Neuer trägt bald Cape, Kroos macht die Bayern lächerlich, Klose ist historisch wie die Berliner Mauer: Die deutsche Mannschaft gegen Brasilien in der Einzelkritik!
Manuel Neuer
Wenn wir irgendwann mal alt und grau sind, mit zittrigen Fingern in unserem Panini-Album blättern und gelangweilten Enkeln ein großes Geheimnis des Alters verraten, nämlich, dass früher alles besser war, und uns diese Rotzlöffel nicht glauben wollen, weil Opa ja sowieso einen Schuss hat, dann zeigen wir den Blagen die besten Paraden von Manuel Neuer, zünden uns genüsslich ein Pfeifchen an, während der Nachwuchs staunend und völlig fasziniert vor unserem historischen HD-Flachbildfernseher hockt, sich immer wieder entgeistert zu uns umdreht, die Münder zu einem „What the fuck?“ geformt; dann schließen wir die Augen und denken noch mal an die 90 Minuten von Belo Horizonte, damals, am 8. Juli 2014, als Manuel Neuer im Tor stand und dabei so unüberwindlich aussah wie die chinesische Mauer, so dermaßen superheldenmäßig rüberkam mit seiner ganzen Aura, seiner Klasse und seiner Ausstrahlung, dass wir uns jetzt, viele Jahrzehnte später, noch immer wundern, dass er nach dem Spiel nicht in einer Telefonzelle verschwand und mit wehendem roten Cape die Welt vor dem Bösen zu retten versuchte. Dann werden wir uns wieder jung fühlen.
Mats Hummels
Wir möchten an dieser Stelle den schon vielfach verwendeten Vergleich mit dem Kasten Bier, den robuste Verteidiger aus dem Strafraum köpfen, modernisieren und auf Mats-Hummels-Niveau erhöhen. Denn Hummels würde den Kasten Bier nicht einfach stumpf aus dem Strafraum köpfen. Er würde ihn elegant mit der Brust annehmen, an zwei Brasilianern vorbeischlängeln, ihn dann mit einer herrlichen Flanke an einen seiner Mitspieler verteilen und dann vermutlich noch selbst ins gegnerische Tor stoßen. Und weil Hummels bei dieser WM eigentlich alles gelingt, würde er dabei, im Flug, 24 Flaschen mit dem Außenrist öffnen und an glückliche Fans verteilen. Das Bier wäre natürlich das beste Bier der Welt und die Flaschen lägen kühl und angenehm in der Hand. Beim Jubel über sein Tor würde der Mats dann noch unauffällig den Pfand wegbringen und den Bon in den Kasten für die Tafeln werfen.
Jerome Boateng
Armer Fred. Da pfiffen ihn irgendwann 200 Millionen Landsleute aus, als habe er soeben vor laufender Kamera eine freundliche Oma beklaut und deren Enkel noch eine gescheuert. Das muss ein fürchterliches Gefühl gewesen sein, so zum Buhmann gemacht zu werden. Öffentlich grün und blau geschlagen zu werden. Doch für Fred dürften die Pfiffe, dürfte der Hass noch vergleichsweise angenehm gewesen sein. Denn Fred, Mittelstürmer der brasilianischen Nationalmannschaft, hatte zuvor gegen Jerome Boateng spielen müssen. Und das wünschte man am gestrigen Abend nicht seinem schlimmsten Feind.
Philipp Lahm
Lieber Philipp Lahm, wir möchten uns bei Dir entschuldigen. Dafür, dass wir am Anfang der WM kurz den Glauben in Dich verloren hatten. Da wirktest Du etwas unsicher und spieltest doch tatsächlich zwei Fehlpässe hintereinander. Und weil Dir das zuletzt in der B‑Jugend passiert war, am Tag nach der großen Fete bei Toni, als Du, um die süße Susi aus der Nachbarklasse zu beeindrucken, doch tatsächlich eine Flasche Fruchtsekt geleert hattest und dann reihernd im Gästeklo übernachten musstest, waren wir uns nicht ganz sicher, ob Du bei dieser WM nicht doch in eine Art Mini-Formtief stecken könntest. Seit gestern wissen wir: Wenn es dieses Formtief tatsächlich gegeben haben sollte, war es in etwa so tief wie eine Pfütze. Gegen Brasilien warst Du nämlich wieder so herrlich Philipplahmartig, dass uns schon beim Gedanken daran, gegen Dich ein Fußballspiel bestreiten zu müssen, das Herz in die Hose rutschte, um sich dort in der Hosentasche auf alle Ewigkeit zu verstecken. Deshalb, lieber Philipp Lahm, verzeih uns. Schön, dass es Dich gibt.
