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HIN­WEIS: Dieser Artikel erschien einen Tag nach den Pro­testen im Jahr 2012 auf 11freunde​.de. Wie geht es den Hin­ter­blie­benen und Ultras von Port Said heute? Für die Titel­ge­schichte unserer aktu­elle Aus­gabe #183 haben wir sie getroffen und erzählen ihre Geschichte.

Magisch sei es gewesen. Das Gefühl der völ­ligen Frei­heit beim ersten Fuß­ball­spiel nach der Flucht von Ägyp­tens Dik­tator Hosni Mubarak. Davon hat Amr Fahmy, Spre­cher der Ultras Ahlawy“, im Inter­view mit 11FREUNDE berichtet: Man konnte es auf den Gesich­tern der Fans lesen: Hier stehen freie Ägypter, die keine Angst mehr haben müssen, dass jeden Moment eine Gum­mi­kugel in die Menge geschossen wird.“ Das war im März 2011. Jetzt ist die Angst zurück.

Bei den schweren Aus­schrei­tungen nach dem Spiel zwi­schen den ägyp­ti­schen Klubs Al-Masry und Al-Ahly, sollen nach offi­zi­ellen Angaben min­des­tens 70 Men­schen gestorben und meh­rere Hun­dert zum Teil schwer ver­letzt worden sein. Unter den Opfern sind vor allem Ultras des Tra­di­ti­ons­ver­eins Al-Ahly. Men­schen wie Amr Fahmy, dessen Ultra­grup­pie­rung Ultras Ahlawy“ gemeinsam mit den Ultras Devils“ den Ton in der Kurve von Al-Ahly angibt.

Wie konnte es zu dieser Kata­strophe kommen? 

Bereits vor dem Anpfiff kommt es im Sta­dion zu ersten Aus­ein­an­der­set­zungen zwi­schen den riva­li­sie­renden Fans von Al-Ahly und Gast­geber Al-Masry. Steine und Fla­schen fliegen in den Aus­wärts­block. Angeb­li­cher Aus­löser für diese erste Welle der Gewalt soll ein Banner sein, auf dem Al-Ahly-Fans ihren Kon­tra­henten feh­lende Potenz unter­stellen. Der Anpfiff der Partie ver­zö­gert sich des­halb um eine halbe Stunde. Anhänger von Al-Masry, deren Team über­ra­schend mit 3:1 gewinnt, stürmen anschlie­ßend nach jedem Treffer den Rasen, mehr­fach werden dabei auch Spieler von Al-Ahly atta­ckiert. Bilder des ägyp­ti­schen Fern­se­hens zeigen ver­mummte Zuschauer, die Leucht­ra­keten in den Gäs­te­block feuern. 

Rainer Zobel sagt: Es gab auch einige Male Tote.“

Schlimme Szenen, doch bis zu diesem Zeit­punkt, zumin­dest für ägyp­ti­sche Ver­hält­nisse, kei­nes­wegs unnormal. Rainer Zobel, zwi­schen 1997 und 2000 Trainer von Al-Ahly und bis 2006 als Übungs­leiter in Ägypten tätig, sagt im Inter­view mit 11FREUNDE: Es gab es auch damals schon Vor­fälle, bei denen die Sta­di­on­tore ein­ge­drückt oder Steine aufs Spiel­feld geschmissen wurden. Es gab auch einige Male Tote.“ 

Die Gewalt von Port Said eska­liert erst nach dem Schluss­pfiff. 

Fern­seh­bilder zeigen, wie hun­derte, schließ­lich tau­sende Zuschauer das Spiel­feld stürmen und die Spieler von Al-Ahly bis in den Kabi­nen­trakt ver­folgen. Auf den Tri­bünen ver­su­chen Gäste-Fans panisch die Aus­gänge zu errei­chen. Raketen und Steine fliegen, man sieht wüste Prü­ge­leien und schließ­lich ein rie­siges Men­schen­knäuel, das sich vor den Aus­gängen hinter dem Tor drängt. Was genau in dem unüber­sicht­li­chen Gewühl geschieht, sieht man nicht.

