Schiris müssen viel einstecken. Knut Kircher zeigte in einer Zweitliga-Partie eindrücklich, dass die Grenze überschritten ist. Gut so. Seine Aktion war eines unserer Highlights des Jahres.
Es waren gruselige Szenen, die sich da in der 77. Minute in München Fröttmaning abspielten. Im Relegationsrückspiel gegen Holstein Kiel und 1860 München versuchte Stürmer Korbinian Vollmann zum wiederholten Male einen Elfmeter zu schinden. Er fiel dabei mal wieder dermaßen plump zu Boden, dass selbst Teile der 57.000 anwesenden Zeugen lachend abwinkten. Es war, so schien es zumindest, der letzte peinliche Tiefpunkt dieser an peinlichen Tiefpunkten nicht gerade armen Spielzeit der Löwen, die mit einer weiteren indiskutablen Leistung geradewegs auf dem Weg in die Dritte Liga waren. Der Knockout für den chronisch klammen Herzensklub vieler Münchner. Ein Schlussakkord in tiefstem Moll.
Wie ein balzender Gockel
In diesem Moment der totalen Frustration über die eigene Leistung und über die schauspielerischen Qualitäten des Mitspielers (oder vielleicht einfach nur aus purer Verzweiflung) trat 1860-Kapitän Christopher Schindler auf den Plan und tat das, was Fußballer nun mal machen, wenn sie sich die eigene Schuld an der misslichen Gesamtsituation nicht eingestehen wollen: Er ging auf den Schiedsrichter los.
Und das ist durchaus im wörtlichen Sinne gemeint. Wie ein balzender Gockel plusterte sich der 25-Jährige vor Knut Kircher auf, spannte all seine Muskeln an, rückte bis auf wenige Zentimeter an das Gesicht seines Gegenübers heran und brüllte dem Mann aus Rottenburg lauthals all seinen Frust ins Antlitz.
Blitzableiter für den Seelenschmutz
Szenen dieser Art passieren in nahezu jedem Fußballspiel auf dieser Welt. Leider nicht nur einmal in 90 Minuten. Denn längst hat sich die Meinung zementiert, dass im Notfall eben doch immer der Schiedsrichter Schuld an dem ganzen Scheiß trägt, der passiert. Sei es der drohende Abstieg in die Drittklassigkeit, die zwölfte misslungene Ballannahme in der Kreisliga oder der Stress mit der eigenen Freundin. Auf den meisten Fußballplätzen sind Schiedsrichter längst nicht mehr das Regulativ sondern vielmehr Blitzableiter für den Seelenschmutz von Spielern und Fans. Erst tags zuvor etwa war Schiedsrichter Manuel Gräfe von einer Lawine aus Hass und Häme überrollt worden, weil er im Relegationsspiel des HSV eine vermeintlich falsche Entscheidung getroffen hatte, die dummerweise dann auch noch die Wende im Spiel brachte.
In der Regel ertragen Schiedsrichter diese peinlichen Moment mit einem gewissen Gleichmut, stecken die Beschimpfungen in irgendeine Kammer ihres Herzens und pfeifen einfach weiter, als sei nichts gewesen. Nicht so Knut Kircher. 1,96 Meter. Solide bis in den Bürstenhaarschnitt. Nachdem Schindler in dieser 77. Minute endlich fertig war mit seiner Wutsalve, ging Kircher nämlich zum Gegenangriff über und setzte ein Statement in eigener Sache.