Benedikt Höwedes
Man kann ja über den neuen Linksverteidiger der Nation maulen wie man möchte. Noch immer wirkt der gelernte Innenverteidiger auf der Außenbahn bisweilen Hüftsteif wie Carsten Jancker im Salsa-Club. Soll aber ja keiner sagen, der Höwedes hätte sich nicht in dieses Turnier gebissen! Und mit beißen meinen wir: Wie ein tollwütiger Kampfhund, dem der schöne Pudel von gegenüber gerade die Herzensdame ausgespannt hat. Was dem Autor dieser Zeilen, ein ewig gestriger Nostalgiker, der im angetrunkenen Zustand regelmäßig von dem Moment schwärmt, als Stefan Effenberg im Champions-League-Viertelfinale 2001 Roy Keane erst über die Seitenlinie grätschte und dann den standesgemäßen „Dicke-Eier-Rempler“ verpasste, gestern ganz besonders erfreute, war das Funkeln in den Augen von Höwedes vor dem Spiel. Da blickte der Nationalspieler so dermaßen entschlossen drein, dass man ihm in dem Moment auch zugetraut hätte, den Atlantik eingeschlossen in einem Panzerschrank zu durchschwimmen. Und wie die folgenden 90 Minuten zeigen sollten: Der Blick hatte nicht zu viel versprochen.
Bastian Schweinsteiger
Wir wollen Bastian Schweinsteiger in Zukunft bei folgenden Dingen dabei haben:
- der Neustrukturierung unserer Plattensammlung
- unserer Steuererklärung
- wenn wir unser Leben mal wieder in Griff kriegen möchten
- beim sauber die Beziehung beenden und danach Freunde werden
- dem extrem schweren 5000-Teile-Puzzle
Denn niemand sortiert, ordnet, strukturiert und plant besser als Schweini. Lasst den Mann einen Tag in einer Berliner Behörde malochen und die Hauptstadt hätte keine Beschwerden mehr. Außerdem fordern wir die Damen und Herren von Ravensburger hiermit auf, sich endlich Gedanken über eine Verpflichtung von Bastian Schweinsteiger zu machen: Niemand tut mehr für den Spielaufbau als dieser Mann.
Sami Khedira
Wir haben das ja noch nie gemacht. Uns aus einer Kanone schießen lassen. Aber wir vermuten mal, dass das Erlebnis ähnlich durchschlagend sein dürfte, wie der gestrige Auftritt von Sami Khedira. Der tobte durch das brasilianische Mittelfeld mit der Wucht einer Herde Nashörner auf Anabolika. Wäre das Halbfinale ein Computerspiel, wären bei Khediras Vorstößen kleine gelbe Wesen nach links und rechts geflogen, während über Khediras Kopf der Punktestand immer weiter gewachsen wäre. Wir haben es schon mehrfach betont, werden aber nicht müde, es immer wieder zu betonen: Dieser Kerl hat sich im November 2013 das Kreuzband gerissen. Jetzt hat er Brasilien zerfetzt wie ein Welpe Frauchens Hausschuhe. Wenn wir solches Heilfleisch und Ärzte wie Khedira besäßen, wir würden uns gleich morgen die Finger brechen, nur um zu staunen, dass wir zwei Tage später bereits wieder die Tastatur beackern könnten.
Toni Kroos
Bayern München lässt Toni Kroos ziehen und bei Real Madrid anheuern. Frage: Ist Bayern München der dämlichste Verein der Welt?
Thomas Müller
Immerhin eine Sache, die Thomas Müller gar nicht gut kann: Verstecken spielen. Denn der Mann ist einfach überall zu finden. Wie gegen Brasilien, wie eigentlich in bislang jedem Spiel dieses Turniers. Wäre Müller ein Spielgerät, wäre er ein Flipperautomat. Wäre er ein Song, er hieße „Heute hier, morgen dort“. Es ist immer wieder faszinierend, wie dieser dünne Kerl mit den Selleriestangenbeinen durch sämtliche Abwehrreihen dieser Welt spaziert, als sei das hier nicht die WM, als sei das nicht die viel gelobte brasilianische Viererkette, sondern ein kleiner Bolz auf dem Ascheplatz vorm Nachbarhaus. Lasst uns den Mann schleunigst zum Bundeskanzler machen. Er macht eh immer alles richtig.
