Achtung, Felix Magath: Nachdem Wolfsburgs Trainer jüngst eine Bierkur zwecks Gewichtszunahme für seinen schwedischen Mittelfeldhering Rasmus Jönsson angeregt hat, wollen wir den König der Autostadt auf die extremen Auswüchse des Kilowahnsinns hinweisen. Also Felix, schön aufpassen mit dem Bier, sonst reiht sich Kollege Jönsson bald in eine Linie mit dem wohl schwersten Fußballer aller Zeiten: Dem Torwart William „Fatty“ Foulke.
Schließlich verzweifelt der Elfmeterschütze des Burton Albion FC. Zwei Elfmeter hat er platziert geschossen, beide Strafstöße hat der Torhüter sicher pariert. Auf Vorhal- tungen seiner Mitspieler, er hätte schon ein wenig platzierter schießen können, entgegnet der Schütze nur achselzuckend: „Wohin hätte ich schießen können? Da war überall er!“ Er. Sein bürgerlicher Name William Foulke, sein Spitzname in ganzen Land, Fatty.
Und den trug er nicht ohne Grund, seine körperlichen Stammdaten hätten jedem modernen Fußballtrainer den Schweiß auf die Stirn getrieben. Denn Foulke wog zu Spitzenzeiten stolze 140 Kilo, bei gerade einmal 1,88 Metern Größe.
Die Geschichte des William Foulke ist eine Geschichte aus der Frühzeit des Fußballs. Als die Regeln noch biegsam waren und auf dem Spielfeld nicht nur austrainierte Athleten gegen den Ball traten. Sie beginnt in Dawley im Distrikt Shropshire, dort wird am 12. April 1874 William Henry Foulke geboren, später wird er „Foulke“ genannt, nach seinem Tod wird er zu „Foulkes“. Und wie sein Name wächst auch Foulke sehr schnell, vornehmlich in die Breite. Bereits mit 18 Jahren wiegt er über 110 Kilo, seine Erscheinung massig zu nennen, wäre sehr zurückhaltend. Zunächst sucht sich Foulke einen Sport, der ihn nicht zu allzu viel Bewegung zwingt, schließlich fällt seine Wahl auf Cricket. Er bestreitet immerhin vier Erstligaspiele für Derbyshire, dann kehrt er dem Cricket den Rücken. Fußball ist seine neue Leidenschaft. Und weil er nicht zu viel laufen will, entscheidet er sich für das Tor.
Und so erregt er einiges Aufsehen, als er im Jahre 1894 sein erstes Match für Sheffield United bestreitet. So etwas hat man noch nicht gesehen, es staunen die Zuschauer und die Gegenspieler, denn trotz seiner beachtlichen Leibesfülle ist der 19-jährige Foulke erstaunlich geschwind auf den Beinen, fängt souverän die Flanken und taucht bei Flachschüssen behende ab. „Agile like a cat“, beweglich wie eine Katze, nennen ihn die Gazetten. Die Tribünen spenden begeistert Beifall, binnen 90 Minuten wird Foulke zum Publikumsliebling. Es dauert nicht lange und der korpulente Torhüter ist Stammspieler bei United. Seine Figur ist dabei kein Hindernis, ganz im Gegenteil. Denn um die Jahrhundertwende leben Fußballtorhüter noch wild und gefährlich. Sie dürfen den Ball überall in der eigenen Hälfte in die Hand nehmen, dürfen aber auch überall niedergerungen werden, mit oder ohne Ball. Und von Schutzbestimmungen im Fünfmeter- raum ist noch keine Rede. Nicht selten müssen sich Torhüter mit Tritten und Stößen gegen die Sturmreihe wehren.
Besonders hoch her geht es im Strafraum. Vor der Torlinie wird gerempelt und gestoßen, und wenn im Getümmel der Keeper samt Ball in sein Tor gerammt wird, kommen nur wenige Schiedsrichter auf die Idee, dies als Unsportlichkeit abzupfeifen.
