Wie kann sich eine Fanszene erfolgreich gegen Nazis wehren? Werder Bremen kennt diese Problematik. Inzwischen verfügt der Verein über ein funktionierendes Frühwarnsystem – und könnte damit ein Vorbild für andere Klubs sein.
Gegen ein Uhr in der Früh kamen die Nazis. Erst ein paar, dann immer mehr, am Ende waren es 20 kampferprobte Hooligans, die auf die Gäste im Bremer Ostkurvensaal einprügelten. „Racaille Verte“, eine Ultra-Gruppierung mit klar definierter anti-rassistischer Haltung, feierte im Bauch des Bremer Weserstadions an diesem 27. Januar 2007 ihr einjähriges Bestehen. Dann tauchten die Nazis auf, sie provozierten mit ihrer Kleidung und ihrem Auftreten und schlugen dann um sich. Ein Fan brach sich bei den Auseinandersetzungen die Nase, das Jochbein und eine Zehe, viele andere wurden ebenfalls verletzt. Viel schlimmer als die körperlichen Schäden war allerdings das Gefühl, dem Terror der braunen Gewalt nichts entgegensetzen zu können. Der Verein wirkte in den Tagen danach hilflos und überfordert. Der damalige Fanbeauftragte erklärte, auf ein mögliches Nazi-Problem angesprochen: „Der Ausdruck wäre überzogen.“ Die Fanszene von Werder Bremen stand am Scheideweg.
Auflösung der „Eastside“
Auch bei Werder Bremen gab spätestens mit Beginn der nuller Jahre die Ultra-Szene den Ton in der Kurve an. Die 1997 gegründete „Eastside“ organisierte Choreografien, Auswärtsfahrten, und die ein oder andere Pyro-Show. Eine klare politische Positionierung gab es nicht. In der „Eastside“ vermischten sich die unterschiedlichsten Strömungen, einigen konnten sich die Mitglieder auf die Unterstützung ihres Vereins. 2005 reichte das alleine nicht mehr aus, die „Eastside“ löste sich auf. Manche Mitglieder vermissten den linksalternativen Ansatz, den die Vorbilder aus Italien – jedenfalls zum Teil – vorlebten. Dass auf Aufwärtsfahrten in den „Eastside“-Bussen Pornos liefen, während minderjährige Mädchen vor den Bildschirmen hockten, war mit ihrer anti-sexistischen Haltung nicht mehr vereinbar. Andere bemängelten die fehlende Kreativität beim Support in der Kurve.
Aus den Mitgliedern der ehemaligen „Eastside“ entstanden in den Folgemonaten bzw. Folgejahren u.a. „Infamous Youth“, „Racaille Verte“, zwei „klassische“ Ultra-Gruppen, die sich klar gegen Rassismus und Diskriminierung positionierten, sowie weitere Gruppierungen, die sich zum Teil wieder auflösten, neu formierten oder umbenannten. Gegenwärtig geben fünf verschiedene Ultra-Gruppen den Ton an.
2007 war Werders Szene zersplittert – und angreifbar
Dass sich eine Fanszene aufsplittert, war in Bremen nichts Neues, eine ähnliche Entwicklung hatte es auch schon bei den Kutten und Hooligans gegeben. Kenner der Bremer Szene bewerten die Auflösung der Großgruppe „Eastside“ und die anschließende Aufteilung in verschiedene kleinere Gruppen als „positiv“. Die unterschiedlichen Gruppen würden für Vielfalt in der Kurve sorgen und damit wiederum eine stabile Fanszene garantieren. Doch im Januar 2007 war die aktive Fanszene von Werder noch weitestgehend zersplittert. Und damit angreifbar.
Auch Werder Bremen war schon immer ein Magnet für Hooligans mit neonazistischem Background. Bekannteste Gruppen sind die „Standarte Bremen“ (ehemals „Standarte 88“) und „Nordsturm Brema“. Führende Köpfe der „Standarte Bremen“ sind unter anderem Hannes Ostendorf, Aktivist der NPD und Sänger der stark rechtslastigen Band „Kategorie C“, sowie Andre Sagemann, ebenfalls eine bekannte Figur aus der rechtsextremen Bremer Szene. Ostendorf und Sagemann gehörten zu der etwa 20 Mann starken Gruppe der Nazi-Schläger, die in der Nacht vom 27. auf den 28. Januar 2007 den Ostkurvensaal stürmten. Ein klarer Angriff auf die linksalternativen Ultras von „Racaille Verte“. Und der Beginn eines Machtkampfes um die Vorherrschaft in der Kurve.
