Die Ultras sind zur U23 abgewandert, die Torjäger ins fußballerische Exil. Hannover 96 soll um die Europapokalplätze mitspielen, muss aber erst einmal zu einer Mannschaft werden. Die Saisonvorschau.
Das ist neu:
Viel hilft viel. Fünf Millionen Euro soll Hannover 96 für den neuen Stürmer Joselu in den Kraichgau überwiesen haben, damit wäre er der teuerste Transfer der Vereinsgeschichte. „Ich werde Teil einer Mannschaft sein, die einen attraktiven Fußball spielen möchte und hungrig nach Erfolg ist“, gab der Spanier zu Protokoll. Zuletzt war Joselu an Eintracht Frankfurt ausgeliehen, wo er stolze 14 Tore in 33 Spielen erzielte. Aus dem Erstliga-Nachlass des 1.FC Nürnberg kam zudem Standard-Experte Hiroshi Kiyotake, der sich nach der enttäuschenden Club-Saison an der Leine wieder einen Stammplatz in Japans Nationalmannschaft erkämpfen will. Ob Trainer Tayfun Korkut mit dem neuen Personal jedoch ein Team formen kann, das mehr als den 10. Platz des Vorjahres erreicht, ist fraglich. Das Präsidium hält das jedoch nicht davon ab, einen einstelligen Tabellenplatz „mit Blick auf Platz sechs“ als Ziel zu formulieren. Wenn es dann doch nur ein zähes Mittelfeldgeplänkel wird, bleibt den Fans wenigstens ein ÖPNV-Schmankerl: Der Aufstieg des SC Paderborn beschert den 96ern ein schönes S‑Bahn-Duell. Die S5 fährt vom Hannoveraner Hauptbahnhof in einer Stunde und 51 Minuten über Vennigsen, Völksen/Eldagsen, Bad Pyrmont und Schieder bis in die Stadt des Aufsteigers.
Das fehlt:
Ein alter Bekannter aus Rockford, Illinois tritt ab sofort den Dienst an der Seitenlinie von Hannovers Jugendmannschaften an. Der ewige Steven Cherundolo beendete im März endgültig seine Karriere und betreut nun die U15 der Niedersachsen. Neben dem US-Amerikaner entschwand auch die Torgefahr. Zur neuen Saison wechselten jene Offensivkräfte aus der Messestadt, die im vergangenen Jahr für mehr als die Hälfte aller Buden verantwortlich waren: Mame Diouf zog es zu Stoke City, der Rest floh ins fußballerische Niemandsland (Szabolcs Huszti zum chinesischen CC Yatai, Didier Ya Konan zum saudischen Al-Ittihad, Artjoms Rudnevs zurück zum HSV).
Das fehlt nicht:
Der FC Hollywood der Liga spielt mittlerweile in Hannover, mehr Drama war lange nicht mehr. Offensichtlichstes Symptom: Im Stadion wird es ab dem 1. Spieltag deutlicher leiser zugehen. Die Ultras haben sich geschlossen von den Rängen verabschiedet und unterstützen nun die zweite Mannschaft des Vereins. Dem Abschied der Dauersupporter war ein jahrelanger Streit mit dem Klub vorausgegangen, allen voran mit 50+1‑Gegner Martin Kind, die Auseinandersetzung wurde immer erbitterter. Es ging um Pyrotechnik und Stadionverbote, um Dauerkarten und Choreos. Es ging um alles. Wenig diplomatisch spuckte der Kindskopf immer neues Verbal-Öl ins Feuer: Mit „Scheißverein“ und „Arschlöcher“ hat noch keiner einen Friedensnobelpreis gewonnen. Der finale Abgang der Ultras ist ein in der Bundesliga beispielloser Bruch zwischen aktiver Fanszene und Klubverantwortlichen.
Wäre diese Mannschaft ein Lied, dann dieses:
Westernhagen: „Kind von gestern“
Nach den Ausreißern in Richtung Europa hat sich Hannover mittlerweile wieder im eher belanglosen Mittelfeld der Liga eingefunden. Die Verantwortlichen wollen mehr, die Kaderverpflichtungen sprechen eine andere Sprache. Und dann ist da auch noch Überpräsident Kind, der sein Herz (sprich: 96) und die von den Ultras zugegebenermaßen teilweise überstrapazierte Traditionspflege (sprich: Fritz Haarmann) offenbar am liebsten an einen zahlungskräftigen Investor verschachern würde. Eine graue Zukunftsvision. Da bleibt nur Westernhagen.
Textauszug:
„Ich bin ein Kind von gestern
Ich hab mein Herz verkauft
An einen Mann von Morgen
Der war micht mal getauft
Ich bin ein Kind von Gestern
Verschollen auf dem Meer
Vergessen auf Planeten
Ist schon ne Weile her
Ich leb im Niemandsland
Bin nur mir selbst bekannt
Was von mir übrig blieb
Geht nicht mal durch ein Sieb“
Das 11FREUNDE-Orakel:
Wenn der interne Zoff das operative Geschäft, so nennt man ja mittlerweile die „Lizenzspielerabteilungen“, nicht zu sehr beeinträchtigt, sollte es für Hannover eine angenehm langweilige Runde werden. Für Europa wird es wohl kaum reichen, mindestens sechs Mannschaften sollten stärker sein als die 96er. Bevor wir hier langweilig von „irgendwas im Mittelfeld„ schwafeln, retten wir uns die Metaphorik des neuen Hauptsponsors „Heinz von Heiden Massivhäuser“:
Läuft alles nach Plan, reicht es in Hannover für das „Stratus FD.500, ein Haus für den designorientierten Bauherrn. 5 Zimmer, 2 Bäder, Gäste-WC, Diele, Ankleide und Hauswirtschaftsraum.“ (Platz 8)
Geht alles schief, baut man an der Leine in der Saison eher den „Nimbus PD.100, ein Bungalow, ideal geeignet für alle, die die Vorteile des ebenerdigen Wohnens genießen möchten. Perfekt für Paare mit einem Kind als auch für die Best Ager-Generation. Putzfassade, 7‑Grad-Pultdach als Fachwerkbinderkonstruktion, Fundamentplatte.„ (Platz 13)
Um in der Bildsprache zu bleiben: Es wird also weder der gülden schimmernde Kaiserpalast der Münchener, noch ein flexibel in die Zweitklassigkeit zu schleppender Wohnwagen aus Paderborn.