Warum schämen wir uns eigentlich, wenn einem Mann wie Steffen Simon die Gefühle Gassi gehen?
Das Leben auf der Pressetribüne ist nicht so toll wie sich das viele immer vorstellen. Man hockt da an recht ungemütlichen Tischen, verheddert sich dauernd in Kabeln, muss aufpassen, seinen Kaffee nicht über den Laptop des Nebenmanns zu kippen und selbst das Bier, wenn es denn mal welches gibt, ist seit vielen Jahren in den meisten Stadion alkoholfrei. Und weil Journalisten von Haus aus ein bisschen Selbstdarsteller sein müssen, kommt man sich manchmal vor wie auf dem Schulhof, wenn sich ein Haufen Jungs im Sandkasten prügelt und doch eigentlich nur die Mädchen beeindrucken will.
Man möchte sich in Ohnmacht würgen
Fernsehmenschen müssen nicht nur Selbstdarsteller sein, sie sind es und dafür werden sie schließlich auch bezahlt. Kommentatoren sind noch einmal eine ganz eigene Gattung. Das Produkt ihrer Arbeit ist das, was aus ihren Mündern kommt. Und zwar live. Das ist sicherlich ein verdammt anstrengender Job. Weil die Fallhöhe so enorm ist. Man möchte gar nicht glauben, was Pressemenschen für einen Quatsch von sich geben, wenn sie ein Fußballspiel gucken. Nicht selten möchte man sich dann den heißen Kaffee in die Ohren gießen oder sich mit den Kabeln in eine befreiende Ohnmacht würgen. Bloß: der ganze Quatsch bleibt meistens anonym. Machen Kommentatoren einen Fehler, weiß es gleich die ganze Welt.
Zu behaupten, ARD-Mann Steffen Simon hätte am Sonntag einen Fehler gemacht, wäre zu viel des Gemeinen. Simons „Vergehen“ bestand darin, dass er nach dem 1:1 im olympischen Finale durch Max Meyer etwas tat, was weder er, noch andere deutsche Fußball-Kommentatoren schon einmal gebracht hatten. Er rief erst laut „TOOOOOOR!“ und dann: „Oder wie es hierzulande heißt: GOOOOOOOOOL“. Das musste man erstmal verdauen.
Simons Reminiszenz an den typisch ekstatischen Torjubel vorrangig südamerikanischer Kollegen hatte auf uns Zuschauer eine ähnliche Wirkung wie das deutsche Weißbrot, das sich – Hemd in der kurzen Hose, Handy am Gürtel – auf die Tanzfläche einer argentinischen Tango-Party schwingt und Waschmaschinenesk die Hüften „kreisen“ lässt. Natürlich, dachte man bei Simons Gekreische, verboten ist das nicht. Aber vielleicht sollte man mal darüber nachdenken.
Der Typ mit dem Handy am Gürtel
Ja, kaum war der letzte Ton verklungen, machte sich die Fremdscham breit. Es war einem unangenehm, dass ausgerechnet unser deutsches TV-Weißbrot so am Rad drehte. Vor dem geistigen Auge schmissen sich abbückende Journalisten aus „GOOOOOOOOOL“-affinen Ländern weg, zeigten kichernde brasilianische Hostessen mit dem Finger auf „unseren“ Mann und hob lediglich ein verschwitzter Kerl mit Hemd in der kurzen Hose, Handy am Gürtel, anerkennend den Daumen. Was natürlich alles Quatsch ist. Hoffentlich.