Die wichtige Rolle der Medien
Till Schüssler war damals Teil von „Racaille Verte“. Die letzten Atemzüge der „Eastside“ erlebte er noch selbst mit. Heute arbeitet er als Fanbeauftragter von Werder Bremen. Er sagt: „Der Überfall hat damals alle Beteiligten aufgeschreckt und der Fanszene, sowie dem Verein die eigenen Schwächen deutlich aufgezeigt. Man entschied sich für einen gemeinsamen Weg gegen Rechtsextremismus.“ Als wichtiges Element führt Schüssler heute die mediale Berichterstattung bzw. die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit an: „Es zeigte sich, dass es in Bremen genügend Journalisten und Medien gibt, die ihre Arbeit so genau nehmen, dass sie die Wahrheit wissen und darüber berichten wollen.“ Weil die Bremer Zeitungen den Überfall schnell aufdröselten und Täter und Opfer klar benannten, wirkte sich das auch auf die Meinung der Werder-nahen Öffentlichkeit auf. Die rechten Schläger von „Standarte“ und Co. wurden auch als solche bewertet. Die Ultras, allen voran „Racaille Verte“, die sich kurz nach der Prügelei auf ihrer Homepage zum Vorfall äußerten, waren Opfer von politisch motivierter Gewalt geworden. Und nicht von einer Hauerei unter Fußballfans.
Werder selbst tat sich anschließend schwer mit einer klaren Stellungnahme. Erst nach Wochen bestätigte auch der Verein, dass es sich um einen politisch motivierten Vorfall gehandelt habe. Werder Bremen stand am Scheideweg, entschied sich dann aber doch für die richtige Richtung. Klaus-Dieter Fischer, seit 2003 Werder-Präsident, betont allerdings, dass sich sein Verein schon vor den Angriffen von 2007 aktiv gegen jegliche Form von Extremismus eingesetzt habe: „Werder Bremen war schon immer dafür bekannt, sich von rechter Gewalt zu distanzieren. Der Ostkurven-Überfall bestätigte uns vielmehr darin, dass wir unsere Arbeit intensivieren mussten.“ Für viele Beobachter enttäuschend war das anschließende Gerichtsverfahren, die die Angeklagten zwar für die Schlägerei verantwortlicht machte, jedoch lediglich Geldstrafen verteilte. Ausführliche Beobachten zum Prozess finden sich HIER.
2008, Bochum: Werders Szene reinigt sich selbst
Wie entscheidend es für die Fanszene eines großen Vereins ist, sich mit der Problematik von rechter Gewalt in den eigenen Reihen zu befassen, keine Angst zu haben, diese Probleme zu benennen, sich aber vor allem jederzeit laut und deutlich zu einer anti-rassistischen, anti-faschistischen und anti-diskriminierenden Philosophie zu bekennen, zeigte sich am 8. November 2008. Während des Auswärtsspiels beim VfL Bochum präsentierte eine Handvoll Mitglieder der Hooligan-Gruppierung „Nordsturm Brema“ im Werder-Block ein Banner mit der Aufschrift: „NS HB Sport Frei“. Eine Provokation mit klar rechtsextremen Hintergrund: „NS“ steht zwar hier für „Nordsturm“, das Kürzel für „Nationalsozialismus“ ist allerdings gewollt. „Sport Frei“ ist zwar eigentlich ein alter, wenn auch längst überholter Sportlergruß, hat allerdings in Bremen eine besondere Bedeutung, heißt doch so eine zweitweise auf den Bremer Neonazi Henrik Ostendorf angemeldetes Kleidungsmarke. „Wir haben Fotobeweise, dass Mitglieder von ›Nordsturm Brema‹ zur rechten Bremer Szene gehören“, bestätigt auch Schüssler. 2008 stand er mit im Block, als das Banner entrollt wurde. Doch die Schläger verbreiteten nicht mehr Angst und Schrecken, der übrige Bremer Anhang solidarisierte sich gegen die rechten Ausläufer. Feuerzeuge flogen, „Nazis raus!“-Rufe hallten durch den Auswärtsbereich im Bochumer Stadion. Fans benachrichtigen Ordner, Ordner benachrichtigten die Polizei, Polizisten nahmen die „Nordsturm Brema“-Mitglieder fest. Die Fans brüllten ihnen ein höhnisches „Auf Wiedersehen“ hinterher. Werders Fanszene hatte sich in diesem Fall selbst gereinigt.
