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Am kom­menden Wochen­ende findet in Berlin der Fan­kon­gress 2012 statt. Der Grund­ge­danke lautet: Wie schaut der Fuß­ball in der Zukunft aus und welche Rolle spielen die Fans dabei?“ Am Samstag und Sonntag wird es Podi­ums­dis­kus­sionen und Work­shops zu Themen wie 50+1, Pyro­technik, Anstoß­zeiten, Selbst­be­stim­mung in der Kurve, Soziale Ver­ant­wor­tung, Ein­tritts­preise etc. geben. Dis­kus­si­ons­teil­nehmer sind u.a. Martin Kind (Prä­si­dent von Han­nover 96), Jonas Gabler (Autor von Die Ultras“), Dirk Grosse (Sky Deutsch­land AG), Holger Hie­ro­nymus (Geschäfts­führer DFL), Hen­drik Große Lefert (Sicher­heits­be­auf­tragter DFB) oder Kevin Miles (Foot­ball Sup­porters Fede­ra­tion). Wei­tere Infos findet ihr auf www​.fan​kon​gress​-2012​.de.

Im Laufe dieser Woche lest hier auf 11freunde​.de Inter­views und Berichte zum Thema Fan­kultur. Den Anfang macht eine Repor­tage aus dem Sommer 2011. Damals fragten wir uns: Wie wird man eigent­lich Ultra? Wir besuchten HSV-Capo Johannes Liebnau in Ham­burg.

Irgend­je­mand behaup­tete einmal, Fuß­ball sei the beau­tiful game, das schöne Spiel. In den frühen neun­ziger Jahren war Fuß­ball in Ham­burg vor allem eines: häss­lich. Das Volks­park­sta­dion sah aus, als hätte man es aus einer gott­ver­las­senen sowje­ti­schen Tra­ban­ten­stadt her­aus­ge­trennt und diese graue Beton­schüssel direkt neben der Müll­ver­bren­nungs­an­lage im Nord­westen Ham­burgs wieder her­ab­ge­lassen. Die HSV-Spieler hießen Matysik oder Bode, die Trainer Schock oder Rei­mann. Sie saßen auf einer Bank, die in eine enge Stein­mulde ein­ge­lassen war und an deren Seite ein großes Loch klaffte. Ein Manager hatte das einst ver­an­lasst, um die linke Spiel­feld­hälfte sehen zu können. Einige Fans glaubten, er habe den Beton vor Wut ein­ge­treten. Wut auf Fuß­ball. Wut auf dieses Sta­dion.

Etliche HSV-Fans waren bereits zum FC St. Pauli abge­wan­dert. Sie hatten genug von einer Klub­füh­rung, die kahl­ge­scho­rene Nazis im Sta­dion tole­rierte, weil sie froh war, dass über­haupt mal mehr als 20.000 Zuschauer in den Volks­park kamen. Denn auch sport­lich lief schon lange nichts mehr, Anfang der Neun­ziger belegte der HSV die Tabel­len­plätze 11 bis 13. Es gab in jenen Jahren keinen ver­dammten Grund, sich in diesen Klub zu ver­lieben. Johannes Liebnau tat es trotzdem.

Rational kann man das alles nicht erklären“, sagt der heute 29-Jäh­rige, aber es war auf­re­gend all das zu sehen, was ich bis dato nur aus dem Fern­sehen und dem Radio kannte.“ Johannes Liebnau, den sie alle nur Jojo nennen, sah sein erstes Spiel am 4. April 1992, einen 1:0‑Sieg gegen Mön­chen­glad­bach. Der Vater hatte ihn in die West­kurve mit­ge­nommen, Block A, weit weg von den lang­haa­rigen Kanten mit ihren Kutten, die unauf­hör­lich ihre alten Sprech­chöre anstimmten: Wir stehen Schlange vor dem Sta­dion, es riecht nach Bier und Sieg und nach Sen­sa­tion.“ Auch wenn die Sen­sa­tionen in diesen Jahren rar waren, drückte das etwas aus, was ihn bis heute an diesen Ort zieht: der beson­dere Geruch des Fuß­balls, der Geruch des Sta­dions.

