Wenn heute Hertha BSC und Dynamo Dresden aufeinandertreffen, steht allein der Fußball im Vordergrund. Ganz anders war dies beim erstmaligen Aufeinandertreffen der beiden Mannschaften am 26. April 1978: Das Freundschaftsspiel geriet unter den Umständen des Kalten Krieges zu einer kniffligen Staatsaktion.
Seit 1974 existierte im deutsch-deutschen Sport mit dem so genannten Sportprokoll eine Art entspannungspolitischer Grundlagenvertrag, in dem die auf Abschottung gegenüber der Bundesrepublik trainierte DDR das Zugeständnis regelmäßiger Freundschaftsspiele eingegangen war. Gerne war die SED-Führung jedoch hierzu nicht bereit, vor allem nicht im Fußball, da die Bundesligisten erfahrungsgemäß eine politisch unwillkommene Faszination auf DDR-Fans ausübten.
Und so mussten denn Hertha-Präsident Ottomar Domrich und Trainer Kuno Klötzer bereits zwei Monate im Vorfeld nach Dresden reisen und mit den Dynamo-Funktionären eine Vielzahl brisanter Protokollfragen klären, damit der Ball überhaupt ins Rollen kam: Zu den heiklen Tagesordnungspunkten gehörte die Anreise von Hertha-Fans, denn individuelle PKW-Reisen waren nicht gestattet, schließlich konnten nur 380 Hertha-Anhänger einen Sonderzug besteigen.
Strikt war auch die Bedingung der DDR in der sogenannten Bezeichnungsfrage: Die offizielle Sprachregelung lautete, einen „Internationalen Fußball-Vergleich“ auszurichten – das harmlose Wort Freundschaftsspiel war im sportlichen Kontakt mit dem „Klassenfeind“ hingegen verpönt.
Den Spielern wurde Abgrenzung eingebleut
Diese Linie wurde auf DDR-Seite rigide umgesetzt: So erhielt etwa der Redakteur der Sächsischen Zeitung eine scharfe Rüge der SED-Bezirksleitung, weil er entgegen der Vorgaben in einem Artikel die Begegnung als Freundschaftsspiel angekündigt hatte. Auch den Spielern von Dynamo wurde die Abgrenzung gegenüber den Gästen eingebläut. In einer „politisch-ideologischen“ Mannschaftsvorbereitung wurde anlässlich einer Parteigruppenversammlung „intensiv das Abgrenzungsverhalten“ gegenüber den Herthanern durchgespielt.
Die Verhaltensregeln schrieben vor, dass „Gespräche grundsätzlich nur von Leitung zu Leitung geführt“ würden, die DynamoKicker hingegen keinesfalls ihrerseits das Gespräch mit „den Profifußballern“ suchen durften. Und selbst einfachste Freundschaftsgesten waren tabu: „Nach Beendigung des Vergleiches hat kein Jerseyaustausch zu erfolgen“, erging die Order der Partei. Ein DDR-Fußballer im Trikot der Elf der verhassten „Frontstadt West-Berlin“, von der SED auch gerne als „Stachel im Fleisch der DDR“ tituliert, war eindeutig zu viel für das politische Duldungsvermögen der ostdeutschen Sportführung.
Das Bild des „überheblichen Westfußballs“
Angesichts von so viel zur Schau getragener Ablehnung durch die Gastgeber ließen sich auch die Herthaner schließlich zu einer arroganten Spitze hinreißen. So lehnte Hertha-Trainer Kuno Klötzer das Angebot der Dresdner ab, den Herthanern Trainingszeiten im Stadion einzuräumen: „Am Spieltag werden wir nur leichte Erwärmungsarbeit hinter dem Interhotel durchführen. Wir bringen zwei bis drei Bälle mit!“ Damit war das Bild des „überheblichen Westfußballs“ erneut genährt.
Auch öffentlich suchte die Parteileitung in Dresden, das Spiel nicht hochzuhängen, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: so erfolgte eine Plakatierung im Stadtzentrum erst am Vortag und das auch nur mit dem Ziel, den angereisten Touristen wenigstens den Schein von sportlicher Normalität vorzugaukeln. Offiziell war auch der Aufenthaltsort der Herthaner in Dresden nicht bekannt, doch fanden dennoch Fans den Weg zum Hotel, so dass bekannte Stars wie Erich Beer beim Eintreffen sofort von Anhängern aus dem Osten umringt wurden und bereitwillig Autogramme gaben.