„Who ate all the pies?“, singen die gegnerischen Anhänger.
In diesem Getümmel behauptet sich Foulke wie kein Zweiter, ihn über die Torlinie zu stoßen erweist sich für die weitaus schmächtigeren Stürmer als vergebliches Unterfangen. Ganz im Gegenteil, manch ein Angreifer landet nach einem Infight mit Foulke mit der Nase im Schlamm, andere Stürmer schleichen mit Blessuren davon. In der Hitze des Gefechts greift Foulke sogar mitunter nach den Beinen der Stürmer, hebt sie an den Knöcheln in die Luft und tunkt sie mit dem Kopf in den Morast. Und auch das Material leidet, manche Torlatte zerbirst unter Foulkes mächtigen Fauststößen, die Spiele müssen abgebrochen werden.
Der Erfolg ist zunächst ein steter Begleiter Foulkes. Zweimal gewinnt er den FA Cup mit United, einmal wird Sheffield Meister. Der Koloss im Kasten ist maßgeblich an den Triumphen beteiligt. Das macht ihn immun gegen den Spott, den er in nahezu jedem Spiel von gegnerischen Spielern zu hören bekommt. Foulke reagiert auf seine Art. Mitunter schnappt er sich Spieler, die es zu arg mit ihm getrieben haben, wirft sie zu Boden und setzt sich auf sie – bis sie sich entschuldigt haben. Kein gutes Rezept allerdings, um die Zuschauer auf den Rängen verstummen zu lassen. Die singen jedes Mal, wenn der vollschlanke Keeper das Spielfeld betritt: „Who ate all the pies?“ Foulke begegnete den Anfeindungen, die ihn verdächtigen, die beliebten Pausenspei- sen der Anhänger verspeist zu haben, gelassen und mit Humor: „Mir egal, wie sie mich rufen. Hauptsache, sie rufen mich nicht zu spät zum Lunch.“
Eine launige Bemerkung mit Hintergrund, denn ein hungriger William Foulke neigte zu unberechenbaren Fressattacken. Überliefert ist jene Geschichte vom Pokalspiel, auf das sich die Mannschaft mit einem gemeinschaftlichen gemütlichen Früh- stück einstimmen will. Doch als die ersten Spieler im Klubhaus eintreffen, staunen sie nicht schlecht. Ein früher Gast hat bereits ordentlich zugelangt und alle elf Frühstücksteller leer gefuttert.
Die Druckbetankung mit Frühstückscerealien bleibt nicht ohne Folgen, sein Körper legt noch einmal zu, rund 125 Kilo bringt er um 1900 auf die Waage. Da ist er bereits Nationalspieler, auch wenn es bei einem Spiel bleibt. Im März 1897 steht er für ein Spiel im Tor der englischen Nationalelf, das Spiel gegen Wales endet 4:0, er hält seinen Kasten sauber.
Foulke schlägt den Ball bis in die gegnerische Hälfte
Der Fußball ist zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Weg zum Volkssport Nr.1 in England. Die Massen strömen zu den Spielen und der größte Andrang herrscht dort, wo der erfolgreichste Fußball gespielt wird. Ein entscheidendes Spiel gegen Tottenham Hotspurs sehen in Sheffield 114.815 Zuschauern, ein Weltrekord. Und so nimmt es nicht Wunder, dass die großen Vereine begin- nen, sich die besten Spieler abzujagen. Einer der Spieler, die ein verlockendes Angebot bekommen, ist William Foulke.
Der FC Chelsea aus London ist bereit, stolze 20 Pfund Ablöse für den populären Keeper zu zahlen. Das Angebot lässt Foulke zweifeln, denn auch ihm bietet der Klub eine Menge Geld. Aber Sheffield United ist sein Heimatverein und in diesen Jahren ist Vereinstreue noch kein hohles Wort. Schließlich entschließt sich Foulke aber doch zum Wechsel und bereut es nicht: Er wird auch beim reichen Londoner Klub schnell zum Publikums- liebling und zur großen Attraktion an der Stamford Brigde.