Repres­sion macht uns nur noch stärker.“

Knapp 20 Jahre später stand Jojo Liebnau auf einem pro­vi­so­ri­schen Stahl­trä­ger­po­dest am Ber­liner Alex­an­der­platz. Es war der 9. Oktober 2010, in der Stadt fand eine ver­eins­über­grei­fende Demons­tra­tion zum Erhalt der Fan­kultur statt. Die Fuß­ball­an­hänger hatten Trans­pa­rente mit­ge­bracht, auf denen zu lesen war: Als zah­lender Kunde gerne gesehen, Mit­be­stim­mung nicht genehm.“ Am Abend berich­tete sogar die Tages­schau dar­über. Liebnau sprach auf der Abschluss­kund­ge­bung. Er kri­ti­sierte die DFL und die Kom­mer­zia­li­sie­rung des Fuß­balls, pran­gerte aber auch die Schein­hei­lig­keit des Satzes Fuß­ball­fans sind keine Ver­bre­cher“ an. Schließ­lich hob Johannes Liebnau die Stimme, for­derte die etwa 5000 Demons­tranten auf, die Hände in die Luft zu heben und stimmte einen Schlachtruf an: Repres­sion macht uns nur noch stärker.“ Aus tau­senden Män­ner­kehlen kam das Echo: Repres­sion macht uns nur noch stärker.“ Es klang ein wenig wie ein Sol­da­ten­ge­löbnis, ziem­lich gespens­tisch.

In den Jahren zwi­schen dem ersten Sta­di­on­be­such und der Demo in Berlin ist Jojo Liebnau einer der bekann­testen Fuß­ball­fans in Deutsch­land geworden. Er ist der Vor­sänger der Fan­kurve in Ham­burg. Meh­rere tau­send Anhänger fallen ein, wenn er die Sprech­chöre per Megafon anstimmt. Viele HSV-Fans sehen in ihm auch ihr Sprach­rohr, weil er mit seiner Gruppe Chosen Few die Inter­essen der Kurve bei den Ver­eins­of­fi­zi­ellen ver­tritt. 2009 trat er sogar als Kan­didat für die Wahl in den Auf­sichtsrat an. Andere sagen, er sei wie ein Poli­tiker, stets im Mit­tel­punkt, bis­weilen zu radikal und zu extrem, zudem ständig auf der Suche nach Macht. Jojo Liebnau sagt: Wieso ist es radikal, wenn ich stei­gende Ein­tritts­preise kri­ti­siere? Wieso ist es extrem, wenn ich eine feh­lende Iden­ti­fi­ka­tion mit der Mann­schaft beklage?“

Lieb­naus Geschichte ist eng ver­knüpft mit dem HSV Sup­porters Club, der 1993 gegründet wurde. Am Anfang ging es vor allem um die Koor­di­na­tion von Aus­wärts­fahrten und die Orga­ni­sa­tion bei Ama­teur­spielen. Kleine Auf­gaben, die bis dahin vom Verein igno­riert wurden, denn bis zur Grün­dung des Sup­porters Club waren die Fans gegen­über dem Verein Bitt­steller. Selbst an Fan­be­auf­tragte war damals nicht zu denken. Eine Sekre­tärin des Vor­stands beant­wor­tete spo­ra­disch Anfragen“, sagt Liebnau, der den Sup­portern 1996 bei­trat.

Die Sup­porter bissen sich in den kom­menden Jahren immer wieder an den ver­krus­teten Struk­turen die Zähne aus. 1996 stellten sich etwa zwei Anhänger erst­mals der Wahl zum Auf­sichtsrat. Die älteren Mit­glieder reagierten empört, denn sie sorgten sich, dass der Prä­si­dent Uwe Seeler abtreten würde, wenn im Kon­troll­gre­mium keine Duz-Kum­pels, son­dern ver­meint­lich sub­ver­sive Fuß­ball­an­hänger sitzen würden. Auch später, als Jojo Liebnau nach und nach mehr Ver­ant­wor­tung über­nahm, schmet­terte Prä­si­dent Werner Hack­mann etliche Anliegen ab: Wollen Sie mich ver­ar­schen? Ich habe andere Pro­bleme!“ Liebnau bezeichnet diese Jahre den­noch als die beste Schule, denn er lernte, Hier­ar­chien auf­zu­wei­chen.

Auch die Chosen Few stellte sich ver­krus­teten Struk­turen ent­gegen. Im Gegen­satz zu vielen anderen West­kur­ven­fans ent­wi­ckelte die Gruppe, die in der Tra­di­tion der frühen ita­lie­ni­schen Ultra-Bewe­gung steht, einen anti­ras­sis­ti­schen Grund­kon­sens und bald auch ein ver­eins­po­li­ti­sches Inter­esse. Die Chosen Few hatte sich 1999 aus einer Gruppe des Sup­porters Club gegründet, die Cho­reo­gra­fien ent­warf. Damals hatten die Ver­än­de­rungen im Fuß­ball Tempo auf­ge­nommen. Der HSV bekam ein Sta­dion mit Spon­so­ren­namen, die Ein­tritts­preise stiegen, und Hos­tessen stö­ckelten mit Sekt­flöten durch VIP-Logen. Die Nazis waren zwar ver­schwunden, doch so hatte das auch nie­mand gewollt.

