Vor 21 Jahren spielte Dynamo Dresden zuletzt auf europäischer Ebene. Am vergangenen Freitag kehrte das internationale Flair für kurze Zeit zurück. Im Freundschaftsspiel gegen West Ham United gewann der Zweitligist mit 3:0 und bescherte den Fans ein Hauch von vergangener Europapokal-Historie
Die Eintrittskarten vom Spiel gegen West Ham werden sich wohl alle Dresden-Fans einrahmen lassen, prangt doch ein Schriftzug auf ihnen, den man in der sächsischen Landeshauptstadt letztmals 1991 lesen konnte – Europapokal.
Die Partie gegen den Premier-League-Aufsteiger war zwar nur ein Testspiel im Rahmen der Freundschaftsspielreihe „Summer of Champions“, doch man merkte nicht nur an der Ticket-Beschriftung, wie sehr Dresden nach großem Fußball lechzt. Der Treffer von Robert Koch zum 1:0 ließ das „Glücksgas-Stadion“ erbeben, als ob Dynamo soeben die Champions League gewonnen hätte. Mit „Europapokal, Europokal“ heizte der Anhang die Stimmung weiter an. 28.253 Zuschauer feierten 90 Minuten lang friedlich die gelungene „Europapokal“-Renaissance ihrer Mannschaft.
Der letzte Auftritt endete mit einem Skandal
Der bis dato letzte offizielle Auftritt am 20. März 1991 im Europapokal endete dagegen mit einem Spielabbruch. Im Viertelfinale des Europapokals der Landesmeister hieß der Gegner Roter Stern Belgrad. Das Hinspiel in Belgrad ging im jugoslawischen Angriffswirbel von Robert Prosinecki, Dejan Savicevic und Darko Pancev mit 3:0 verloren. Im Rückspiel keimte bereits nach zwei Minuten Hoffnung auf eine Sensation auf, als Torsten Gütschow per Elfmeter zum 1:0 traf. In der 52. Minute war auch dieser Glaube zerstört. Savicevic hatte den Ausgleich erzielt, wenig später markierte Pancev die Belgrader-Führung. Ein Teil der Dresdener Anhängerschaft drehte nun völlig durch. Es kam zu Randalen auf den Rängen, Steine flogen auf das Spielfeld. Bereits zuvor wurden Leuchtraketen gezielt auf die gegnerischen Fans abgeschossen. Die aggressive Grundstimmung hatte ihren Ursprung in den Ereignissen aus dem Hinspiel, als die mitgereisten Fans aus Dresden von der jugoslawischen Polizei zunächst nicht vor den Attacken der Belgrader Fans bei der Ankunft geschützt wurden und von den Sicherheitskräften selbst Schläge einstecken mussten. Zwölf Minuten vor Spielende brach der spanische Schiedsrichter Emilio Aladren den letzten Europapokalauftritt von Dynamo Dresden vorzeitig ab, den die UEFA anschließend mit 3:0 für Belgrad wertete. Ein trauriger Abend für die Elbmetropole, die zuvor viele tolle Europapokal-Abende erlebt hatte. An einige wollen wir hier erinnern.
Alles begann mit Alex Ferguson. Der heutige Trainer von Manchester United erzielte am 20. September 1967 im Trikot der Glasgow Rangers das erste Gegentor in der Europapokalgeschichte von Dynamo Dresden. Dieter Riedel gelang im Hinspiel der ersten Runde des Messepokal noch der Ausgleich. Auch im Rückspiel stand es bis zur 90. Minute 1:1, ehe Rangers-Kapitän John Greig mit dem Schlusspfiff zum 1:2 einschob. Die europäische Premiere von Dynamo Dresden war nach 180 Minuten schon wieder vorbei. Und es kam noch schlimmer. Aus der DDR-Oberliga folgte der Abstieg.
Zwei Jahre später lief es dann schon besser. Zwar endete das Hinspiel 0:0, aber am 30. September 1970 war es dann soweit: Dynamo Dresden durfte den ersten Sieg auf internationaler Bühne feiern. 6:0 hieß es am Ende gegen Partizan, die auf ihre Chancenlosigkeit mit Härte reagierten und Hans-Jürgen Kreische dreimal die Gelegenheit gaben, zum Elfmeter anzutreten – Kreische versenkte jeden Versuch. Zuvor hatte der Mittefeldmotor bereits das 1:0 erzielt, ausnahmsweise mal nicht vom Strafpunkt aus.
