Die 11 des Spieltags (33)
Geiler Typ, isso!
Warum Stuttgarts Kevin Großkreutz ein Gewinner ist, auch wenn er mal so richtig kacke spielt.
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Sandro Wagner
Und wer Typen liebt, muss ihn lieben. Denn da stand er nun. Der Mann, dem man am Ende seiner drei Jahre Hertha kaum mehr zutraute, per Torschuss die Luft vor ihm zu treffen. Der Mann, der gerade den Siegtreffer und sein 14. Saisontor erzielt hatte. Der Darmstadt damit den Klassenerhalt sicherte. Einen Spieltag vor Ablauf der Saison. Darmstadt! Und weil das alles Wahnsinn ist, ließ auch Wagner jede Räson fahren.
Prügelte sich die Faust auf's Herz. Legte den Zeigefinger als Mahnmal des Schweigens auf die Lippen. Und deutete unbestimmt in Richtung Himmel. Oder Hölle. So genau war das nicht mehr auszumachen. Der ganze Jubel reine Ekstase. Dargeboten direkt vor der Ostkurve des Olympiastadions. Vor denen, die Hertha atmen. Ein und aus. Vor denen, die Wagner für den Moment gern ins brennende Walhall geatmet hätten. Und als sich die Gemüter schließlich beruhigt hatten, der Schlusspfiff Geschichte war, räumte Wagner die Übertreibung ein. Wie jeder große Darsteller.
André Hahn
Eigentlich könnte hier jetzt einfach nur stehen, was hier schon vergangene Woche stand. Denn auch gegen Bayer Leverkusen streute André Hahn Ballannahmen ein, die mittelbegabten Fußballern als Torschuss gereichen würden. Spielte Pässe über fünf Meter acht Meter weit daneben. Brach sich beim Versuch eines Hackentricks fast die Beine. Und stand am Ende des Tages trotz allem mit zwei Treffern im Spielberichtsbogen. Weil er einfach in jeder verdammten Sekunde alles in die Waagschale wirft, was das Leben ihm in die Hausapotheke gestellt hat. Und so geht das dann: Dass das Glück unter der Last des Bemühens gar nicht anders kann, als in seine Richtung auszuschlagen. So geht der Hahnsinn.
Stefan Aigner
Seine bisherige Saison verlief derart bescheiden, dass man ihn gerne mal mit auf die Kirmes genommen hätte. Allein damit er vor einem in die Tombola greife und mithin zielsicher alle Nieten herausfische. Doch plötzlich scheint sich das Blatt gewendet zu haben – Full Aigner. Siegtreffer in Darmstadt. Siegtreffer gegen Dortmund. In Kopfballungeheuer-Manier. Im Fallen. So schön fliegt nicht mal Eintracht-Adler Attila. Wir würden trotzdem und noch immer gern einmal mit ihm auf die Kirmes. Vorausgesetzt, er teilt. Denn momentan würden sich die Hauptgewinne wohl von ganz allein aus der Tombola schälen, sobald Aigner sich ihnen auch nur näherte.
Daniel Baier
Augsburg gerettet, Schalke Platz vier ruiniert: Was Daniel Baier in der 89. Minute und mit nur diesem einen Tor an Emotionen auslöste, dafür bräuchte selbst Giacomo Casanova ein paar hundert Romanseiten. Er selbst hingegen nahm es eher gelassen. Setzte den goldenen Schuss, drehte dann sogleich dezent jubelnd ab. Als hätte er gerade erfahren, dass die Dose Pizza-Tomaten, die er immer kauft, heute statt 79 nur 78 Cent kostet. Aber der Mann ist das schließlich auch gewöhnt. War ja immerhin seiner vierter Bundesligatreffer. In acht Saisons.
Robert Lewandowski
29 Tore in 31 Spielen. In Ingolstadt den achten Doppelpack der Saison erzielt. Und Meister geworden, klar. Zum persönlich vierten Mal. Robert Lewandowski nicht in die »11 des Spieltags« zu nehmen, wäre, als würde man Angela Merkel nur zur zweitbesten, amtierenden Bundeskanzlerin erklären. Bedankte sich dann auch artig für die ihn erreichenden Glückwünsche. Erklärte, wie sehr er sich freuen würde und wie sehr erst, sollte er die magische 30-Tore-Grenze knacken, die zuletzt vor 39 Jahren Kölns Dieter Müller durchbrach. Für uns fast noch interessanter: Ob die Freude auch irgendwann in Lewandowskis Gesicht ankommt? Wir setzen drei Merkel-Rauten dagegen. Aktuelle Quote? Null für null.
Kevin Großkreutz
Sein Instagram-Account trägt den Namen »fischkreutz«. Sein Onlineshop verscherbelt sein ganz eigenes #Isso-Merchandise. Er soll mit Dönern geworfen und in eine Hotel-Lobby gepinkelt haben. Und trotzdem haben wir Kevin Großkreutz dolle lieb. Weil wir zwar nicht jeden seiner Sätze oder jede seiner Handlungen verstehen. Er aber trotzdem einfach ein geiler Kicker ist. Auch wenn er mal richtig kacke spielt. So wie gegen Mainz.
