In der Reportage „Nicht um jeden Preis“ aus der aktuellen Ausgabe 11FREUNDE #136 berichten wir über die Ticketpreise in England. Dazu trafen wir die Initiatoren der englischen Kampagne „Twenty‚s plenty“ und des deutschen Pendants „Kein Zwanni“ in London. Im ersten Teil des Gesprächs geht es um ausgegrenzte Jugendliche, resolute Ordner und Nebel in Liverpool.
Michael Brunskill und Amanda Jacks sind Vertreter der englischen Fan-Organisation Football Supporters Federation (FSF), Marc Quambusch ist ein Sprecher der deutschen Initiative „Kein Zwanni – Fußball muss bezahlbar sein“. Das Gespräch fand im Rahmen der 11FREUNDE-Reportage in London statt, kurz vor der Eröffnungsveranstaltung der Kampagne „Twenty’s plenty“ gegen überteuerte Auswärtskarten. Mehr Hintergründe und Statistiken zum Thema finden sich in der aktuellen Ausgabe von 11FREUNDE #136, die jetzt im Handel erhältlich ist.
Michael Brunskill, Amanda Jacks, die Ticketpreise in England sind seit Jahren sehr hoch. Warum schließen sich gerade jetzt Fans zum Protest zusammen?
Michael Brunskill: Wir hatten die Problematik schon sehr lange auf der Agenda, aber die Vorfälle beim Spiel zwischen Arsenal und Man City waren, entschuldigen Sie den Ausdruck, der Tritt in den Hintern, den wir brauchten, um aufzustehen. Mit 62 Pfund lag der Preis für ein Auswärtsticket derart hoch, dass die City-Fans einen Teil ihrer Karten zurück geschickt haben. Zudem haben die Ordner den Fans im Stadion ein Protest-Banner entrissen. Danach befassten sich erstmals englische Medien intensiver mit dem Thema.
Amanda Jacks: Die Schwierigkeit in England besteht darin, Fans verschiedener Vereine unter ein Dach zu bekommen. Die meisten Fangruppen wollen nichts mit Anhängern anderer Klubs zu tun haben. Von daher ist es schon eine große Leistung, dass es in unserer Kampagne Unterstützer gibt, die bereit sind, Rivalitäten ruhen zu lassen. Fans von Manchester United und Liverpool setzen sich an einen Tisch – das ist eigentlich unvorstellbar. In ihrem Freundeskreis werden sie sogar dafür angefeindet.
Michael Brunskill: Ein entscheidender Faktor ist, dass sich heute viel mehr Leute in England über das Internet informieren, wie die Situation in anderen Ländern ist. Sie sehen auf Youtube Videos von der Atmosphäre in spanischen, französischen oder deutschen Stadien, lesen, was dort alles erlaubt ist oder wie preiswert die Eintrittskarten sind. Sie fragen: „Warum ist das bei uns nicht möglich?“ Heutzutage hat man viel mehr Möglichkeiten der Vernetzung und der Information.
Marc Quambusch, wie verlief der Start der Kampagne „Kein Zwanni“, die sich gegen überteuerte Eintrittspreise in Deutschland engagiert?
Marc Quambusch: Es fing damit an, dass Fans von Borussia Dortmund wegen der hohen Eintrittspreise das Derby in Gelsenkirchen bestreikt haben. Man muss dazu sagen, dass dieses Spiel in Deutschland eine immense Bedeutung hat, es ist das Derby schlechthin. Durch diesen Protest war es zum ersten Mal in den vergangenen 20 Jahren nicht ausverkauft. Somit hat der Streik für Aufsehen gesorgt. Doch kurioserweise waren es die englischen Medien, die zuerst darüber berichtet haben. Erst daraufhin haben sich auch deutsche Journalisten bei uns gemeldet.
Amanda Jacks: Das ist interessant. Viele Fans in England verfolgen sehr genau, was in Deutschland passiert.
Marc Quambusch: Früher in den achtziger und neunziger Jahren war es eher so, dass die deutschen Fans in puncto Fankultur nach England geschaut haben. Heute ist England nicht mehr unbedingt das Vorbild.
Täuscht der Eindruck, dass in England vornehmlich Herren gesetzteren Alters auf den Tribünen zu finden sind?
Amanda Jacks: Es gab meines Wissens mal eine Erhebung, nach der das Durchschnittsalter der englischen Zuschauer bei 41 Jahren liegen soll. Viele Jugendliche können sich die Karten einfach nicht leisten. Zwar betonen die Vereine gerne, dass sie die Preise für die Kinderkarten gesenkt hätten. Doch ab dem 16. Lebensjahr sind die Jugendlichen Vollzahler, das heißt: Von einer Saison zur nächsten zahlen sie für ihre Jahreskarte nicht mehr 100 Pfund, sondern gleich mal an die 800.