Das etwas pas­siert, wird spä­tes­tens klar, als den Radio­sender Modern Korta“ ein Anruf aus der Kabine von Al-Ahly erreicht. Am Telefon ist Ver­tei­diger Ahmed Fathi, er schreit: Wir sind gefangen in der Umkleide, alle Spieler wurden geschlagen!“ Auf der Face­book-Seite der Ultras Ahlawy“ erscheint ein Ein­trag: Der erste Tote. Wir gehören zu Gott und zu ihm kehren wir zurück.“

Wäh­rend sich die Spieler gemeinsam mit immer mehr Fans im Kabi­nen­trakt ver­bar­ri­ka­dieren, lässt sich das Schicksal derer, die noch im Sta­di­on­in­neren sind, nur erahnen. Der Guar­dian“ zitiert schon einige Stunden nach dem Spiel den Al-Ahly-Fan Ahmed Ghaffar. Dessen Augen­zeu­gen­be­richt liest sich wie ein Front­be­richt: Wir wurden mit Stö­cken, Mes­sern, Steinen, Glas­scherben, Feu­er­werk und allen mög­li­chen Waffen ange­griffen. Wir wollten uns ihnen ent­ge­gen­stellen, aber es waren zu viele. Wir rannten die Treppen hin­unter, zu den Aus­gängen. Aber die Aus­gänge waren ver­sperrt, vor der Tür standen Sol­daten und ließen uns nicht vorbei. Wir waren gefangen.“ Die meisten Men­schen, so steht es später in einem Bericht der ägyp­ti­schen Gesund­heits­be­hörde, sterben genau hier: Vor den ver­schlos­senen Türen. Sie werden in der Panik tot­ge­tram­pelt, ersti­cken in der Masse oder werden von den bewaff­neten Angrei­fern töd­lich ver­letzt. Zuschauer, die es nicht bis zu den Aus­gängen geschafft haben, werden vom Mob über die Tri­bünen gejagt, einige sterben, weil sie sich vor lauter Angst über die Balus­trade am Ober­rang stürzen.

Es liegen Hun­dert Ver­wun­dete in den Fluren!“

Im Kabi­nen­trakt spielen sich furcht­bare Szenen ab. Das Fern­sehen zeigt die wei­nenden Fuß­baller, viele tele­fo­nieren, einige küm­mern sich um ver­letzte Mit­spieler oder Fans, die mit Schnitt­wunden oder Prel­lungen auf den Bänken kauern. Auf dem Boden liegt ein junger Mann, er atmet schwer und wird von Al-Ahlys Mann­schafts­arzt not­dürftig ver­sorgt. Ahmed Nagi, der Tor­wart­trainer, gibt einem Reporter des ägyp­ti­schen Staats­fern­se­hens ein kurzes Inter­view: Einer der Fans ist in der Kabine gestorben. Und es liegen Hun­dert Ver­wun­dete in den Fluren!“ 
Auf der Face­book-Seite der Ultras Ahlawy“ erscheint der nächste Ein­trag: In der Umklei­de­ka­bine ist jemand gestorben.“ 

Wäh­rend die Kra­walle im Sta­dion von Port Said wei­ter­gehen, findet im Cairo Inter­na­tional Sta­dium das Spiel zwi­schen Al-Ahlys Stadt­ri­vale Zamalek SC und Al-Ismai­liya statt. In der Halb­zeit­pause teilt Zamaleks Trainer Hassan She­hata seinen Spie­lern mit, was in Port Said pas­siert ist. Die Mann­schaft beschließt ein­stimmig, nicht mehr wei­ter­spielen zu wollen, der Schieds­richter bricht die Partie beim Stand von 2:2 vor­zeitig ab. Fern­seh­bilder zeigen, wie wütende Zamalak-Anhänger anschlie­ßend einen Teil ihrer eigenen Tri­büne anzünden.