Als Tottenhams Jan Vertonghen im Spiel gegen Ajax ausgewechselt werden musste, übergab sich Belgiens Nationalspieler, der kaum noch auf seinen Beinen stehen konnte. War es fahrlässig, ihn zunächst weiterspielen zu lassen? Was sich jetzt ändern muss.
Das Hinspiel des Champions-League-Halbfinals zwischen Tottenham und Ajax lief gerade etwas mehr als eine halbe Stunde, als es gehörig krachte. Ajax-Torhüter André Onana hatte seinen Fünfmeterraum verlassen, um den Ball rigoros per Faustabwehr zu klären und dabei die beiden Tottenham-Verteidiger Toby Alderweireld und Jan Vertonghen gleich mit abgeräumt. Sie ineinander geschoben, so dass die Köpfe der beiden belgischen Nationalspieler gegeneinander rauschten. Und während Onana dieses Panzerduell schadlos überstand und Alderweireld sich nur kurz zu schütteln brauchte, blieb Vertonghen am Boden.
Fast schon hektisch schienen die Versuche der Spurs-Ärzte, ihrem Abwehrchef zur Hilfe zu kommen. Vielleicht waren auch sie von der Menge an Blut überrascht, die Vertonghens Gesicht bedeckte. Vielleicht aber waren sie sich auch einfach nicht sicher, womit genau sie es hier zu tun hatten. Denn Vertonghen blutete nicht nur, er wirkte mächtig benommen. Ein Eindruck, der sich wenige Minuten bestätigen sollte, da Tottenhams Nummer fünf ausgewechselt wurde.
Für den Trainer war die Sache klar
Es war ein Bild des Elends. Da hing er, dieser 1,89 Meter große, 86 Kilogramm starke Modellathlet, hing in den Armen seiner Betreuer und übergab sich. Der Magen krampfte, die Beine gaben nach und hingen mit dem Kopf Richtung Hölle. So sehen Boxer aus, nachdem das weiße Handtuch geflogen kam. Und auch wenn Vertonghen nach dem Spiel bereits wieder durch die Mixed-Zone tigerte, um alle Journalisten wissen zu lassen „keine Gehirnerschütterung, nichts gebrochen“, kam prompt eine Diskussion auf, wie denn nun mit Kopfverletzungen und Verdachtsmomenten auf solche umzugehen sei.
Für Tottenhams Trainer Maurizio Pochettino war die Sache klar, er sagte: „Die Ärzte hatten entschieden, dass er weitermachen kann, aber dann fühlte er sich unwohl und musste runter. Ich war in die Entscheidung nicht involviert und will es auch in Zukunft nicht sein. Wenn sie wollen, dass er ausgewechselt wird, werde ich daran nicht zweifeln, sondern auf sie hören.“
Deutschland hängt zurück
Und die Ärzte? Haben pro forma alles richtig gemacht und ihren Spielern mit einer Reihe von Tests überprüft. Doch sind diese Test wirklich ausreichend? Und sollten sie nicht, wie beim American Football in den USA, wo sie alles in allem rund fünf statt drei Minuten dauern, von neutralen Fachleuten durchgeführt werden, statt vom Ärzteteam der betroffenen Mannschaft?
Oder zumindest objektiviert werden, wie beim NBA-Team aus Oakland, den Golden State Warriors. Dort setzt man bei der Erkennung von Gehirnerschütterungen auf Virtual-Reality-Brillen. Die Spieler verfolgen auf dem Bildschirm einen roten Punkt, eine Kamera zeichnet ihre Augenbewegungen auf. In der Vergangenheit wurde durch diese Technik zwei Mal verhindert, dass Spieler trotz Gehirnerschütterung wieder auf den Platz gingen. „In Deutschland sind wir davon noch leider ganz weit entfernt. Ich bin immer wieder überrascht, welche Themen im Fußball derzeit noch Priorität haben. Doch da wird sich in nächster Zeit einiges tun“, sagt Dr. Ulrich Grünwald, Oberarzt der Unfallchirurgie am Johannes Wesling Klinikum Minden.