Felix Magath ist entlassen. Wieder einmal. Vergessen sind seine Erfolge und Titel. Dabei ist es gerade mal drei Jahre her, da wurde Magath zum Trainer des Jahres gekürt. In 11FREUNDE #102 (Mai 2010) erinnerte sich der langjährige Weggefährte Hermann Rieger an den Menschen, der sich hinter der Fassade des stoischen Coachs verbirgt.
Ich stamme aus den Bergen, aus Mittenwald in den Alpen. Vom Fußball hatte ich, ehrlich gesagt, lange Zeit keine Ahnung. Zuhause war ich immer der 13. Mann: Wenn zwei Stammspieler am Abend voll waren, durfte ich am nächsten Tag auch mal mitspielen. Mein Sport ist das Skifahren. Aber in einem Punkt hatte ich von Anfang an nie Zweifel: Felix Magath ist in Sachen Fußball zu Höherem geboren. Wenn ich heute, mit 68 Jahren, auf meine Karriere als Physiotherapeut in der Bundesliga zurückblicke, fallen mir nicht allzu viele Profis ein, denen es gelungen ist, im Anschluss an die Laufbahn als Spieler weiter auf der Erfolgswelle zu schwimmen. Felix ist einer der Wenigen, der noch eine Schippe draufgelegt hat und sich dabei stets treu geblieben ist. Zweimal das Double mit den Roten, dann die sensationelle Meisterschaft mit Wolfsburg, jetzt der Erfolg mit Schalke. Wenn Felix den FC Barcelona trainieren würde, gewännen die dreimal in Folge die Champions League.
Kennengelernt habe ich „Felice“ in der Saison 1978/79, als ich nach einem Jahr beim FC Bayern nach Hamburg kam. Er war damals ein junger Typ von 25. Ich will nicht sagen ein Hallodri, aber ganz sicher auch kein Musterprofi. Er hatte lange Haare, rauchte und abends zog er auch mal los. Längst noch nicht der spätere Führungsspieler. Sein gutes Auge war ihm auf dem Platz zweifellos anzumerken, aber konditionell hatte er Schwächen. Manchmal bekam man den Eindruck, dass er sich nur ungern bewegte, wenn er nicht in Ballbesitz war.
Parallel zu mir fing Branko Zebec als Trainer in Hamburg an. Eine schicksalhafte Fügung – für den HSV, für Felix Magath und letztlich auch für mich. Denn mit Branko wehte plötzlich ein anderer Wind in dem Verein, der die zurückliegende Saison auf Platz 10 abgeschlossen hatte. Er strich erst einmal sechs Stammspieler aus dem Kader, darunter Nationalspieler wie Arno Steffenhagen und Ferdi Keller. Manager Günter Netzer war einigermaßen entsetzt, aber Branko sagte nur: „Giinter, willst du Zehnter sein oder willst du Meister werden?“
Brankos Kompromisslosigkeit bekam bald auch Felix zu spüren. In manchen Einheiten ließ er die Mannschaft drei Stunden am Stück laufen. Immer noch eine Runde. Beim Zirkeltraining hielt er stets eine Stoppuhr in der Hand, aber draufgeschaut hat er so gut wie nie. Dann machte die Truppe eben 20 Minuten Hanteltraining anstatt fünf. Und dazu kam: Wasser trinken war strengstens verboten. Branko Zebec sagte immer: „Hermann, die Spieler müssen trocken bleiben.“ Ein Wunder, dass wir nicht bei jedem Training drei Muskelfaserrisse zu verzeichnen hatten. Alle gingen weit über ihre Leistungsgrenze. Wie oft haben sich die Jungs direkt beim Laufen übergeben. Sie spuckten und liefen einfach weiter. Anfangs regte sich auch Felix Magath furchtbar über die extremen Methoden auf, zumindest, wenn der Trainer nicht in der Nähe war. Im Laufe der Saison aber machte sich die gute Vorbereitung bemerkbar. Auch der junge Magath spürte auf einmal, dass er nicht mehr nur Luft für 60 oder 70 Minuten hatte, sondern nun ein ganzes Spiel lang marschieren konnte. Ich bin sicher, dass ihm in dieser Zeit bewusst wurde, welche Bedeutung eiserne Disziplin für eine Karriere haben kann. Dass wir am Ende von Brankos erster Saison in Hamburg auch gleich Meister wurden, hat diese Erkenntnis sicherlich noch verstärkt.
Wer mitzog, hatte Erfolg, die anderen wurden rigoros aussortiert. Das hat Felix als Trainer später nicht anders gehalten. Wer sich nicht unterordnete, flog: Als wir 1996 mit dem HSV unter dem Trainer Magath im Europacup gegen den AS Monaco spielten, sagte er unserem Abwehrchef Petar Hubtchev, er solle sich ausschließlich auf Defensivaufgaben konzentrieren. Doch im Spiel tauchte Petar immer wieder vor dem gegnerischen Kasten auf. Wir verloren 3:0. Hubtchev spielte danach nie wieder für den HSV. Keine Frage, bei der Entscheidung stand in Gedanken auch Branko neben Felix. Das dachte ich auch, als er vor dieser Saison Albert Streit aus der Schalker Mannschaft entfernte. Wer nicht bereit ist, alles für den Erfolg zu tun, hat bei Felix keine Chance.
