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Für die Fuß­ball­kultur ist der Klub eine schal­lende Ohr­feige“, eröff­nete 11FREUNDE-Her­aus­geber Philipp Köster im März diesen Jahres seine Repor­tage über RB Leipzig. Der Text hat viele Reak­tionen aus­ge­löst, erst jüngst verbat RB seinen Fans eine Choreo, in der auch 11FREUNDE auf die Hörner genommen werden sollte.

Aller Vor­aus­sicht nach wird RB in dieser Saison den Auf­stieg in die zweit­höchste deut­sche Spiel­klasse schaffen. Wenn die Leip­ziger ihr Spiel gegen Darm­stadt an diesem Spieltag gewinnen, ist ihnen der zweite Platz in der 2. Bun­des­liga nicht mehr zu nehmen. Wie jüngst bekannt wurde, hat die DFL dem Leip­ziger Dritt­li­gisten drei For­de­rungen gestellt, um eine Lizenz für die 2. Bun­des­liga zu erhalten. So soll der Verein sowohl sein Logo ändern, als auch die Mit­glieds­bei­träge senken. Zudem muss die Beset­zung des Füh­rungs­gre­miuns geän­dert werden. Sie wider­spricht gegen­wärtig dem zen­tralen Grund­ge­danken der 50+1‑Regelung, die den Ein­fluss von Dritten auf sport­liche Ent­schei­dungen eines Klubs ver­bietet.

Auf www​.11freunde​.de ver­öf­fent­li­chen wir des­halb aus aktu­ellen Anlass erst­mals die kom­plette Repor­tage aus unserer Aus­gabe 148. Noch­mals der Hin­weis: Dieser Text erschien in dieser Form im März 2014 und wurde seitdem nicht aktua­li­siert.

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Wer in Leipzig den vollen Namen des größten ört­li­chen Fuß­ball­ver­eins sucht, muss lange suchen. Im Sta­dion ist er nicht zu finden, selbst im Impressum der Web­seite wird er abge­kürzt, nur wer tat­säch­lich in der Geschäfts­stelle am Neu­markt vor­bei­schaut, findet ihn auf einer Wege­tafel. Dritter Stock: Rasen­ball­sport Leipzig e.V.

Dass der Verein seinen Geburts­namen gerne unter den Tisch fallen lässt, hat nach­voll­zieh­bare Gründe. Schließ­lich dient das Wort­un­getüm stets nur dazu, das Kürzel RB“ her­zu­stellen. RB für Red Bull, den Finan­zier des 100-Mil­lionen-Euro-Pro­jekts in der größten Stadt Sach­sens. 2009 ritt der Geträn­ke­her­steller aus dem öster­rei­chi­schen Fuschl am See in Leipzig ein und ent­warf am Reiß­brett einen Klub der neuen Gene­ra­tion. Spit­zen­fuß­ball und fami­li­en­freund­li­ches Enter­tain­ment nach ame­ri­ka­ni­schem Vor­bild, alles immer im Dienste der Marke Red Bull.

Ein viel zu hoher Mit­glieds­bei­trag

Im sechsten Jahr seines Bestehens gerät nun das unschein­bare Kürzel e.V.“ für ein­ge­tra­gener Verein“ ins Zen­trum einer Debatte um den Klub und seine Zukunft im deut­schen Pro­fi­fuß­ball. Weil sich RB, obwohl voll­ständig von einem Kon­zern gesteuert, mühsam ins Kor­sett des deut­schen Ver­eins­recht gezwängt hat, um so geschickt die 50 + 1‑Regel zu umkurven, wird der­zeit über mar­ginal anmu­tende Pas­sagen der Klub­sta­tuten gestritten. For­mell könnten ein der­zeit noch viel zu hoher Mit­glieds­bei­trag und die eben­falls unüb­li­chen Hürden für einen Ver­eins­bei­tritt zur Lizenz­ver­wei­ge­rung für RB Leipzig führen.