Liebnau stieß Anfang 2001 zur Chosen Few und fing sofort Feuer, als ihm jemand eine Excel-Tabelle in die Hand drückte, die den Plan der neuen Nord­tri­büne zeigte. Er sollte eine Cho­reo­grafie planen. Näch­te­lang klebten er und die anderen Mit­glieder Silo­fo­lien, die nor­ma­ler­weise zum Abde­cken von Heu­ballen ver­wendet werden, zur ersten Block­fahne zusammen. Die Idee einer ver­schwo­renen Gemein­schaft fas­zi­nierte Liebnau. Schon wenige Wochen nach seinem Bei­tritt schrieb er einen zor­nigen Leser­brief an die Taz“, die sich in einem Spiel­be­richt wieder einmal der alten Kli­schees der St. Pauli- (links) und HSV-Fans (rechts) bedient hatte. Sein erster Satz lau­tete: Gna­den­lose Frech­heit!!!!!!!“ Am nächsten Tag hielt seine Gemein­schafts­kun­de­leh­rerin lächelnd die Zei­tung in der Hand. Es war das erste Mal, dass Jojo Liebnau in den Medien Stel­lung bezogen hatte. Das fühlte sich gut an, und so ging es weiter.

Auf­bruch und Pio­nier­geist

Erfolg­reich demons­trierte die Gruppe zum Jah­res­wechsel 2001/02 gegen ein Alko­hol­verbot, mit der Kritik am Ver­kauf des Sta­di­on­na­mens oder der Initia­tive Pro 15:30“ für ein­heit­liche Anstoß­zeiten stieß die Chosen Few aller­dings auf taube Ohren. Uns war immer klar, dass solche Pro­teste keine umge­hende Neu­ori­en­tie­rung der Ver­eine oder der DFL nach sich ziehen würden. Es ging darum, eine Sen­si­bi­li­sie­rung für Themen zu schaffen“, sagt Liebnau und klingt dabei ein biss­chen wie ein Poli­tiker, der von unten Dinge ver­än­dern will. Er steht stell­ver­tre­tend für viele füh­rende Ultras einer Fan­ge­ne­ra­tion von End­zwan­zi­gern. Sie streiten für ihre Sache, fühlen sich von den Mäch­tigen her­aus­ge­for­dert und lieben das Ram­pen­licht – und sei es nur das der Kurve. Dazu passen auch pathe­ti­sche Sätze, die Auf­bruch und Pio­nier­geist sug­ge­rieren. Die Nai­vität, dass man etwas ver­än­dern kann, habe ich nie abge­legt“, sagt Liebnau.

Warum nicht auch die miese Stim­mung im Fan­block, dachte er, als er 2001 in Frei­burg zum ersten Mal auf dem Zaun stand. Die mit­ge­reisten Fans streckten ihm die Mit­tel­finger ent­gegen. Ent­mu­tigen ließ er sich nicht. Bei einem Heim­spiel gegen Frank­furt lief Liebnau hinter dem Aus­wärts­fan­block ent­lang und hörte, wie ein Mann in ein Megafon brüllte: Jetzt zeigen wir den Ham­bur­gern mal, was sie noch nie gehört haben.“ Danach stimmte der Capo einen simplen Klat­sch­rhythmus an, den zwei­tau­send Ein­tracht-Anhänger mit solch einer epo­chalen Wucht beant­wor­teten, dass es dem HSV-Kol­legen den Rücken her­unter lief. Genau das brau­chen wir auch, dachte er.

Fortan stand Liebnau mit dem Rücken zum Spiel auf dem Zaun der Nord­tri­büne, das Megafon in der Hand. Dass ich mich des­wegen nicht für Fuß­ball inter­es­siere, ist totaler Quatsch“, sagt er. Und wie ist es, vor Tau­senden zu stehen? Das Gefühl würde ich nicht als ›erhaben‹ bezeichnen. Doch es ist schon geil.“ Vor allem die Sekunden, wenn das Leuchten in den Augen der Fans immer heller wird, er sich kurz umdreht und sieht, wie ein HSV-Spieler trifft. Dann weiß er: Die Kurve explo­diert und wird jeden seiner Songs mit­singen. In diesen Momenten wirkt er auf viele Fans wie ein Zaun­könig, wie ein Star. Gele­gent­lich wird er sogar nach Auto­grammen gefragt, doch er wie­gelt fast immer ab: Ich bin doch ein Fan wie jeder andere.“ Philipp Mark­hardt, der neben Liebnau und fünf wei­teren der Chosen-Few-Füh­rung ange­hört, zollt dem Vor­sänger vor allem für seine Aus­dauer Respekt. Mark­hardt hatte vor Jojo Liebnau einige Male vom Zaun aus den Block ani­miert. Das war situa­ti­ons­be­dingt. Ich wollte das irgend­wann nicht mehr, ich wollte das Spiel sehen und mit den Jungs mein Bier­chen trinken.“ Johannes Liebnau trinkt kein Bier, er trinkt über­haupt keinen Alkohol.

