Nirgends ist der deutsche Fußball so undurchlässig wie zwischen der dritten und vierten Liga. Drei Absteiger von oben verteilen sich auf fünf Ligen darunter, dafür dürfen dann selbst überlegenste Regionalliga-Meister nicht zwingend aufsteigen. Eine Ungerechtigkeit, beobachtet am Beispiel Lotte gegen Leipzig.
„Es ist ein Witz, dass wir heute überhaupt spielen müssen“, grüßte der freundliche Ordner im beschaulichen Lotte, meinte dabei aber nicht das Wetter, das im Tecklenburger Land schon wieder trocken, eigentlich sogar recht schön ist. Doch das kleine Lotte, bekannt durch das Autobahnkreuz bei Osnabrück und eine überdimensionale Werbewand hinter einem der beiden Tore im Stadion, war am Sonntag Gastgeber einer der unnötigsten Spiele des deutschen Fußballs – der Aufstiegs-Relegation in die dritte Liga. Dabei hatten sowohl die Sportfreunde Lotte (Regionalliga West) als auch RasenBallsport Leipzig (Regionalliga Nordost) ihre Tauglichkeit für höherklassigen Fußball ein ganzes Jahr lang sportlich nachgewiesen. So blieb Leipzig im Osten die gesamte Saison lang ungeschlagen und hatte am Ende 14 Punkte Vorsprung vor den ostdeutschen Traditionsvereinen FC Carl Zeiss Jena und FSV Zwickau. Lotte hatte sich in der vermeintlich besten Liga mit 86 Punkten durchgesetzt. Doch aufsteigen durfte nur eine der beiden ambitionierten Mannschaften.
Die üblichen „Scheiß-DFB“-Rufe
Auch auf den Rängen war vor dem Spiel eher der DFB als RB das Gesprächsthema. Und nach dem Spiel schließlich, RB Leipzig hatte nach einem packenden und bedingungslos geführten Entscheidungsspiel inklusive Verlängerung die dritte Liga erreicht, wurde die Pressekonferenz dann zur letzten Abrechnung mit der ungeliebten Regelung. In Lotte findet die in der Cafeteria und Stadionkneipe direkt hinter der Haupttribüne statt, nur ein Absperrband und ein paar Ordner trennte die Trainer und Pressevertreter von den Fans. Und so wurde die Pressekonferenz zu einem kleinen Rededuell. Beide Trainer richteten sich per Mikro an die Zuhörer und wiegelten ein wenig auf: Sie erhielten die in Kauf genommenen „Scheiß DFB“-Zwischenrufe.
Auch Alexander Zorniger bekam viel Beifall. Der Trainer von RB Leipzig hatte seine Mannschaft ohne Niederlage durch die Saison geführt. Aber in Lotte war wichtiger, dass sich Zorniger schon lange und deutlich über die Relegation aufregt, auch nach dem größten Triumph des ambitionierten Vereins, der bald in der Bundesliga spielen möchte: „Diese Entscheidung ist zutiefst gegen den Sport. Mein erster Gedanke nach unserm Sieg war: Es tut mir von ganzem Herzen leid für Lotte, die haben ein Jahr lang hart gearbeitet wie bekloppt und steigen trotzdem nicht auf.“
Die Aufstiegsspiele zur dritten Liga sind eine Farce. Der DFB hatte vor drei Jahren mal wieder eine Regionalliga-Reform durchgezogen und sich dabei vor allem vom bayerischen Einflüsterer Rainer Koch lenken lassen, der eine Regionalisierung anstrebte um die Kosten für Vereine überschaubarer zu gestalten. Seither hat Bayern eine eigene Regionalliga, während etwa das gesamte Gebiet der ehemaligen DDR eine Ostmeisterschaft ausspielt. Kriterium für die Staffeleinteilung ist offiziell die Zahl der Vereine und Mitglieder des DFB. Aber sportlich geht die Rechnung nicht auf.
So sickerte bereits in der Winterpause durch, dass in der Regionalliga Bayern eigentlich kaum ein Verein in die dritte Liga aufsteigen möchte. Genau genommen waren es vier: Die Zweitvertretungen von 1860 und Bayern München, sowie vom 1. FC Nürnberg und Greuther Fürth wollten in die bundesweite dritte Liga mit ihren langen Anfahrtswegen und einem Spielbetrieb auf Profi-Niveau. Die gut platzierten Dorfvereine FV Illertissen, TSV Buchbach oder SV Seligenporten wollten maximal in den DFB-Pokal. „Es hätte einfach nur vier Ligen und vier direkte Aufsteiger geben sollen“, findet deshalb auch Maik Walpurgis, Trainer der Sportfreunde Lotte.
Zorniger hatte in den vergangenen Wochen keine Gelegenheit ausgelassen, über den Unsinn der Relegation zu zetern, nicht erst seit er mit den Sportfreunden aus Lotte das schwerste Los erwischte. „Sagt ihr, sie ist wenigstens hübsch“, schickte Zorniger unmittelbar nach der Auslosung ein paar Grüße an die Losfee Liza Grundig, amtierende Miss Ostdeutschland, die sich der Undankbarkeit ihrer Aufgabe wohl erst im Nachhinein klar wurde.
