Nobby Stiles galt als kurzsichtiger Abwehrspezialist, der einst den besten Stürmern der Welt Alpträume bereitete. Heute wäre die Defensivlegende von Manchester United 80 Jahre alt geworden.
Man kann englischen Fußball-Fans durchaus einen Hang zum Hässlichen nachsagen, wenn es um die Auslese ihrer Helden geht. Bobby Charlton: Ein Mann, der schon mit 20 seine drei übrig gebliebenen Haarsträhnen sorgsam über den Schädel kämmen musste. Paul Gascoigne: Ein pummeliges Kindergesicht mit Blumenkohlohren. Und Nobby Stiles. Ein kleiner Gnom, dem Haare, Sehkraft und Zähne fehlten. Vom dem Alan Ball einst sagte, er wäre „der gesichtsälteste U23-Spieler in der Geschichte des Spiels“. Und der doch einer der besten Verteidiger war, den die Welt je gesehen hat.
In den 1960er-Jahren zählte der 1942 in Collyhurst bei Manchester geborene Stiles zu den besten Defensivspielern des Landes. Weil er zum einen ein großartiges Stellungsspiel besaß – und zum anderen mit gruseligen Fluggrätschen über die Rasenflächen der britischen Insel rutschte. „Nobby hatte einen sechsten Sinn für Gefahr und wenn er sie erkannt hat, wurde sie gleich im Keim erstickt“, äußerte sich einst United-Legende Bobby Charlton über seinen Mitspieler. Der bekam schon bald nach seinem Debüt im Oktober 1960 gegen die Bolton Wanderers den Spitznamen „Happy“ verpasst. Ganz einfach aus dem Grund, weil er – kaum auf den Platz gelassen – zu einem geradezu furchtbaren Schweinehund mutierte. „Nobby war unser Feldwebel“, erinnert sich Nationalmannschafts-Mitspieler Geoff Hurst, „wenn ich meinen Hintern nicht bewegt habe, gab es gleich den großen Anschiss.“
„Für den richtigen Einsatz im Zweikampf hatte ich quasi eine Antenne auf dem Kopf“
Seine ersten große Momente feiert Stiles allerdings in der Offensive, als junger Teenager prophezeit man dem Schüler-Auswahlspieler eine großartige Zukunft als Torjäger. Dann verschlechtert sich seine Sehkraft, mit 15 ist er ohne zentimeterdicke Brille quasi hilflos. Auf dem Platz trägt er Kontaktlinsen – und verändert seinen Spielstil. „Als Stürmer sah ich keine große Zukunft mehr für mich, also habe ich die Position gesucht, die meinen Stärken noch am ehesten nahe kam.“ Fortan hält er den kreativen Kollegen in der Mittelfeldzentrale den Rücken frei und ist seinerseits für die offensiven Freigeister des Gegners zuständig. „Auf den ersten Metern war ich verdammt schnell. Und für den richtigen Einsatz im Zweikampf hatte ich quasi eine Antenne auf dem Kopf.“ Sein Trainer und Förderer, der große Alf Ramsey, adelte Stiles als „die zentrale Figur in unserer Defensive. Statt eines Ausputzers hinter der Abwehr, hatten wir einen Ball-Gewinner davor.“
Ohne Zweifel ist Stiles eines der großen Idole und Ikonen der ruhmreichen Geschichte von Manchester United. Bis heute schwärmt der 67-Jährige von den „Reds“. Die Tragik der Vergangenheit hatte Stiles und United einst auf ewig aneinander gekettet. Eigentlich beginnt seine Geschichte in Manchester am 6. Februar 1958, als Flug 609 der British European Airways im Schnee von München in Flammen aufgeht und acht Spieler der ruhmreichen „Busby Babes“ ums Leben kommen.
Stiles, 15 Jahre alt, poliert zu diesem Zeitpunkt die Fußball-Schuhe eines der Opfer, Eddie Colman. In der Kabine hört der junge Nachwuchsspieler gemeinsam mit seinen Kumpels von dem Unfall in Deutschland. Keiner denkt ernsthaft daran, dass einem seiner Idole etwas Schlimmes passiert sein könnte. „Wir haben noch gescherzt und gesagt: ´Na hoffentlich hat sich keiner ein Bein gebrochen!´“ Erst im Bus auf dem Heimweg liest der Teenager in der Zeitung vom Ausmaß der Tragödie. „In diesem Moment geriet die Welt für mich aus den Fugen. Niemand von ihnen konnte doch einfach tot sein, schon gar nicht Coly!“ Als Stiles vor dem Haus seiner Eltern aussteigt, weiß er, dass keiner da ist. Er geht in die Kirche – und betet mit Freunden, Verwandten, Nachbarn. „Ich weiß nicht mehr, wie lange ich auf den Kirchenbank gehockt habe.“ Die nächsten Wochen erstickt die Stadt fast in Trauer. „Es schien so, als wäre das einzige, was wir in den Tagen machen würden, zu Beerdigungen zu gehen.“ Der junge Nobby hilft als Messdiener aus, nur nicht bei der Bestattung seines Idoles. „Coly war tot, es war unfassbar. Ich war der gewesen, der seinen Schuhen den letzten Glanz gegeben hatte.“
Doch natürlich geht das Leben weiter. Und auch die Karriere des Fußballers Nobby Stiles. United hat jetzt genügend Bedarf an jungen Talenten, die sich beweisen wollen und Stiles nutzt die Chance. Bald ist er aus der Mannschaft der „Reds“ nicht mehr weg zu denken, 1965 folgt die Belohnung in Form einer Einladung zur Nationalmannschaft. Nur ein Jahr später steht Stiles in der Stammelf der englischen Auswahl bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land. Ein unglaublicher Aufstieg. Und die Welt kann nicht glauben, wer da in Englands Defensive steht: Ein kleiner Kerl mit wenig Haar und glasigen Augen, dem zu allem Überfluss auch noch die halbe obere Zahnreihe fehlt. Einem kernigen Zweikampf Jahre zuvor sei Dank.