1978 wuchs die große HSV-Truppe heran, die über Jahre den deutschen Fußball dominieren und deren Kopf schon bald Felix Magath heißen sollte. War er bis dahin noch ein pflegeleichter Spieler, einer, der nicht sonderlich herausragte, wurde er nun zusehends verbissener. Wenn er angeschlagen war, neigte er zur Ungeduld. Er konnte es einfach nicht abwarten, wieder zu spielen. Einer von der Sorte, die sich die Prellung lieber im Spiel rauslaufen, als Stunden auf der Massagebank zu verbringen. Damals bekam er plötzlich Gelbsucht und musste wochenlang das Bett hüten. Die Höchststrafe für ihn. Als er wieder zur Mannschaft zurückkehrte, hat er lange Zeit nur allein trainiert. Er wollte sich vor dem Team wohl keine Blöße geben. Damals hat auch Kevin Keegan einen großen Einfluss auf ihn gehabt. Der absolvierte nämlich, was unter Profis noch völlig unüblich war, Sonderschichten. Er ging vor jedem Training zwei Stunden in den Kraftraum und lief sich hinterher sorgfältig aus.
Es muss in dieser Zeit gewesen sein, dass Felix begann, sein ganzes Verhalten auf den Erfolg auszurichten. In Verletzungsphasen stand er sogar nachts bei mir auf der Matte, um sich den Verband wechseln zu lassen, damit die Heilung schneller voranschritt. Er gewöhnte sich mitten in der Saison das Rauchen ab und fiel wegen des Nikotinmangels in ein Loch, wie er mir später beichtete. Als Trainer sagte er später den Rauchern in seinen Teams deshalb: Wenn ihr aufhört, macht es im Winter oder nach der Saison, sonst werdet ihr Probleme mit der Leistung bekommen.
Unter Ernst Happel war er dann schon dessen verlängerter Arm auf dem Platz. Was haben er und Horst Hrubesch in den Halbzeiten rumgebrüllt, wenn die Mannschaft Grütze gespielt hatte. Da brauchte Happel gar nichts zu sagen, das regelten die Spieler intern. Und auch wenn Felix selbst noch ein Teil der Mannschaft war, in solchen Momenten stellte kein Kollege die Ohren auf Durchzug. Er hatte schon immer diesen ganz bestimmten Klang in der Stimme, diesen Tonfall, bei dem Leute einfach zuhören. Ich habe viele Trainer erlebt, die viel mehr erzählten als er, aber damit viel weniger erreichten. Ich bin überzeugt, wenn Magath einem Spieler sagt: „Du kannst es!“, dann glaubt der das – allein wegen der Art, wie Felix es sagt.
Happel und er waren ein seltsames Erfolgsduo. Obwohl der Österreicher ihn zum Spielführer bestimmt hatte – was damals unüblich war –, habe ich die beiden nur auf dem Weg von der Kabine aufs Feld miteinander reden sehen. Waren beide keine Typen, die viele Worte machten. Die wussten, was sie wollten, die sprachen nicht über den Gegner, nur über die Taktik, mit der sie selbst das Spiel machen wollten. Dabei ist der Felix privat ein extrem lustiger Mensch. Sein Humor blitzt mittlerweile bei fast jedem seiner TV-Interviews auf: Am Ende kommt immer noch eine Pointe. Sensationell, wie er das macht. Man muss ihn einfach mögen. Auch dafür bewundere ich ihn.
In den frühen Achtzigern war Felix beim HSV der Kopf einer verschworenen Gemeinschaft, die auch richtig feiern konnte. Da wurde der Kabinenschlüssel auch mal von innen rumgedreht. Fünf Kästen Weißbier und zwei Flaschen Korn auf den Tisch, und dann ging’s rund. Hat kein Mensch mitbekommen. Und bei sich zu Hause in Norderstedt unterhielt er einen ganz netten Rotweinkeller, auch wenn er schon am liebsten Tee trank. Denn das HSV-Training lief in seiner aktiven Zeit immer unter Wettkampfbedingungen ab. Dafür sorgte auch er. Sein Ehrgeiz als Fußballer hat ihn später sogar die Karriere gekostet: Es passierte in einem Trainingsspiel. Er forderte den Ball, der Mitspieler aber vertändelte. Felix regte sich derart auf, dass er rüber lief und dem Kollegen in den Hintern zu treten versuchte. Er traf ihn nicht richtig und erlitt bei der Aktion ein Schleudertrauma im Knie, was einen Knorpelschaden zur Folge hatte.
