Im Oktober 1990 outet sich Justin Fashanu als erster Fußballprofi öffentlich. Am 2. Mai 1998, heute vor 25 Jahren, nimmt er sich das Leben. In seinem Abschiedsbrief schreibt er: „Schwul und eine Person des öffentlichen Lebens zu sein, ist hart.“
Die Reportage erschien erstmals im 11FREUNDE-Spezial „Rebellen“ 2013. Das Heft findet ihr hier.
Am Tag, als Justin Fashanu sterben wollte, spazierte er ein letztes Mal durch das Londoner East End. Vielleicht blickte er auf die Hinterhof-Werkstätten, den stillgelegten Bahndamm, in kaputte Fenster, in kaputte Leben. Sicher ist, dass er im Stadtteil Shoreditch von der Great Eastern in die Fairchild Street einbog, dann ein paar Meter ging und die Tür zur Nummer 1 öffnete. Hier befand sich damals die Gay-Sauna „Chariots“. Zeugen berichteten später, er sei gut gelaunt gewesen. Das war am 2. Mai 1998.
Justin Fashanu, 37, Ex-Fußballprofi, Sohn nigerianischer Eltern, hatte drei Wochen zuvor überstürzt seine Wohnung in Maryland/USA verlassen. Er nannte sich mittlerweile nach dem Mädchennamen seiner Mutter: Justin Lawrence. Er wollte seine Spuren verwischen, denn es hieß, er habe in Maryland einen 17-jährigen Jungen sexuell missbraucht. Er wusste, dass die US-amerikanische Polizei nach ihm suchte. Am Morgen des 2. Mai 1998 berichtete die englische Presse außerdem, dass Scotland Yard eingeschaltet wurde. Eine Falschmeldung, wie sich später herausstellte.
An diesem letzten Tag gab sein Bruder, John Fashanu, ein Interview. „Ich bete, dass die Anschuldigungen nicht wahr sind“, sagte er. „Doch wir haben seit Jahren nicht mehr gesprochen, und daher berührt es mich nicht mehr so stark.“ Am nächsten Morgen fand die Polizei Justin Fashanu in einer Garage unweit des „Chariots“, um seinen Hals zog sich ein Elektrokabel, er baumelte von einem Holzbalken.
Justin Fashanu war 19 Jahre alt, als ihn ein Tor über Nacht zum Superstar machte. Der Mittelstürmer, damals in Diensten von Norwich City, schoss das Tor in der Saison 1979/80 gegen den FC Liverpool, und es war tatsächlich phänomenal. Fashanu stand in halbrechter Position etwa 20 Meter vor dem gegnerischen Keeper, er erwartete den Pass eines Mitspielers. Mit dem rechten Außenrist ließ er den Ball geschickt auf Hüfthöhe abtropfen, dann drehte er sich und schoss den Ball volley mit links in den Winkel. „Oh, what a goal!“, japste BBC-Kommentator Barry Davies. Fashanu verzog keine Miene, er streckte nur den Zeigefinger in die Luft.
Brian Clough beschimpfte Fashanu als „Schwuchtel“
Eines Tages fand der Trainer heraus, dass Fashanu in Nottinghams Schwulen-Bars verkehrte. Vor versammelter Mannschaft beschimpfte Clough seinen Stürmer als „Poof“ (dt. Schwuchtel), später warf er ihn aus dem Kader. Als Fashanu trotzdem beim nächsten Training erschien, versuchten Spieler und Trainer ihn vom Platz zu drängen. Clough soll ihn sogar getreten haben. Doch weil auch das nicht half, rief der Trainer die Polizei und ließ Fashanu vom Vereinsgelände führen.
In seiner 2004 erschienen Biografie „Walking on Water“ räumte Clough ein, eine Mitschuld am Tod von Fashanu zu tragen. Er schrieb: „Ich war für ihn verantwortlich, denn er fiel in meinen Zuständigkeitsbereich als Trainer, aber ich habe ihm nicht geholfen.“ Die ehemaligen Mitspieler werten die Auseinandersetzungen mit Fashanu allerdings noch viele Jahre später als Lappalie. John McGovern, damals Kapitän von Nottingham Forest, sagte 2012 in einem TV-Interview: „In einer Fußballmannschaft piesackt man sich eben. Das Wort Schwuchtel wurde sicherlich nicht benutzt, um den Spieler persönlich anzugreifen.“
Fashanu predigte gegen sexuelle Lust
Für Fashanu bedeuteten die Vorfälle von Nottingham eine Zäsur. Sein Leben geriet aus der Bahn. Zu allem Überfluss verletzte er sich 1983 schwer am Knie, die Operationskosten waren immens hoch. Jahrelang trainierte er in Reha-Zentren und Fitnessstudios. So gut wie einst sollte er aber nie mehr spielen. Fashanu versuchte Neuanfänge in den USA und Kanada, oft bei unterklassigen Vereinen, dort, wo nie jemand von Brian Clough oder Nottingham Forest gehört hatte. Glücklich wurde er nicht.
Zwischenzeitlich reiste er nach Nigeria, in die Heimat seiner Eltern, er eröffnete eine Schwulenbar in Los Angeles, und als ein Freund ihm sagte, dass nur Jesus ihm helfen könne, schloss sich Fashanu den „Born-again Christians“ an, einer protestantischen Fundamentalistengruppe. Er predigte gegen die sexuelle Lust, hielt sich aber weiterhin in Nachtclubs auf, geplagt von Gewissensbissen und dem Glauben, dass eine gleichgeschlechtliche Beziehung eine Sünde sei.