Hinter dem juris­ti­schen Hick­hack ver­bergen sich zwei grund­sätz­li­chere Fragen. Die erste betrifft das Ver­hältnis des säch­si­schen Kunst­ver­eins zu seinen Mit­be­wer­bern in den Bun­des­ligen. Ver­stößt das Red-Bull-Modell in neuer Qua­lität gegen Schrift und Geist der 50 + 1‑Regel oder ist RB Leipzig nur die kon­se­quente Wei­ter­ent­wick­lung kon­zern­ge­lenkter Klubs, wie sie in Wolfs­burg und Lever­kusen ohnehin schon exis­tieren? Die zweite Frage ist noch fun­da­men­taler: Was bedeutet es für die Kultur des Fuß­balls, wenn sich Klubs im Pro­fi­fuß­ball tum­meln, deren zen­trales Anliegen die Pro­fit­ma­xi­mie­rung ist? Ist inzwi­schen ohnehin alles egal, weil der Pro­fi­fuß­ball bereits heute vom Kom­merz bis zur Unkennt­lich­keit ent­stellt worden ist? Oder gibt es einen kul­tu­rellen Kon­sens jen­seits der Geld­ma­cherei, für den es sich zu kämpfen lohnt?

Schon im Februar: Schwie­rig­keiten mit der Lizenz­ver­gabe

Ob es dieses rich­tige Fan­leben im fal­schen gibt, wird sich jeder Anhänger schon einmal gefragt haben, dessen Herz an einem Verein hängt, der tele­fon­buch­dicke Fan­ka­ta­loge ver­öf­fent­licht oder seine Tri­kot­brust an einen skru­pel­losen Hähn­chen­schlachter ver­hö­kert. Dass diese Frage nun am Bei­spiel von RB Leipzig dis­ku­tiert wird, hat mit dem nach­weis­baren Erfolg des Pro­jekts zu tun. Mitt­ler­weile ist der Klub aus der Ober­liga zweimal auf­ge­stiegen und klopft als Tabel­len­zweiter der Dritten Liga an die Tür zur zweiten Bun­des­liga. Was der Debatte über RB und seine Rolle im deut­schen Fuß­ball eine plötz­liche, gleich­wohl durchaus vor­her­seh­bare Dynamik gegeben hat. Den Start­schuss gab DFL-Geschäfts­führer Andreas Rettig im Februar auf dem Ber­liner Fan­kon­gress, als er Schwie­rig­keiten bei der Lizenz­ver­gabe andeu­tete und dabei ins­be­son­dere auf die Ver­eins­struk­turen bei RB Leipzig abhob. Ein nach­voll­zieh­barer Hin­weis, denn die Lizen­zie­rungs­ord­nung der DFL ver­pflichtet in Para­graf 4 die Klubs aus­drück­lich, die Rechte der Mit­glieder bei der Beru­fung des Ver­eins­vor­standes sicher­zu­stellen.

Schon ein flüch­tiger Blick auf die Sat­zung von RB macht jedoch klar, dass in Leipzig nichts weniger gewünscht ist als ein aktives Ver­eins­leben. Der Rasen­ball­sport e.V. ist eine ein­zige Farce. Der Ehrenrat: ein Trio aus alt­ein­ge­ses­senen Red-Bull-Pro­ku­risten aus Fuschl. Der Vor­stand: eben­falls ein Trio aus lang­jäh­rigen Gefolgs­leuten des Fir­men­grün­ders Mate­schitz. Der Verein: hatte früher sieben und inzwi­schen elf stimm­be­rech­tigte Mit­glieder, alle sind mit Red Bull ver­ban­delt. Der Mit­glieds­bei­trag: 800 Euro pro Jahr plus 100 Euro Auf­nah­me­ge­bühr. Kaum ver­wun­der­lich, dass es seit der Grün­dung 2009 keinen ein­zigen Bei­tritts­an­trag gab.

So offen­sicht­lich hier öster­rei­chi­sche Kulis­sen­schieber am Werk waren, so unpro­ble­ma­tisch gestal­teten sich in der Ver­gan­gen­heit die Lizenz­ver­gaben des Deut­schen Fuß­ball-Bundes und des säch­si­schen Lan­des­ver­bandes. Das mochte daran liegen, dass der DFB dem Klub in den letzten Jahren stets wohl­ge­sonnen war. Das muss bei den viel­fäl­tigen Ver­bin­dungen zwi­schen RB Leipzig und Ver­band nicht ver­wun­dern. DFB-Gene­ral­se­kretär Helmut Sand­rock war zuvor Geschäfts­führer bei Red Bull Salz­burg. Ulrich Wolter wie­derum, der aktu­elle Geschäfts­führer des Klubs, kam von der Otto-Fleck-Schneise nach Leipzig. Als er bei seinem Amts­an­tritt gefragt wurde, ob der Verein mit ihm auch ein Netz­werk hin zum Ver­band ein­ge­kauft habe, ant­wor­tete Wolter: Gute Ver­bin­dungen sind nie abträg­lich.“