Das ist eine heimtückische Verletzung – man kann nicht mehr so hart schießen, nicht mehr so schnell laufen, es fehlt die Stabilität. Was er in den Wochen empfand, als sich das vorzeitige Karriereende abzeichnete, hat er nie nach außen gezeigt. So nah lässt er niemanden an sich ran. Aber es muss ihm sehr weh getan hat, mit 33 Jahren aufzuhören. 1986 war das. Kein gutes Jahr für ihn. Er war gerade zum zweiten Mal Vizeweltmeister geworden und Teamchef Beckenbauer hatte ihn ausgerechnet im Finale ausgewechselt. Das hat er ihm übelgenommen. Oha. So was macht man nicht mit einem wie ihm. Danach war sicher erst mal einige Zeit Funkstille zwischen den Beiden.
Selbst würde Felix den Nationaltrainerjob übrigens nie übernehmen, da bin ich sicher. Der braucht die tägliche Arbeit mit der Mannschaft. Sechs, sieben Spiele im Jahr, da würde er einen Rappel kriegen. Das fiel mir schon auf, als er 1986 Manager beim HSV wurde. Die Büroarbeit, die Entfernung zur Mannschaft und der Mangel, bei Problemen nicht direkt Einfluss nehmen zu können, das lag ihm einfach nicht. Er hat innerlich gekocht, als Uli Stein im Supercupfinale 1987 in Frankfurt dem Wegmann eine scheuerte und dann mit erhobenem Stinkefinger in die Kabine ging. Als Trainer hätte er ihn zur Räson bringen können. Doch auf der Bank saß Josip Skoblar, der Nachfolger von Happel. Und der hielt den Mund. Mit Skoblar kehrte der Schlendrian beim HSV ein. Im Trainingslager ordnete er an, dass die Spieler zum Mittagessen Rotwein trinken. Nachher waren Teile die Mannschaft so beschwipst, dass sie mit dem Büffet rumwarfen. Dass Felix als Manager da loyal bleiben musste mit dem Coach, hat ihn verrückt gemacht. Das Ende vom Lied war, dass er nach nur einer Saison als sportlicher Leiter lieber seinen Fünf-Jahres-Vertrag kündigte, als sich weiterhin zu ärgern.
Er hat nun mal seinen eigenen Kopf zu den Dingen. Das macht es manchmal nicht einfach, mit ihm zusammenzuarbeiten – so wie mit fast allen Menschen, die nach Erfolg streben. Er will sein Ding durchbringen und dazu müssen alle um ihn herum so funktionieren, wie er es sich vorstellt. Wenn da einer nicht mithält, wird er stinkig. Aber er hat recht. Viele Spieler, die bereit waren, sich seinen Anforderungen anzupassen, haben davon profitiert. Das war schon am Anfang seiner Trainerkarriere bei den Amateuren des HSV so: Hasan Salihamidzic etwa hat mit eher begrenzten technischen Fähigkeiten unter Felix eine großartige Laufbahn begonnen, später hat er Kevin Kuranyi geformt und Mario Gomez entdeckt. Beim VfB Stuttgart erhielt er endlich die Bestätigung als Trainer, die er verdient. Insofern fand ich es mutig, dass er 2004 zum FC Bayern ging. Denn er wusste vorher, dass die Männer dort im Vorstand irgendwann anderer Meinung sein würden als er. Aber auch diese Entscheidung beweist seinen unbedingten Erfolgswillen: Er wusste, dass er es nur bei den Roten schaffen kann, ein großer Trainer zu werden und Titel zu holen. Und das hat er gemacht. Als es dann mal kurz nicht lief, haben sie ihn gefeuert. Er hat diesen Tag von Anfang an kommen sehen. Aber ich bin sicher, Uli Hoeneß hat seine Entscheidung, Felix gehen zu lassen, später noch einige Male bereut.
Was er auch aus den Möglichkeiten in Schalke gemacht hat, ist phänomenal. Deshalb bin ich jetzt schon gespannt, wie er die nächste Saison angeht. Die besten Spieler werden sie ihm wegkaufen, er muss wieder bei Null anfangen. Aber ehrlich, wer kann diese Situation meistern, wenn nicht Felix Magath? Er hat so viel erreicht – und ist sich dabei immer treu geblieben. Wie gerne erinnere ich mich an die Zeit, die wir zusammen in Seefeld/Tirol beim Skifahren verbracht haben. Auf der Piste fehlt „Felice“ jegliche Technik, er macht alles mit Kraft. Aber den Berg runter, wenn Felix Magath hinter einem herjagt, das ist schon eine Gaudi. Was viele nicht wissen: Er ist nicht nur begnadeter Schachspieler, er ist auch ein guter Bergsteiger, der Klettertouren mit dem Schwierigkeitsgrad 4 ohne Hilfe schafft. Kein Wunder also, dass er auch als Trainer erst bei Mannschaften mit höherem Schwierigkeitsgrad richtig auf Touren kommt. Ein toller Kerl. Ich bin froh, ihn als Freund zu haben.