Dramatische Duelle gegen die Westteams
Legendär sind auch die Begegnungen gegen Teams aus Westdeutschland. Nicht nur wegen der politischen Brisanz beim ewigen Kommunismus-Kapitalismus-Clash. Dynamo Dresden machte diese Duelle mit von Kreisklasse bis Weltklasse schwankenden Leistungen zu Highlights des Europapokals. Wie im Achtelfinale im Europapokal der Landesmeister in der Saison 1973/74, als Dynamo zum ersten Duell der deutschen Staaten gegen Bayern München antrat. Bayern Münchens Manager Robert Schwan polterte schon vor den Spielen: „Wenn wir gegen die rausfliegen, wandere ich in die Zone aus!“ Schwan blieb dieser Weg erspart, allerdings denkbar knapp. Angespornt von den 1000 mitgereisten Fans, 1860-München-Anhängern, die ebenfalls den DDR-Meister anfeuerten und den Affront, dass einige Dresdener Spielernamen auf der im Stadion veröffentlichten Mannschaftsaufstellung falsch geschrieben waren, ging das junge Dynamo-Team beim Hinspiel in München am 24. Juni 1973 von Anfang an in die Offensive. 3:2 hieß es nach 45 Minuten gegen sichtlich überraschte Bayern. Was vorne hervorragend funktionierte, klappte in der Abwehr überhaupt nicht. So endete das Spiel aus Dresdener Sicht doch noch mit 3:4. Im Rückspiel ging das muntere Wettschießen weiter, letztlich waren die Bayern aber zu ausgebufft für die Truppe von Trainer Walter Fritzsch – das 3:3 reichte den Münchnern zum Weiterkommen.
Auf noch dramatischere Art und Weise erwischte es Dresden im Europapokal der Pokalsieger 1986. 2:0 hatte Dynamo Bayer Uerdingen am 5. März im Viertelfinal-Hinspiel besiegt, kein Grund für die Mannschaft, euphorisch in das Rückspiel zu gehen. Schließlich hatte sich die Mannschaft erst in der Vor-Saison im Halbfinale gegen Rapid Wien nach einem 3:0‑Heimerfolg auswärts noch mit 0:5 blamiert. Im deutsch-deutschen Duell 1986 gegen Bayer Uerdingen sollte das nicht noch einmal passieren. Nach der ersten Halbzeit war diese Angst im Prinzip verflogen. 3:1 führte das Team in der Krefelder Grotenburg. Frank Lippmann erzielte dabei das zwischenzeitliche 2:1. Nach dem Spiel setzte sich der Stürmer nach Nürnberg ab und kehrte nicht mehr in die DDR zurück. Was aber nicht am Endergebnis lag: Denn Bayer Uerdingen drehte die Partie und gewann mit 7:3. Ein sagenhaftes Spiel, das Geschichte schrieb. Bis heute. Bei der 11FREUNDE- Wahl der „100 größten Spiele aller Zeiten“ landete das Zehn-Tore-Spiel von der Grotenburg auf Platz 1.
Rudi Völler sagte: „Die Dresdener wussten gar nicht wie stark sie waren.“
Den größten Triumph der Vereinsgeschichte feierte Dynamo Dresden 1989 im UEFA-Pokal. Nach Siegen gegen FC Aberdeen, KSV Waregem, Victoria Bukarest und AS Rom war das erreicht. „Die Spieler von Dynamo wussten gar nicht wie stark sie waren“, wurde der damalige Römer Rudi Völler nach der Niederlage seiner Mannschaft gegen die DDR-Auswahl zitiert. Im Halbfinale gegen den VfB Stuttgart blieb diese Stärke verborgen. 0:1 und 1:1 hieß es am Ende. Zu viele Chancen ließ die SGD um Matthias Sammer ungenutzt. Besonders bitter: Im Finale hätte es das Filetstück des Weltfußballs gewartet – der SSC Neapel mit Diego Maradona.
Alex Ferguson, Diego Maradona und Rudi Völler waren es gestern, nun sehnt sich ganz Dresden nach Lionel Messi, Cristiano Ronaldo und Wayne Rooney. Bis diese Namen wirklich an der Elbe ihr Stelldichein geben, wird es – wenn überhaupt – wohl noch eine ganze Weile dauern. West Ham United war ein Anfang, wenn auch nur auf Testspielebene. Am Samstag kehrt zunächst beim Saisonauftakt gegen den VfL Bochum die Realität zurück – und die heißt zweite Liga.