Die Ereignisse von Bochum wären eine gute Grundlage für eine engere Zusammenarbeit zwischen Fans und Verein gewesen, doch Werder nutzte die Chance nicht sofort. In sämtlichen fanpolitischen Angelegenheiten klaffte auch in Bremen eine große Lücke zwischen Verein und Fans, allen voran den Ultras.
Erst 2010 setzte ein Umdenken ein. Klaus-Dieter Fischer, Werders Präsident, hatte eingesehen, dass die gewachsene und in ihren unterschiedlichen Strömungen so komplexe Fanszene dringend Vermittler benötigte, damit der Verein nicht vollends den Kontakt zu seiner Basis verlor. Fischer bat Till Schüssler, das Mitglied von „Racaille Verte“, der inzwischen Soziale Arbeit studierte und ein Praktikum im Fanprojekt absolviert hatte, zu einem Gespräch. Gemeinsam mit Julia Ebert, die zeitgleich die neue Leiterin der Fanbetreuung wurde, erarbeitete die neu aufgestellte Abteilung ein Konzept der Fanbetreuung. Werder stellte zunächst drei Fanbeauftragte in Vollzeit ein, heute sind es fünf.
„Thor Steinar“-Verbot und Rauswurf des NPD-Funktionärs
Dass sich die Klubbosse den Entwicklungen in den Kurven nicht verweigern, mögliche Probleme erkennen und beheben wollen, sind die vielleicht wichtigsten Faktoren, um radikale Kräfte aus dem eigenen Stadion fern zu halten. Stolz weist Fischer heute auf die vielen Maßnahmen hin, die Werder 2008 den „Julius-Hirsch-Preis“ einbrachten. Werder führte u.a. einen Fan-Ethik-Kodex für Fan-Clubs ein, eine Erklärung zum verantwortungsvollen Verhalten, der inzwischen auch vier Ultra-Gruppierungen folgen, sowie eine „AntidiskriminierungsAG“ in Zusammenarbeit mit dem Fanprojekt und diverse Banner gegen Rassismus im Weserstadion. Mit dem Verbot des rechten Mode-Labels „Thor Steinar“ und dem Vereinsausschluss von Werder-Fan und NPD-Spitzenfunktionär Jens Pühse 2011 setzten die Bremer ein weiteres Zeichen.
Doch die rechten Gewalttäter sind auch in Bremen nicht vollständig von der Bildfläche verschwunden. Nach dem Abschiedsspiel für Torsten Frings am 7. September 2013 kam es zu einer Schlägerei im Ostkurvensaal mit mehreren Verletzten. Hauptverantwortlich sollen Mitglieder der „Farge-Ultras“, einer gewaltbereiten Gruppierung mit rechten Tendenzen, die sich offiziell dem Bremer Amateurverein TuS Farge-Reckum zugehörig fühlt, gewesen sein. Mit ihrer Anwesenheit im Ostkurvensaal sollen sie Mitglieder der Ultras provoziert haben, bald flogen die Fäuste. Was genau am 7. September passierte, wird noch von der Polizei untersucht. Fanvertreter und Verein waren gleichermaßen überrascht.
Ein Frühwarnsystem gegen Rechts
Doch die nackte Gewalt allein ist nicht das Problem. Sondern welche Auswirkungen das auf eine Fanszene bzw. einen Verein hat. Schweigt man das Problem tot? Schottet man sich ab? Reagiert man mit einem unverhältnismäßigen Gegenschlag. Oder verlässt man sich auf das installierte Frühwarnsystem, bestehend aus Vereinsmitarbeitern, Fans, Medien, Polizei, das beim kleinsten Anzeichen rechter Gefahr Alarm auslöst?
Am 7. Spieltag der laufenden Saison, beim Heimspiel gegen den 1. FC Nürnberg, tauchten am Osterdeich, unweit des Bremer Weserstadions, bekannte Mitglieder der „Standarte Bremen“ auf. Eine mögliche Interpretation: Wenige Wochen nach der Attacke der „Farge“-Schergen präsentierten sich die „Häuptlinge“ der Bremer Nazi-Hool-Szene auf der großen Bühne. Fans erkannten die „Standarte“-Mitglieder, verständigten das Fanprojekt und die Fanbeauftragten, Ordner und Polizei wurden in Kenntnis gesetzt. Die Nazis blieben draußen. Das Frühwarnsystem hatte funktioniert.