Bald ließ er sich eine Täto­wie­rung auf den rechten Oberarm ste­chen. Ham­burg“ ist dort zu lesen, daneben das HSV-Wappen und ein See­mann, das Symbol für Frei­heit und das Unter­wegs­sein. Es begannen die Jahre auf Tour. Jojo Liebnau besuchte Spiele in Mol­da­wien, Brunei oder auf den Färöer Inseln, er pflegte sein Ground­hop­per­heft­chen. Bis heute hat er Fuß­ball­spiele in 50 Län­dern gesehen. Zugleich blieb er in all den Jahren auf dem Zaun, als die Ultra­be­we­gung durch Fan­zines wie Match­live“, die zahl­rei­chen Inter­net­foren und You­tube-Clips eine in Deutsch­land sicht­bare und letzt­end­lich auch leicht kon­su­mier­bare Sub­kultur wurde, an der sich die Gene­ra­tionen schieden. Früher, sagen die Alt­fans, musste man sich seinen Platz und seine Posi­tion im Block erkämpfen. Heute gehe man mit 13 Jahren zum ersten Mal ins Sta­dion, lerne zwei Wochen später die Chosen Few kennen und erzähle vier Wochen später den Kutten was von Tra­di­tionen. Andere sagen, wenn es Liebnau und die Chosen Few nicht geben würde, wäre über­haupt keine Stim­mung mehr im Sta­dion.

Im Januar 2009, als der neue Auf­sichtsrat des HSV gewählt werden sollte, gerieten Liebnau und seine Gruppe plötz­lich in die Schlag­zeilen. Der Capo war da bei­nahe 20 Jahre durch die Insti­tu­tionen mar­schiert, West­kurve, Sup­porters Club, Chosen Few. Er hatte mit der Gruppe erfolg­reich gegen die von Bernd Hoff­mann ange­strebte Aus­glie­de­rung der HSV-Pro­fi­ab­tei­lung in eine AG oder GmbH pro­tes­tiert. Er war über all die Jahre Teil einer Art außer­par­la­men­ta­ri­scher Oppo­si­tion gewesen. Doch nun, da er sich anschickte, Mit­glied eines offi­zi­ellen Gre­miums zu werden, sollte Schluss sein. Dass Liebnau wie kaum ein anderer der Kan­di­daten den Klub kennt, dass er aus einem gut­bür­ger­li­chen Päd­ago­gen­haus­halt stammt, BWL stu­diert hat, lange Zeit im Mar­ke­ting einer Brauerei und heute im Manage­ment eines Internet-Startups arbei­tete, dass er trotz aller manchmal über­bor­denden Emo­tio­na­lität rational denken kann – all das war in diesen Tagen egal. Denn Johannes Liebnau hatte den Vor­stands­vor­sit­zenden des HSV, Bernd Hoff­mann, her­aus­ge­for­dert. So ver­mel­dete es jeden­falls der Bou­le­vard.

Bild“ zählte Jojos Schmäh­ge­sänge gegen Werder

Die Jour­na­listen nannten ihn Fan­ein­peit­scher“ und zeigten ihn am liebsten mit freiem Ober­körper. Ein Reporter von Bild“ kam bei einem Heim­spiel gegen Werder Bremen in den Fan­block und zählte die Schmäh­ge­sänge, die er in 90 Minuten anstimmte. Am Ende des Arti­kels fragte er: Was sagt eigent­lich sein Arbeit­geber zum ver­öf­fent­lichten ›Hobby‹ seines Mit­ar­bei­ters?“ Ex-HSV-Prä­si­dent Wolf­gang Klein bezeich­nete die Chosen Few der­weil als Toten­gräber des HSV“. Bernd Hoff­mann äußerte sich zu der Sache gar nicht. Dafür schenkte er dem Bild“-Sportchef, so berich­tete der Spiegel“, eine Uhr im Wert von über 1000 Euro. Han­sea­ti­sche Glück­wün­sche zum Dienst­ju­bi­läum.

