber unschönen Fuß­ball und dafür Titel.

Wäh­rend des Tur­niers in Bra­si­lien wurden die Ände­rungen nach dem Ach­tel­fi­nale gegen Alge­rien, also die Rück­ver­set­zung von Philipp Lahm in die Abwehr und das Spiel mit dem echten Neuner“ Miroslav Klose, daher viel­fach als prag­ma­ti­sche Wende eines gefähr­li­chen Ideo­logen inter­pre­tiert. Fast schien ein Seufzer der Erleich­te­rung durchs Land zu gehen, dass dieses Tur­nier aus deut­scher Sicht keines mehr der ele­ganten Spieler war, wie Mesut Özil und Mario Götze, son­dern eines der Rackerer wie Müller, Klose und sogar Bene­dikt Höwedes.

Von daher war es natür­lich eine hüb­sche Pointe, dass gerade einer der bezwei­felten Spieler, der als fal­scher Neuner“ latent unge­liebte Götze das Finale ent­schied. Und das mit einem Treffer von sub­limer Ele­ganz. Es war zudem ein Spiel, in dem Löw, wie wäh­rend des gesamten Tur­niers, auf alle stra­te­gi­schen Her­aus­for­de­rungen richtig reagierte. Von seiner Reak­tion auf Sami Khe­diras kurz­fris­tigen Aus­fall über die Ver­let­zung seines Ersatzes Chris­toph Kramer bis zur Ein­wech­se­lung von André Schürrle und Götze, die das sieg­brin­gende Tor machten. Löw hatte die Mann­schaft auch sonst per­fekt auf eines der inten­sivsten Spiele der Fuß­ball­ge­schichte vor­be­reitet.

Löw defi­niert eine Ära, die noch lange nicht vorbei ist

Dieser Bun­des­trainer hat in Bra­si­lien kei­nes­falls seine Ideen geop­fert. Aber er hat sie erwei­tert, wie er das auf seinem langen Weg beständig getan hat. In Bra­si­lien war zen­tral der Begriff des Team­ge­dan­kens, wohl auch, weil er 2012 in Polen zwi­schen den Spie­lern aus Mün­chen und Dort­mund Frak­tion zer­rieben worden war. Außerdem waren alle bereit zum Leiden, im Finale allen voran der Schmer­zens­mann Bas­tian Schwein­steiger. Auch der Bun­des­trainer selbst, der es sich so gerne gemüt­lich macht, war das Tur­nier als einen Weg des Wil­lens ange­gangen. Alle Zweifel an ihm und seinem Weg dürften damit end­gültig ver­flogen sein. Die Geschichte des deut­schen Fuß­balls vor seiner Zeit hat end­lich Ruh‘. Mit dem Final­sieg in Mara­cana hat Joa­chim Löw eine Ära defi­niert – und sie ist noch lange nicht vorbei.

Am Tag vor dem Finale zeigte das ZDF eine Szene, in der sich Joa­chim Löw hin­un­ter­beugte, um vor einem der Spiele in Bra­si­lien die Qua­lität des Rasen zu über­prüfen. Dann schnitten sie auf his­to­ri­sche Bilder von Sepp Her­berger um, wie der sich erhob, nachdem er den Zustand des Final­ra­sens 1954 im Berner Wank­dorf-Sta­dion über­prüft hatte. Die Asso­zia­tion, die damit geweckt werden sollte war klar: die Leute vom Fern­sehen ließen den Mantel der Geschichte wehen.