Das Los der Fee
Denn Grundig zog die drei Paarungen der fünf Regionalliga-Meister und des Zweiten aus der Südwest-Staffel. Wäre es ein Pokal, hätte sie auch alles richtig gemacht, mit den attraktiven Begegnungen zwischen Lotte und Leipzig sowie Kiel und Kassel. Doch da es um Aufstiege und Existenzen von Fußball-Vereinen geht, hätten die Favoriten wohl lieber den SV Elversberg (Zweiter im Südwesten) oder 1860 München II bekommen, so der allgemeine Tenor vor der Auslosung. Die beiden vermeintlich schwächsten Teilnehmer der Relegation wurden aber gegeneinander gelost und dürfen einen eigenen Aufsteiger in die dritte Liga schicken.
Nord-Meister Kiel setzte sich am Ende sogar gegen mehrfachen Widerstand durch, der sinnbildlich für das Durcheinander in Liga vier ist. Ein paar Tage vor Saisonende war die Mannschaft von Trainer Torsten Gutzeit nach langer Tabellenführung plötzlich nur noch Zweiter, weil der FC Oberneuland relativ unsportlich insolvent ging und Kiel dadurch sechs Punkte, Verfolger TSV Havelse aber nur einen Punkt verlor. Zum Glück für Kiel hatten sie noch das direkte Duell gegen Havelse, und dort setzte sich Kiel, genauso wie gegen Südwest-Meister Kassel durch.
In Hessen nahm man das Ausscheiden mit gemischten Gefühlen hin: Zwar äußerte sich Trainer Uwe Wolf auch mehrfach verwundert, dass man als Meister nicht direkt aufstieg und eventuell dafür der Zweitplatzierte SV Elversberg den Weg in die dritte Liga findet. Aber Kassel hat mehr als eine halbe Million Euro Verbindlichkeiten, muss sparen und da ist ein Aufstieg in die dritte Liga auch eine Gefahr. Denn die ist für fast alle Vereine nur eine Zwischenstation. So haben sich nicht wenige Drittligisten in den vergangenen Jahren übernommen und leben am Rande der Existenzbedrohung, egal ob in Bayern (SpVgg Unterhaching), im Osten (SV Babelsberg, Rot-Weiß Erfurt), im Südwesten (Kickers Offenbach, TuS Koblenz), im Westen (Rot Weiss Ahlen, Alemannia Aachen) oder im Norden (VfL Osnabrück, Kickers Emden).
Rainer Milkoreit, Präsident des Nordostdeutschen Fußballverbands, unterbreitete vor kurzem einen neuerlichen Reform-Vorschlag. Die sechs Mannschaften könnten ja auch in zwei Dreiergruppen die drei Aufstiegsplätze ausspielen, um zu garantieren, dass sich die stärksten Vereine durchsetzen. „Die Zahl der Aufsteiger verändert sich jedoch nicht“, schob er aber sogleich nach. Auf viel Gegenliebe stieß der Vorschlag deshalb bei den betroffenen Vereinen nicht: Auch in Zukunft blieben dann mindestens zwei Regionalliga-Meister auf der Strecke.
So waren auch die Standing Ovations für Lottes Trainer Walpurgis eher aufmunternd gedacht. Denn Lotte muss nun einen weiteren Anlauf nehmen, nachdem die Mannschaft vier Mal in Serie knapp am Drittliga-Aufstieg scheiterte. Doch die Aufgabe wird nicht leichter. Neben Vereinen wie Rot-Weiß Oberhausen, Fortuna und Viktoria Köln oder Rot-Weiß Essen spielen in der starken Regionalliga West im nächsten Jahr wohl auch die beiden finanziell angeschlagenen Absteiger Alemannia Aachen und MSV Duisburg, dazu kommt der KFC Uerdingen aus der Oberliga zurück. „Dass es in so einer starken Wettbewerbsliga nur einen halben Aufsteiger gibt, kann einfach nicht sein“, geißelte Walpurgis mit hochrotem Kopf ein letztes Mal die Regelung.
Nix wie raus aus der vierten Liga!
Viel mehr war nicht zu sagen. Zorniger musste dringend den Mannschaftsbus bekommen. Das Nummernschild (L‑RB 4321) hatte Mittelfeldspieler Dominik Kaiser schon überarbeitet und die „4“ überklebt. Und Timo Röttger sagte stellvertretend: „Es ist einfach geil. Wir sind aufgestiegen, egal wie, das war der schwierigste Schritt.“ Denn ab sofort kann RB auch mal als Tabellendritter eine Liga aufsteigen um sein Ziel Bundesliga schnell zu erreichen. Das Motto der etwas hektischen Abreise zurück nach Leipzig war: Nix wie raus aus der vierten Liga. Sie hatte aber auch einen praktischen Grund: Die Mannschaft wollte den Sonderzug der Fans abfangen, um mit dem eigenen Anhang zurück nach Leipzig zu fahren.