Doch dann stellt er sich, der Kevin. Den Fans und den Fragen der Welt. Gesteht ein, dass das nix war, hömma. Dass es ihm leid tut. Und es hätte keine seiner Tränen gebraucht, ihm jede Silbe der Verzweiflung und Enttäuschung abzunehmen. Wer solche Typen in seinen Reihen hat, verliert niemals so ganz. #Isso. - Verbeugen bis zum Hexenschuss
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Karim Onisiwo
Er wurde in Wien geboren. Wie David Alaba. Ihre Väter kannten sich schon, als sie noch in Lagos lebten, Nigeria. Sie hielten weiter Kontakt, nachdem beide nach Österreich gekommen und Väter geworden waren. Und so spielten sich der kleine Karim und der kleine David durch die Käfigplätze des Wiener Stadtteils Favoriten. Dann verloren sie sich aus den Augen. Alaba wechselte bald zu den Bayern und wurde zu einer der besten Allzweckwaffen des Weltfußballs.
Onisiwos Weg hingegen glich einem Alpenpass voller Serpentinen und Sackgassen. Ehe er in der Winterpause endlich wahr wurde, der Traum von der Bundesliga. Ein paar Wochen Eingewöhnung, eine Zehenverletzung später hat es der Flügelstürmer nun in Stuttgart zum zweiten Startelfeinsatz hintereinander gebracht. Und mal eben gezeigt, warum ihnen in Mainz Vorfreuden-Pipi in die Augen schießt, wenn sie von ihm reden. Bereitete ein Tor vor, erzielte eines selbst. Und wirbelte und ackerte auch sonst über den Platz, dass sie bei Porsche überlegen, ihren neuen SUV Onisiwo zu nennen.
Wenn das auch nur halbwegs das ist, was der Mann kann, dürfen sich die Rechtsverteidiger der Europameisterschaft auf einiges gefasst machen. Wenn es heißt: »Und heute dampfen sie über links ein – David Alaba und Karim Onisiwo. Made in Favoriten.«
Darmstadt 98
Die Mannschaft ist vermutlich weniger »wert« als der Fuhrpark an der Säbener Straße. Und doch weit mehr, da sie so vielen Menschen etwas bedeutet. Selbst denen, die eigentlich gar keine Lilien-Fans sind. Weil sie eines dieser Märchen geschrieben hat, von denen es heißt, dass es sie gar nicht mehr gibt. Weil sie all den (uns) Romantikern, Nostalgikern und Träumern Freude ins Gesicht gemeißelt hat.
Weil sie mit dem Klassenerhalt das scheinbar Unmögliche möglich gemacht hat. Wir hoffen, dass das irgendwann überhaupt nichts besonderes mehr und Darmstadt dann ein ganz normaler Bundesligist ist. Weil das bedeuten würde, dass sie noch ein paar Mal die Klasse gehalten hat. Und bis dahin verneigen wir uns tief – bis zum Hexenschuss.
Vladimir Darida
Wie wusste schon sein Quasi-Namensvetter und Philosoph Jaques Derrida: »Die Verantwortung beginnt genau dann, wenn man keine Gewissheit mehr hat.« Und die Gewissheit, dass dies eine wirklich überragende, und nicht einfach nur eine sehr gute Saison werden würde für die Hertha, war nach zuletzt drei Niederlagen in Folge ja merklich geschwunden.
Also ging Vladimir Darida voran, erzielte das 1:0 und spielte überhaupt eine Vorstellung ins Olympiastadion, die der Champions League locker würdig war. Reichte am Ende trotzdem nicht. Seine Mitspieler hatten sich en gros der Traum-Dekonstruktion verschrieben. Wie wusste schon Derrida, da ihm am 30. Februar 1972 auf einer Pariser Parkbank sitzend eine Taube das Blouson defäkierte: »Mist!«
André Schubert
Er hat einen besseren Punkteschnitt als Jupp Heynckes und Lucien Favre. Würden nur die 28 Spieltage seiner Amtszeit gelten, läge Gladbach auf Platz drei der Liga. Noch nie zuvor hat eine Mannschaft, die die ersten fünf Spieltage verlor, am Ende noch einen einstelligen Tabellenplatz, geschweige denn die Champions-League(-Qualifikation) erreicht. Und dennoch soll der Stuhl von André Schubert wackeln, wird Markus Weinzierl als Nachfolger ins (Boulevard-)Gespräch gebracht.
Vielleicht liegt es daran, dass Schubert wirkt, wie er nunmal wirkt. Immer etwas angespannt, aufgesetzt fast. Als wolle er ganz besonders locker, ganz besonders natürlich wirken. Doch wer Spiele wie gegen Leverkusen und diesen Platz vier mitverantwortet, dürfte zumindest nach dem Geschmack der meisten Gladbacher vermutlich sogar Kölner sein.
Pep Guardiola
Er landete in der Bundesliga wie ein Außerirdischer. Zum Messias und Weltenretter des Fußballs verklärt. Nun verlässt er sie als dreifacher deutscher Meister. Und dennoch versuchen nun manche, ihm einen Makel ans Revers zu klöppeln, da er die Champions League nicht gewonnen habe. Er sei unvollendet, wissen demnach vor allem die, die ihn einst als vollendeten Trainer begrüßten. Die an beiden Enden der Extreme zugleich gemeldet sind.
Da passt es ins Bild, dass Guardiola ausgerechnet im Audi-Sportpark von Ingolstadt, diesem Wallfahrtsort für Gefühllose, zeigte, was er wohl am ehesten ist: Einfach ein offenbar ziemlich guter Trainer, der das Spiel so sehr liebt und lebt, dass es manchmal wehtut, ihm dabei zuzusehen. Und obendrein ein feiner Mensch. Der seine Titel mal eben mit seinem Vorgänger Jupp Heynckes geteilt wissen wollte, »eine richtige Legende«. So spricht kein Messias. So spricht einfach nur ein guter Typ.