Michael Brunskill: Die Jugendlichen schauen sich dann die Spiele lieber im Pub an. Dort wird jedes Spiel übertragen. Für das Geld einer Eintrittskarte können sie sich fünf Pints und ein Mittagessen gönnen und haben immer noch etwas Geld übrig. Ich hätte mir in diesem Alter dann auch dreimal überlegt, ob ich ins Stadion gehe.
Amanda Jacks: Mal ganz abgesehen davon, dass Jugendliche in England auch keine Chance haben, sich im Stadion auszuleben. Da sind keine Trommeln oder Fahnen erlaubt. Manche Ordner stürmen mitunter eine Minute nach dem Anpfiff in den Block, wenn noch Fans stehen anstatt zu sitzen. Das resolute Auftreten der Ordner ist zwar ein anderes Thema, aber ich glaube, dass es zu der Ausgrenzung von Jugendlichen beigetragen hat.
Sie haben die Jugendlichen in England angesprochen. In Deutschland schließen sich viele Fans in diesem Alter den Ultragruppen an.
Marc Quambusch: Ja, und ich glaube, dass darin ein entscheidender Unterschied zur Fankultur in England liegt. Die Ultrakultur übt gerade dadurch Faszination auf junge Leute aus, dass ihr etwas Rebellisches anhaftet. Von daher hat jeder Verein eine Fangruppierung, die sich sehr kritisch mit den Entwicklungen im modernen Fußball auseinandersetzt und zudem sehr gut organisiert ist. Ich glaube, dass das auch die Protestkultur unter den Fans entscheidend beeinflusst.
Michael Brunskill: Die Fan-Organisationen in den Vereinen kümmern sich hierzulande ausschließlich um die An- und Abreise zu einem Spiel. Das ist auch okay. Aber es gibt nun einmal keine Kultur der Mitbestimmung, der Einflussnahme oder der Auflehnung.
Amanda Jacks: Das liegt auch an dem Druck, den die Vereine und der Verband ausüben. Die Strafen sind drakonisch. Momentan werden immer häufiger Rauchbomben in englischen Stadien gezündet. Beim letzten Vorfall wurden drei Fans deshalb festgenommen. Zwei mussten vier Wochen ins Gefängnis und bekamen ein sechsjähriges Stadionverbot, der dritte ein dreijähriges. Aber mal abgesehen vom Thema Pyrotechnik ist auch alles andere verboten, selbst Konfetti. Die Vereine haben Angst vor der Spontanität des Fanblocks, also ersticken sie diese. Michael, was war der letzte originelle Fangesang, den du im Stadion gehört hast?
Michael Brunskill: Der liegt schon sehr lange zurück. Ich kann ihn an dieser Stelle leider nicht wiedergeben. Er war nicht jugendfrei.
Unsere Leser sind einiges gewöhnt. Gab es da nicht den Gesang für den schizophrenen Torwart „There‚s only two Andy Gorams“?
Michael Brunskill: Ja, genau. Oder den Wechselgesang bei einem Nebelspiel in Liverpool, als die eine Seite der anderen mitteilte, ob ein Tor gefallen sei. Da können wir den Bogen spannen zu unserer Kampagne. Ich glaube nämlich, dass die Auswärtsfans einen nicht unerheblichen Beitrag zur Stimmung im Stadion leisten. Wenn viele Gästefans da sind, fühlen sich auch die Heimfans vielmehr zu Gesängen angestachelt. Im Endeffekt müssen auch die Verbände verstehen: Auswärtsfans sind gut für ihr „Produkt“, wie sie es nennen.
Marc Quambusch: Die Verbände in Deutschland und England nehmen Milliarden ein. Das Geld, das sie durch Auswärtstickets kassieren, ist dagegen vergleichsweise gering. Doch sie sträuben sich gegen eine Preisreduzierung – und schneiden sich damit ins eigene Fleisch.
Michael Brunskill: Schließlich wird es den Verbänden auch nicht gefallen, wenn im asiatischen Fernsehen Bilder von halbleeren Tribünen zu sehen sind. Das ist eine Kurzsichtigkeit, wie man sie in diesen Zeiten nur von den Banken kennt. Jetzt werden die Fans ausgesaugt, doch auf lange Sicht betrachtet brechen dadurch die TV-Gelder ein.
Im zweiten Teil des Roundtables demnächst auf 11freunde.de geht es um die Ziele und Aktionen der beiden Kampagnen, Gold-Mitgliedschaften im Fußball und Champagner auf den Tribünen.