Auch der Kartenvorverkauf war in der Presse erst eine Woche vorher bekannt gegeben worden – allerdings war das Gros der Tickets ohnehin bereits anhand eines von der SED abgesegneten Schlüssels an „sozialistische Großbetriebe“ verteilt. Selbst der Ansagetext des Stadionsprechers musste dem politischen Standard entsprechen und im Vorfeld der Sportführung vorgelegt werden.
Das Problem mit den Gastgeschenken
Zum skurrilen Höhepunkt der deutsch-deutschen Befindlichkeiten geriet jedoch ausgerechnet ein Streit um Stoffbären. Im Jahr 1977 hatte die Öffentlichkeits-Abteilung von Hertha BSC den PR-Gag erdacht, bei allen Auswärts-Auftritten „Berliner Bären“ in das Publikum zu werfen. Die niedlichen Hertha-Teddys fungierten nicht nur als Maskottchen des Vereins, sondern sollten gleichzeitig auch Sympathien für die abgeschnürte Insel-Stadt West-Berlin einwerben. Demgemäß wurden die Aktion vom Verkehrsamt West-Berlins und dem Kaufhaus des Westens (KadeWe) gesponsert.
Nun, im April 1978, reisten die plüschigen Wappentiere im Kofferraum des Hertha-Mannschaftsbusses tapfer über die deutsch-deutsche Grenze Richtung Elbmetropole. Die absehbare Aktion versetzte allerdings die DDR-Sportleitung in Berlin in helle Aufregung – hier war nicht vorstellbar, dass es Symbole West-Berlins bald auf Dresdner Stadiontribünen hageln sollte. Die Übergabe der Teddys wurde von dem Dynamo-Vorsitzenden Rohne gegenüber den Hertha-Offiziellen in harschen Worten als „nicht wünschenswert“ deklariert, ebenso legte man Veto gegen Taschenrechner als Gastgeschenke für die Dynamo-Elf ein. Nur Schreibmappen wurden als Äquivalent für die von Dresdner Seite überreichten Bierkrüge akzeptiert.
Keine O‑Töne der Berliner Fans
Trotz aller Funktionärs-Querelen geriet das Spiel für die Anhänger zum spannenden deutsch-deutschen Spektakel: Das Dynamo-Stadion in Dresden war mit 40.000 Zuschauern ausverkauft. Die Fans der jeweiligen Mannschaften lieferten sich Gesangs- und Sprechchorduelle. Der angereiste rbb-Reporter Jochen Sprentzel fing die begeisterte Atmosphäre ein, verzichtete aber darauf, O‑Töne von Ost-Berliner Hertha-Fans zu verwenden, um „diesen nicht zu schaden.“
Dresden gewann schließlich das Spiel mit 1:0. Hertha spielte sehr unterkühlt und ließ die Dynamo-Offensive gewähren. Allein 24:2 Ecken erzwangen die Gastgeber gegen den Bundesligisten. Nach einem Steilpass von Dixie Dörner in der 69. Minute legte Dynamo-Linksaußen Frank Richter das Leder seidenweich in die lange Ecke – unhaltbar für Hertha-Torhüter Norbert Nigbur.
Der Dynamo-Vorsitzende Rohne konnte am 11. Mai 1978 zufrieden resümieren:
„Zusammenfassend möchte ich einschätzen, daß dieser internationale Vergleich entsprechend unserer Konzeption verlaufen ist. Von unserer Leitung als auch unserer Mannschaft gab es kein politisch-moralisches Fehlverhalten. Als Provokation muss man jedoch die Frage der Übergabe der Schreibmappe mit dem Taschenrechner werten. Wir haben entsprechend darauf reagiert und am Ende auch diese Frage gelöst. In unseren Verhandlungen als auch Veranstaltungen wurde ständig gegen die Formulierungen der Herren von Hertha BSC wie ›innerdeutscher Vergleich‹ und ›Freundschaftskampf‹ Stellung genommen. Weitere Vorkommnisse gab es nicht.“
Das stimmte nicht ganz: Denn die Berliner Problembären hatten schließlich doch noch reißenden Absatz gefunden. Zwar wurden sie nicht wie vorgesehen vor dem Anpfiff ins Publikum geworfen, sondern gingen von Hand zu Hand an die Dresdner Fans, die nach Spielschluss den Hertha-Mannschaftsbus umringten – ein harmloses kleines Souvenir an eine für damalige Zeiten außergewöhnliche deutsch-deutsche Begegnung.