Die Feier-Bilder aus Liverpool gingen um die Welt. Doch eines blieb gänzlich unbemerkt. Dabei hat es gerade das in sich.
Die hohe Kunst der Bildinterpretation stellte schon mein pubertäres Ich vor immense Schwierigkeiten. Was will uns der Künstler mit diesem Bild sagen? Wie beurteilen Sie die Ausrichtung der Protagonisten? Dient die herrlich angewandte Sfumato, die typischerweise unter Verwendung einer Reihe von transluzenten Glasuren benutzt wird, um ein Farbspektrum von dunkel bis hell zu erzeugen, dem Zweck, dem Kommunikator eine falsche Wirklichkeit zu präsentieren? Die Bilder behandelten religiöse Themen, schwer zu interpretierende moderne Kunst und Bilder wie „No.5“ von Jackson Pollock, bei dem mich bis heute spontan der Schwindel befällt, weil ich weder weiß, wo oben, noch wo unten ist. Welches Thema leider nie behandelt wurde: der Fußball.
Dabei fällt mir die Interpretation auf diesem Gebiet deutlich leichter. Wie bei diesem Bild (siehe Titelbild), welches am Rande der Feierlichkeiten zum Champions-League-Erfolg Liverpools entstand. Kloppo und sein Team fuhren im Doppeldecker durch die Stadt und ließen sich von schätzungsweise 750 000 Bekloppten feiern, doch einer toppte sie am Samstag alle. Die ganze „You’ll never walk alone“-Abfeierei und Mythos-Beschwörerei schön und gut, zeigt dieser Schnappschuss doch vielleicht am Besten die Absurdität der Liebe, die einige Menschen zu diesem Verein entwickelt haben.
„Jetzt, du. Deine Chance.“
Man sieht einen mittelalten Mann, der sein Bein, vom Glück beschwipst, in die Höhe schmeißt und sich dabei an einer Leiter festhält. Der Mund ist weit geöffnet – jederzeit bereit, seine Freude in die Welt zu brüllen. Zwei Besonderheiten machen den Schnappschuss so einzigartig: Zum einen ist der Mann fast nackt. Socken und ein im Mode-Jargon als Mankini, umgangssprachlich auch schlicht als „Borat“ bezeichneter Badeanzug, bedecken zumindest die „Bikini-Zone“. Ansonsten trägt er nicht viel. Weil der Mankini schon kurios genug ist, ist man geneigt, seine Socken außer Acht zu lassen, dabei sind die für das Outfit gerade wichtig. Protestiert er gegen den Berlin-Trend barfuß aus dem Berghain direkt zur Arbeit zu laufen oder gar gegen Til Schweigers Lifestyle-Marke „barefoot-living“? Wobei der Begriff Lifestyle-Marke bereits genug Anlass zum Protest gebe. Möglich auch, dass es keine Socken, sondern Stutzen sind und als Zeichen seiner ständigen Bereitschaft für eine Einwechslung dienen. Das lange Warten auf Klopps Signal: „Jetzt, du. Deine Chance.“