Die Geschichte der TSG Hof­fen­heim

Wobei zunächst nicht einmal gute Bezie­hungen not­wendig waren, so will­fährig erwies sich 2009 der Säch­si­sche Fuß­ball­ver­band gegen­über RB Leipzig. Es bleibt bis heute ein veri­ta­bler Skandal, dass der Klub damals nicht gezwungen wurde, das Wappen den Regu­la­rien des Ver­bandes anzu­passen, in denen es unmiss­ver­ständ­lich heißt: Die Neu­ge­bung (…) von Ver­eins­zei­chen zum Zwecke der Wer­bung sind unzu­lässig.“ Das Emblem des Klubs ent­hält das zen­trale Erken­nungs­merkmal des Kon­zern aus Fuschl, zwei brün­f­tige Stiere. Das konnte nur der nicht erkennen, der gerade einen tiefen Diener vor den neuen Inves­toren machte. Heute ist das Wappen über­haupt kein Thema mehr, nicht bei der DFL und nicht beim Fuß­ball-Bund.

In die Karten spielte RB Leipzig zudem die Lax­heit im Umgang mit ver­gleich­baren Klubs. Denn das Thema der Klub­struk­turen steht natür­lich nicht zum ersten Mal auf der Agenda. Schon die TSG Hof­fen­heim hatte zunächst Sta­tuten für den Verein und die aus­ge­la­gerte Spiel­be­triebs-GmbH vor­ge­legt, die nur den Buch­staben nach die Anfor­de­rungen erfüllten, in der Praxis aber den Ein­fluss des Geld­ge­bers Dietmar Hopp zemen­tierten. Letzt­lich wurden sie aber durch­ge­winkt. Folgt man dem juris­ti­schen Grund­satz der Gleich­be­hand­lung, darf die Mess­latte für RB Leipzig nun nicht will­kür­lich höher gehängt werden als bei anderen Klubs“, sagt Dr. Rainer Koch, für Recht und Sat­zung zustän­diger Vize­prä­si­dent des DFB. Der Ver­band hatte dem Klub nach inten­siven Gesprä­chen signa­li­siert, durch Sat­zungs­än­de­rungen etwaige Bedenken gegen eine Lizenz­er­tei­lung aus­räumen zu können. Bis die DFL klar­stellte, dass sie sich im Falle eines Auf­stiegs eine eigene strenge Prü­fung der Ver­eins­struk­turen vor­be­halte. Es offen­barte sich hier erst­mals eine Kluft zwi­schen DFB und DFL, die zuvor, Rainer Koch zufolge, die Gespräche mit Leipzig im Ein­ver­nehmen geführt hatten. Die Äuße­rungen Ret­tigs auf dem Fan­kon­gress machten nun unmiss­ver­ständ­lich klar, dass beim Liga­ver­band die Frage des Ein­flusses der Mit­glieder deut­lich schwerer gewichtet wird als beim DFB. Wir nehmen die 50 + 1‑Regel sehr ernst“, sagt Rettig. Und wenn ein Klub als Verein und nicht als Kapi­tal­ge­sell­schaft auf­tritt, muss er seinen Mit­glie­dern die Mög­lich­keit der Mit­be­stim­mung geben. Das ist der Geist der 50 + 1‑Regel und ein hohes Gut!“ 

Vor Gericht würde die DFL haus­hoch ver­lieren

Ret­tigs Ankün­di­gung muss bei RB Leipzig eine gewisse Betrieb­sam­keit aus­ge­löst haben. Jeden­falls wurde als­bald nach Frank­furt geka­belt, man habe auf einer Mit­glie­der­ver­samm­lung Ende Januar bereits die vom DFB gefor­derten Sat­zungs­än­de­rungen auf den Weg gebracht. Eine Sen­kung des hor­renden Jah­res­bei­trags war jedoch dem Ver­nehmen nach nicht dar­unter. Das Hin und Her zwi­schen der DFL und dem Leip­ziger Klub gleicht der­zeit einem Poker­spiel, das beide Seiten mit hohem Ein­satz spielen. Klar ist, dass weder Liga­ver­band noch RB ein gestei­gertes Inter­esse an einer gericht­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung haben. Auf die würde jedoch eine Lizenz­ver­wei­ge­rung für den Klub unwei­ger­lich hin­aus­laufen. Und vor Gericht würde die DFL haus­hoch ver­lieren, das weiß man auch in Frank­furt. Zugleich ist aber auch kaum vor­stellbar, dass RB Leipzig sich seine hor­renden Mit­glieds­bei­träge gericht­lich bestä­tigen lassen möchte und dafür die DFL vor den Kadi zerrt. Denn es war stets strikte Politik von Red Bull, allein sport­liche Schlag­zeilen pro­du­zieren zu wollen. Ein schlag­zei­len­träch­tiger Rechts­streit wider­spräche dieser Stra­tegie. Ein klas­si­sches Patt also, das beide Seiten zur Bewe­gung zwingt. Am Ende wird, soviel ist heute schon klar, RB Leipzig an seinen Sta­tuten so weit her­um­schrauben, dass am Ende die Lizenz­er­tei­lung für die zweite Bun­des­liga steht.