Mesut Özil
Man kann, wenn man will, auch über diesen Auftritt von Mesut Özil maulen. Man kann seine angebliche Lustlosigkeit bemängeln, seinen fehlenden Esprit, seine zahlreichen gescheiterten Versuche, sich in das aufregende Offensivspiel seiner Mitspieler einzuklinken, anprangern. Man kann aber auch einfach noch mal auf das Ergebnis schauen (7:1), sich vergewissern, wie viele Tore Özil gestern auflegte (drei), die Klappe halten und einsehen, dass Jogi Löw schon seine Gründe haben wird, warum er in jedem Spiel dieser WM auf Mesut Özil vertraute. Vermutlich, weil er Weltmeister werden möchte.
Miroslav Klose
16. WM-Tor. Den Brasilianer Ronaldo auf der ewigen Bestenliste abgelöst. Mit einem Tor im Halbfinale. Gegen Brasilien. In Brasilien! Seit gestern ist Miroslav Klose so historisch wie die Berliner Mauer, die Watergate-Affäre und Monica Lewinsky. Und weil wir damals im Watergate kein Zimmer mehr bekamen, am Tag des Mauerfalls lieber in Bottrop-Kirchhellen shoppen waren und unser Praktikum im Weißen Haus dummerweise kurz vor Monica Lewinsky beendet hatten, dürfen wir nun voller Stolz und für den Rest unseres Lebens sagen: Ich war dabei, als Miro Klose sein 16. WM-Tor schoss! Dann werden wir eine schwarz-rot-güldene Gänsehaut bekommen, einen Vorwärtssalto verkacken und unsere Frau mit drei ausgestreckten Fingern grüßen.
Per Mertesacker
Man hatte ja schon die Befürchtung, Per Mertesacker würde immer noch in der berühmten Eistonne stecken und erst in 1000 Jahren von Forschern aus dem ewigen Eis geborgen und im Naturkunde-Museum von Porto Seguro ausgestellt werden, so rar hatte er sich nach dem Algerien-Spiel gemacht. Zur Halbzeit ließ Löw seinen ausrangierten Abwehrchef dann doch auftauen, und das Eis in den Gliedern merkte man dem 1,98-Meter-Mann in den ersten Minuten tatsächlich an. Wenn es im gestrigen Spiel eine Art von Schwächephase im deutschen Spiel gab, dann in jenen Szenen, als sich Mertesacker erst noch leicht irritiert seinen Platz in der Viererkette suchen musste. Bitter für Merte: Wenn Hummels zum Finale wieder fit wird, steht das Innenverteidiger-Duo Boateng/Hummels so sicher in der Startelf wie Manuel Neuer im Tor. Gut für Deutschland: Zur Not kann Löw eben einen Per Mertesacker bringen.
André Schürrle
Wurde bei der letzten Einzelkritik gegen Frankreich vom Autor dieser Zeilen einfach schändlich vergessen. Woraufhin dieser durch die Kneipen von Kreuzberg zog und sämtliche Aschenbecher auf seinem Haupt entleerte. Gegen Brasilien war Schürrle dann aber selbst für die 11FREUNDE-Einzelkritiker nicht zu übersehen. Einsatzzeit: 32 Minuten. Tore: Zwei. Gewonnene Sprintduelle: 100? Sein Tor zum 7:0 (!) war von solch graziöser Schönheit, dass dieser Treffer wahrscheinlich bald als Wichsvorlage bei Youporn hochgeladen wird. Fassen wir es so zusammen: Schürrles Auftritt gegen Brasilien war pornös.
Julian Draxler
Dinge, die wir in unserem Leben gerne noch machen würden:
- mit Gisele Bündchen einen Strandurlaub verbringen
- Michael Jordan einen Alley oop auflegen
- mit Batman das Böse bekämpfen
- gemeinsam mit Mike Tyson eine Kneipenschlägerei gewinnen
- beim Stand von 6:0 im Halbfinale gegen Brasilien in Brasilien eingewechselt werden.