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Heute hat Gott keine Zeit. Heute kommt fucking Ash United.

Tony Vance steht an seiner Tak­tik­tafel und zieht Pfeile von links nach rechts. Jemand, der nicht fit ist, ha?“, fragt Guern­seys Trainer, doch seine Spieler schweigen, starren auf die Kacheln der Kabine, auf die Iso-Drinks, die Bananen, die Hände der zwei Mas­seure, die unauf­hör­lich Waden und Füße kneten. Vance zählt seine Spieler durch. Hat er über­haupt noch genug? Was ist mit Jamie? Here! Wai­ting for a piss!“ Und Dom? Here! Wai­ting for the game!“

Ash United also, ein kleiner Verein bei Aldershot, Graf­schaft Hamp­shire. Hin­spiel im Sep­tember 2012, Glyn Dyers Hammer aus 25 Metern, Dominic Heaumes Kopf­ball, die haben sie zer­legt, 5:1 am Ende, ein gran­dioses Spiel. Und heute? Ein­ge­fal­lene Wangen, müde Augen, sie sitzen da wie Berg­ar­beiter, bereit für die nächste Schicht unter Tage. Foot­ball, bloody hell.

Es ist der letzte Freitag im April. Der Guernsey FC hat in den ver­gan­genen 25 Tagen 13 Spiele bestritten. Jetzt kommen drei Heim­spiele an einem ein­zigen Wochen­ende: Ash United, Molesey und Sand­hurst Town. Am nächsten Dienstag geht es weiter bei Bedfont Sports und um das erste Mai-Wochen­ende herum folgen die letzten vier Sai­son­spiele inner­halb von vier Tagen: Dor­king, Hartley Wintney, Epsom & Ewell und Farnham Town. Wenn der GFC alle diese Spiele gewinnt, steigt er am 6. Mai von der neunten in die achte Liga auf. Nach 21 Par­tien in 38 Tagen. Es ist ein Spie­le­ma­ra­thon, den es so noch nie im eng­li­schen Fuß­ball gegeben hat. Die Frage ist nur: Wer hält das durch?

Fuck it! Nie­mand hier ist fit!“

Nie­mand!“ Co-Trainer Colin Fall­aize hat sie als Erster durch­schaut. Fuck it! Nie­mand hier ist fit, das weiß ich!“, schnaubt er, und dann zeigt er auf die Wände und Türen der Kabine. Überall hängen Zettel mit rot-gelben Kreuzen auf weißem Grund, es ist die Flagge von Guernsey. Fall­aize will sie heute über die gute alte Heimat- und Ehre-Nummer packen, denn Guernsey, dieses Idyll im Ärmel­kanal mit eigener Wäh­rung, eigenem Steu­er­system, eigenem Slang, diese Insel, die weder zum Ver­ei­nigten König­reich noch zur EU gehört, ist ihr ganzer Stolz. Fall­aize klopft wieder und wieder auf die Kreuze.

Sie nennen den 58-Jäh­rigen hier Mr. Moti­vator“, Typ Hafen­ar­beiter, graue Schläfen, schiefe Schnei­de­zähne, Hände wie Bären­pranken. Immer dann, wenn seine Jungs in den ver­gan­genen Wochen aus­sahen, als müssten sie noch in der Halb­zeit ins Sau­er­stoff­zelt, hat er ihnen von seiner Lieb­lings­se­quenz aus dem ersten Rocky“-Film erzählt: Zu Bill Contis Gonna Fly Now“ rennt der Boxer durch Phil­adel­phia, läuft am Ende die Trep­pen­stufen zum Museum of Arts hinauf und reißt die Arme hoch. Immer weiter“, hat Fall­aize dann gesagt. Immer weiter.“ Die Spieler haben genickt und ein biss­chen gelacht über den lieben, alten Mann mit seinen Erin­ne­rungen aus einem anderen Leben. Dann haben sie die Ste­reo­an­lage auf­ge­dreht – Outkast, Robbie Wil­liams, Kas­a­bian, der heiße Scheiß der letzten Jahre – und ihre neuen Fri­suren und Täto­wie­rungen ver­gli­chen. Das Tattoo von Jamie Dodd zum Bei­spiel. Der Abwehr­riese hat sich ein Gemälde über den kom­pletten Rücken ste­chen lassen, zum Gedenken an seinen toten Bruder, 30 Stunden hat das gedauert. Auch so ein Mara­thon.

Als der Schieds­richter die Spieler hin­aus­ruft, schreit auch Fall­aize: Ach, scheiß’ auf Fit­ness!“, und er zeigt wieder auf die Zettel an den Wänden. Ihr spielt heute für dieses Kreuz! Kein ver­dammter Spaß! Es geht nur um dieses Kreuz!“ Und der Mann, den sie zu seiner aktiven Zeit Le God“ nannten? Matt Le Tis­sier sitzt in London und ana­ly­siert für Sky“ die Pre­mier League.

Es schneite, es stürmte, es reg­nete

Die unge­wöhn­liche Spiel­plan-Situa­tion zeich­nete sich bereits im Dezember und Januar ab, als der GFC nur ein ein­ziges Liga­spiel bestreiten konnte. Das Wetter war schuld, natür­lich. Der Winter hatte die Insel über­rascht, denn nor­ma­ler­weise herrscht hier dank des Golf­stroms ein mildes Klima. Es schneite, es reg­nete, es stürmte, an man­chen Tagen ließen Kinder kleine Papier­schiffe auf den Fel­dern her­um­fahren, so hoch stand das Wasser. Die Gegner vom Fest­land hätten nicht mal anreisen können, weil immer wieder Flüge gestri­chen wurden.

Und dann war da noch die FA. Der eng­li­sche Fuß­ball­ver­band wollte die Saison der Com­bined Coun­ties Foot­ball League unbe­dingt am 6. Mai beenden, schließ­lich findet an diesem Tag das jähr­liche FA-Treffen in London statt. Warum können sie nicht am 6. Mai dinieren und Ende des Monats den Papier­kram erle­digen?“, fragt Mark Le Tis­sier. Die spre­chen immer von Fair­play und Gesund­heit, doch das hier ist das ver­dammt Gefähr­lichste, was ich je im Fuß­ball erlebt habe.“ Mark Le Tis­sier ist Sport­di­rektor des GFC und der Bruder von Matt Le Tis­sier, dem berühm­testen Sohn der Insel. Matt Le Tis­sier ist ehe­ma­liger Natio­nal­spieler, eine Legende des FC Sout­hampton und heute so was wie der Ehren­prä­si­dent des GFC, das Aus­hän­ge­schild.

Im Sep­tember 2012 hatten sie ihn klamm­heim­lich bei der FA ange­meldet. Matt dachte, es wäre eine nette Sache, wenn er am Ende der Saison noch einmal in Guernsey Fuß­ball spielen würde, dort, wo vor über 44 Jahren alles ange­fangen hatte, dort, wo er nach seiner Kar­riere auf der Tri­büne saß und Kinder ihn fragten: Bist du der, den sie ›Gott‹ nennen?“ Da ahnten Matt und Mark aller­dings noch nicht, wie das Ende der Saison aus­sehen würde.