Ein dra­ma­ti­scher Effekt wäre dem Show­down vor Gericht aller­dings sicher. Ers­tens würde noch einmal gerichts­fest doku­men­tiert, wie unver­froren die Leip­ziger der­zeit das Ver­eins­recht dehnen und spreizen. Zwei­tens würde klar werden, dass die 50 + 1‑Regel in ihrer der­zei­tigen Ver­fas­sung ein Höchstmaß an Rechts­un­si­cher­heit birgt und allen­falls noch den Cha­rakter eines Agree­ments unter Gen­tlemen trägt. Nur zur Erin­ne­rung: Vor zwei Jahren hatte sich die Liga mit dem lang­jäh­rigen Prä­si­denten von Han­nover 96, Martin Kind, auf eine Auf­wei­chung der Inves­to­ren­bremse geei­nigt, lang­jäh­rige Partner dürfen dem­nächst die Mehr­heit an deut­schen Pro­fi­klubs über­nehmen, so sie seit min­des­tens zwanzig Jahren als Sponsor den Verein unter­stützen. Im Falle von Han­nover 96 könnte Martin Kind, der seit 1997 als Sponsor aktiv ist, in drei Jahren pro­blemlos die Mehr­heit an der Lizenz­spieler-KG erwerben.

Schlei­chende Über­nahme der Klubs durch Inves­toren ist nicht auf­zu­halten

Die im Herbst 2011 for­mu­lierte Rege­lung ist jedoch derart schwammig und ungenau gefasst, dass sich inzwi­schen eine Arbeits­gruppe gebildet hat, die bis Ende des Jahres belast­bare Para­grafen for­mu­lieren wird. Wie hoch das Thema im Liga­ver­band auf­ge­hängt ist, zeigt die pro­mi­nente Beset­zung des Gre­miums. Neben den DFL-Geschäfts­füh­rern Rettig und Chris­tian Sei­fert sind Karl Hopfner vom FC Bayern, Fürth-Prä­si­dent Helmut Hack und Ste­phan Schip­pers von Borussia Mön­chen­glad­bach dabei. Klar ist aber auch: Die schlei­chende Über­nahme der Klubs durch Inves­toren und Kon­zerne werden auch die neuen Rege­lungen nicht auf­halten.

Der­weil tragen die Bemü­hungen der Ver­ant­wort­li­chen bei RB Leipzig, die Öffent­lich­keit ver­gessen zu lassen, welch knall­harte Kal­ku­la­tion hinter dem Pro­jekt steht, erstaun­liche Früchte. Der Unter­stüt­zung durch die Lokal­po­litik und die orts­an­säs­sigen Medien konnte sich der Kon­zern ohnehin von Anfang an sicher sein. Manch ein Bericht der Leip­ziger Volks­zei­tung“ oder des MDR wäre dem RB-Pres­se­spre­cher nicht schmei­chelnder aus der Feder geflossen. Kein Wunder also, dass Diet­rich Mate­schitz der LVZ“ auch prompt eines seiner sel­tenen Inter­views gab, bei dem Redak­teur Guido Schäfer fest­stellen durfte, dass die Fans den Klub immer besser annähmen, um dann buckelnd zu fragen: Ist diese Reso­nanz eine Abstim­mung mit den Füßen, die den Kri­ti­kern des Bun­des­liga-Pro­jekts den Wind aus den Segeln nimmt?“ Gerne stimmte Mate­schitz dieser Ein­schät­zung zu.