In einem Inter­view mit 11FREUNDE sagte Jojo Liebnau einen Tag nach der Wahl: Es hieß, wir wollten den Vor­stands­vor­sit­zenden stürzen, was völ­liger Schwach­sinn ist.“ Ande­rer­seits ver­teilte die Gruppe Flyer mit dem Slogan Change“. Liebnau hatte immer wieder betont, dass er sich nicht ver­biegen lassen und auch als Auf­sichtsrat Vor­sänger bleiben wollte. Doch kann ein Marsch durch die Ver­eins­in­sti­tu­tionen gelingen, wenn man Gesänge anstimmt, die in der Kurve zwar zum nor­malen Ton gehören, in den Logen aller­dings die Sekt­flöten zer­springen lassen? Viel­leicht waren sie zu radikal“, sagt Ralf Bednarek, der heu­tige Chef der Sup­porters-Abtei­lung. Viel­leicht waren wir zu naiv“, sagt Mark­hardt.

Das Jahr 2009 hatte beschissen ange­fangen, es ging noch beschis­sener weiter. Im April und Mai spielte der HSV viermal gegen Werder Bremen, in der Bun­des­liga sowie im DFB-Pokal- und Europa-League-Halb­fi­nale. Aus den Cups schied man aus, in der Liga setzte es eine 0:2‑Pleite. Das alles zusammen hat mich wirk­lich fer­tig­ge­macht“, sagt Liebnau. Es war wie in einer Bezie­hung: Was einen einmal ver­letzt hat, lässt man nicht wieder so nah an sich ran.“ Er ging zum ersten Mal auf Distanz zu seinem Klub, der wei­tere Trainer ver­schliss, sich wieder aus einem Euro­pa­pokal-Halb­fi­nale ver­ab­schie­dete und bei der Suche nach einem Sport­chef bla­mierte. Die Mann­schaft mit dem teu­ersten Kader der Ver­eins­ge­schichte verlor sogar das Derby gegen den FC St. Pauli. Es war höchste Zeit zu reden.

Sind das wirk­lich alles Söldner? Sind wir die bösen Ultras?“

Nach dem dar­auf­fol­genden Spiel gegen Werder Bremen, bei dem die Chosen Few einen Stim­mungs­boy­kott durch­führte, erhielt Jojo Liebnau einen Anruf von Frank Rost. Die Mann­schaft hatte sich ent­schieden, auf die Fans zuzu­gehen. Man wollte sich treffen. Am nächsten Tag standen unter anderem Jojo Liebnau und Ralf Bednarek am ver­ab­re­deten Treff­punkt. Dann öff­nete sich eine Tür, Frank Rost schlappte in Adi­letten auf sie zu und führte sie direkt in die Kabine, in die hei­ligen Hallen einer Fuß­ball­mann­schaft. Dort spra­chen sie sich aus, nur die Mann­schaft und die Fans, keine Ver­eins­funk­tio­näre. Gerade Frank Rost hatte es der Chosen Few angetan, er hatte es über all die Jahre stets ver­standen, die Kla­viatur der Fan­emo­tionen per­fekt zu spielen. Manche nennen das popu­lis­tisch. Liebnau findet das ehr­lich. Er hat größte Hoch­ach­tung“ vor dem Tor­wart. Das Treffen war für ihn alleine schon des­halb wichtig, weil er in über 15 Jahren Fan­ak­ti­vität kaum Kon­takt zu den Spie­lern hatte. Was in der Kabine bespro­chen wurde, bleibt wei­terhin unter Ver­schluss“, sagt Liebnau. Das Treffen hat jeden­falls beiden Seiten geholfen. Alleine um die grund­sätz­li­chen Fragen zu klären: Sind das wirk­lich alles Söldner? Sind wir tat­säch­lich die bösen Ultras?“

Der neue Auf­sichtsrat ent­schied wenige Wochen später, Bernd Hoff­manns aus­lau­fenden Ver­trag nicht zu ver­län­gern. Der Vor­stands­vor­sit­zende packte noch vor Sai­son­ende seine Koffer. Die Wogen glät­teten sich, und das Band zwi­schen Mann­schaft und Fans wurde wieder dicker. Beim Spiel gegen Han­nover 96 im April dieses Jahres stand der gesperrte Änis Ben-Hatira auf Ein­la­dung der Fans mit im Block 22C. Er schrie, er pöbelte. Es fühlte sich ein wenig wie damals an, als dieser Geruch über dem Sta­dion lag. Wenn auch die Sen­sa­tionen wieder einmal aus­blieben.