Wenn die DFB-Elf amtierender Weltmeister ist, kann es unter deutschen Fans oft höchst unangenehm werden. Wie Philipp Köster in Lille festgestellt hat.
In Lille zeigte sich der deutsche Anhänger mal wieder von seiner angenehmsten Seite. Es ist eines der größten Missverständnisse des Fußballs, wenn Anhänger glauben, die Erfolge ihres Teams seien auch die eigenen. Im Vereinsfußball mag das ja noch hinkommen, in Köln, Dortmund oder auf Schalke sind Fans bisweilen ja wirklich der 12. Mann.
Vollends bizarr ist diese Annahme allerdings bei der Nationalmannschaft, deren Gefolgschaft sich ja im Stadion vorwiegend damit beschäftigt, Klatschpappen zu falten oder angegammelte Böhse-Onkelz-Lieder zu singen.
„Zwei Bier und wer ist Weltmeister?“
Besonders unangenehm wird es immer dann, wenn Deutschland gerade mal wieder Weltmeister ist. Schon beim letzten Titel 1990 regierte landesweit die nationale Hybris und schwappte sogar bis an die niederländische Nordseeküste, wo sich ein schwer angetrunkener Anhänger der Nationalelf am Getränkestand anstellte und seine Bestellung mit den kühnen Worten aufgab: „Zwei Bier und wer ist Weltmeister?“ Er wurde dann auch länger nicht bedient.
Nur eine Petitesse jedoch gegen das deprimierende Schauspiel am Sonntag im französischen Lille. Seit dem Sommer 2014 halten sich die Freunde der Nationalelf ja dauerhaft für die Größten, obwohl sie gar nicht in Rio auf dem Rasen standen, sondern weit überwiegend daheim mit der Pranke in der Flipstüte auf dem Sofa gehockt haben.
Bereits am Bahnhof in Lille drängelten sich vierschrötige Unsympathen, die das Wort „Deutschland“ offenbar nur in Frakturschrift lesen können. Die leeren Bierbüchsen wurden zielsicher im Springbrunnen auf dem Vorplatz entsorgt und immer mal wieder der rechte Arm gehoben.
„Jetzt wird hier aufgeräumt!“
Und als sich partout keine ukrainischen Hooligans zeigen wollten, wurden kurzerhand harmlose Anhänger in gelben Trikots verprügelt, was wiederum ein Anhänger, der die Szenerie von einer Empore aus filmte, mit den urst sympathischen Worten kommentierte: „Jetzt wird hier aufgeräumt!“ Man fragte sich unwillkürlich, was das eigentlich für Menschen sind, die hunderte Kilometer fahren, um in einer friedlichen Stadt unter fröhlichen Menschen Angst und Schrecken zu verbreiten, und sich dabei nicht vor sich selbst in Grund und Boden schämen.
Im Stadion ging es friedlicher zu, sieht man einmal davon ab, dass der deutsche Fanblock dann am lautesten war, als „Die Nummer 1 der Welt sind wir“ gebrüllt wurde, und das vornehmlich von Leuten, die in keiner Disziplin jemals die Nummer 1 sein werden.
Sicher, es gibt solche und solche. In Lille jedoch sah man vor allem solche, denen man eine sehr lange Zeit keinen Titel wünscht.