Scheiterte die Karriere eines hoffnungsvollen Dortmunder Stürmers, weil ihn die eigenen Fans für einen Gelsenkirchener Krawallmacher hielten?
Eine der seltsamsten Geschichten, die das Verhältnis von Dortmund und Schalke betrifft, trug sich im Sommer 1992 zu – und zwar in Bochum. Ich war damals junger Vater und fuhr nur noch selten zu Auswärtsspielen der Borussia, doch das Ruhrstadion war bloß ein paar Steinwürfe entfernt und außerdem hatte der BVB damals eine der beliebtesten Mannschaften der gesamten Vereinsgeschichte: Ottmar Hitzfelds Elf, die gerade Vizemeister geworden war.
Also setzte ich mich am 15. August 1992, dem ersten Tag der neuen Saison, kurzentschlossen ins Auto, fuhr die paar Kilometer nach Bochum, parkte gar nicht weit weg vom Stadion und holte mir an der Kasse eine Karte für die Gegentribüne.
Die wahre Geschichte spielte sich nicht auf dem Feld ab
Das Spiel war eine jener umkämpften, dramatischen Begegnungen, wie sie damals zwischen diesen beiden Vereinen geradezu typisch waren: Borussia geriet schon in der ersten halben Stunde erst in Unterzahl, dann mit 0:2 in Rückstand, rettete aber durch Treffer von Michael Zorc und Frank Mill noch einen Punkt.
Das jedoch war nicht die wahre Geschichte dieser Partie. Denn jene spielte sich nicht auf dem Feld ab.
Die Fans beschimpften ihre eigenen Spieler
Etwa zur Mitte der zweiten Hälfte schickte Hitzfeld seine Ersatzspieler zum Aufwärmen hinter das Tor vor der Westtribüne. Es war die Tribüne für die Gästefans, und das führte nun zu einem verblüffenden Spektakel.
Denn schon als die Dortmunder Spieler die Eckfahne umkurvten, um den Bereich hinter dem Tor zu erreichen, liefen einige BVB-Fans die Stufen hinab und schwangen sich auf den Zaun. Sie schüttelten die Fäuste und, so schien es zumindest von der Gegentribüne aus, beschimpften ihre eigenen Spieler.
Ein paar Minuten lang versuchten die Profis, sich ganz normal warm zu machen und nicht auf die Zuschauer zu achten. Doch immer mehr Fans aus Dortmund ignorierten das Geschehen auf dem Rasen und näherten sich stattdessen dem kleinen Häuflein von Reservisten.
Vom UEFA-Cup in die dritte Liga
Schließlich drehte einer der Spieler um und lief langsam zurück zur Bank. Die Zuschauer auf dem Zaun warteten, bis er sich nach einem kurzen Wortwechsel mit Hitzfeld wieder gesetzt hatte. Dann gingen sie, als wäre nichts gewesen, zurück auf ihre Plätze und feuerten ihre Elf an.
Ebenso seltsam wie die ganze Aktion war die Tatsache, dass ich keine Ahnung hatte, wer der fragliche Spieler war. Erst später erfuhr ich, dass es sich um jemanden aus der Amateurmannschaft handelte.
Er kam aus Recklinghausen, war gerade erst 20 Jahre alt und hatte im letzten Jahr 17 Tore für Dortmund in der Oberliga geschossen. Er hieß Ulf Raschke. Im Verlauf der Saison würde er nur zwei Einsätze in der Profimannschaft bekommen, einige Minuten im UEFA-Cup gegen Auxerre und fast eine Halbzeit am drittletzten Spieltag in Nürnberg. Mehr wurde es nicht. Im Sommer 1994 wechselte Raschke zum SC Verl in die dritte Liga.