Bei Chelsea wird Foulkes beeindruckender Körper nicht als Laune der Natur hin- genommen, man will den Leibesumfang des Goalies Gewinn bringend einsetzen und probiert zahlreiche psychologische Finten, um den Gegner zu verunsichern. So macht sich der Manager John Tait Robertson, ein früherer Spieler, die Tatsache zunutze, dass an der Stamford Bridge die ersten Balljungen im englischen Fußball arbeiten. Fortan versammeln sich, auf Befehl des Managers, die unternährtesten, schmächtigsten Ballholer hinter dem Tor von William Foulke, die halben Hemden sollen den massigen Keeper noch beeindruckender wirken lassen als ohnehin schon. Und damit nicht genug, außerdem wird auch der kleinste Spieler des Klubs, der dürre Flügelmann Moran, abkommandiert, beim Einlaufen immer direkt hinter Foulke zu laufen. Des Eindrucks wegen.
Doch ungeachtet der psychologischen Spielchen, das Publikum liebt den Keeper nicht vornehmlich wegen seiner köperlichen Gestalt, an den Leibesumfang des „Man Mountain“, wie man ihn nennt, hat man sich gewöhnt. Beliebt macht sich Foulke beim Volk auf den Rängen vor allem durch seine Fähigkeit, den Ball per Abstoß bis in die gegnerische Hälfte zu schlagen. Das sieht man zu dieser Zeit selten und so wird jeder Abschlag, der die Mittellinie überquert, mit Applaus bedacht. So populär ist Foulke schließlich, dass er zum Mannschaftskapitän ernannt wird, zum ersten Kapitän überhaupt in der Geschichte des Vereins. Er absolviert 35 Partien für die Londoner, dann wechselt er abermals, nach nur einer Saison beim Chelsea
FC. Sein neuer Klub ist der Bradford FC.
Gegen Accrington ist kein Ersatzhemd aufzutreiben – ein Nachbar hilft
In Bradford sorgt die stetig wachsende Leibesfülle allerdings für das eine oder andere logistische Problem. Beim Spiel gegen Accrington Stanley FC am 7. Februar 1907 herrscht vor dem Anpfiff Aufregung, denn das rote Jersey des Keepers aus Bradford sieht den Trikots der Truppe aus Accrington zum Verwechseln ähnlich. Das Problem: Es ist kein andersfarbiges Hemd aufzutreiben, in das Foulke hineinpassen würde. Man fragt die Zuschauer, den Platzwart, die Spieler. Am Ende spielt er eingehüllt in ein Bettlaken, das ein Anwohner des Stadions freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Der Aufwand lohnt sich, Bradford gewinnt mit 1:0, und Foulke kann dem Anwohner nach dem Spiel sein Laken zurückgeben. Er hat sich mit Bedacht nicht zu Boden geschmissen, das Tuch ist unbefleckt.
Die Geschichte des William Foulke geht nicht gut aus. Wie so viele Fußballer der frühen Zeit kommt er nicht zurecht mit dem Leben jenseits der Linien. Zu sehr hat er sich in den aktiven Jahren auf den Fußball konzentriert, hat den Schulterklop- fern vertraut, die ihm versichert haben, es werde für ihn gesorgt. Er findet keine Arbeit, er verarmt, in seinen letzten Jahren verdient er sich in Blackpool Sands ein paar Pennys dazu, als Kirmesfigur in einer „Schlag den Torhüter“-Belustigung. Am 1. Mai 1916, im Alter von nur 42 Jahren, stirbt William Henry Foulke, der bemerkenswerteste, außergewöhnlichste Torhüter seiner Ära, in einem privaten Pflegeheim in Sheffield.