Becken­bauer unter­stützt das Pro­jekt RB

Daneben tum­meln sich in den Reihen der Fuß­ball­pro­mi­nenz zahl­reiche Befür­worter des Pro­jekts. Franz Becken­bauer etwa, ein alter Duz­kumpel von Mate­schitz, rühmt sich gerne, den Standort Leipzig erst ins Gespräch gebracht zu haben. Nicht minder wort­ge­waltig, gleich­wohl mit dünnen Argu­menten trom­melt seit Jahren Dampf­plau­derer Reiner Cal­mund für die Red-Bull-Filiale in Leipzig.

Wer sich in Talk­shows und Inter­views für das Pro­jekt in die Bre­sche wirft, bemüht in der Regel drei wie­der­keh­rende Argu­mente. Gerühmt wird gerne die segens­reiche Wir­kung des RB-Pro­jekts für den Fuß­ball­standort Leipzig, der Spit­zen­fuß­ball doch so sehr ver­dient habe. Und wer sich einmal von Geschäfts­führer Wolter das bis 2015 ent­ste­hende Leis­tungs­zen­trum erklären lässt, dessen Skizzen in der Geschäfts­stelle an der Wand hängen, kann in dem 30 Mil­lionen Euro teuren Neubau ein über­zeu­gendes Bekenntnis zum Standort Leipzig sehen. Auch ist es das gute Recht orts­an­säs­siger Ober­bür­ger­meister und Land­räte im Leip­ziger Speck­gürtel, diese Inves­ti­tionen zu beju­beln. Aus dem Munde von Fuß­ball­funk­tio­nären klingen die Lobes­hymnen jedoch merk­würdig, sug­ge­rieren sie doch, es gäbe ein natür­li­ches Recht aus­ge­wählter Städte auf Pro­fi­fuß­ball und die Bun­des­liga sei letzt­lich ein ver­kapptes Kon­junk­tur­pro­gramm für struk­tur­schwache Regionen. Ist dem so, erfahren dem­nächst sicher auch die Groß­stadt Essen, immerhin seit der Saison 1976/77 ohne Erst­li­gisten und das bedau­erns­werte Bun­des­land Schleswig-Hol­stein, seit 1963 ohne Spit­zen­fuß­ball, Auf­mun­te­rung und Unter­stüt­zung durch die Funk­tio­näre.

Die zweite Argu­men­ta­ti­ons­linie hält RB Leipzig nur für eine Spielart ohnehin vor­herr­schender kom­mer­zi­eller Struk­turen im Pro­fi­fuß­ball. Was ist in Leipzig anders als in Wolfs­burg und Lever­kusen, wo keine Ent­schei­dung gegen die Kon­zerne Volks­wagen und Bayer getroffen wird, und in Hof­fen­heim, wo der ganze Klub vor Geld­geber Dietmar Hopp die Hacken knallen lässt? Und gibt es nicht in jedem Pro­fi­klub Funk­tio­näre, die Fans rou­ti­niert als Kunden anspre­chen und denen gestei­gerte Umsätze im Fan­shop mehr Wohl­be­hagen ver­ur­sa­chen als ein glück­li­cher Sieg am letzten Samstag? Ja, lautet die Ant­wort, all das gibt es, und es macht den Anhän­gern das Leben oft schwer. Aber wer die Zustände in Leipzig kri­ti­siert, muss die Ver­hält­nisse in Wolfs­burg und Lever­kusen nicht befür­worten. Und er kann sehr wohl unter­scheiden zwi­schen Klubs, in denen die Iden­tität durch allzu viel Geschäf­te­ma­cherei beschä­digt wird und Klubs, deren Iden­tität die Geschäf­te­ma­cherei ist.

Was ist eigent­lich ein Tra­di­ti­ons­klub?

Das dritte Argu­ment war ursprüng­lich einmal eines der Gegner und kreist um das Schlag­wort Tra­di­tion“. Kaum ein ursprüng­lich mal positiv besetzter Begriff wird heute in der Debatte so abwer­tend benutzt wie dieser. Er steht in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung inzwi­schen für gewalt­tä­tige Ultras, halb­sei­dene Funk­tio­näre und que­ru­la­to­ri­sche Ex-Spieler. Er steht nicht mehr für das, was ein Klub den Men­schen bedeutet und was ihn im Innersten zusam­men­hält, übri­gens ganz unab­hängig davon, ob er nun 1905 oder 1949 gegründet wurde. Und nur des­halb darf Diet­rich Mate­schitz sein lächer­li­ches Wer­be­sprüch­lein Unsere Tra­di­tion ist die Zukunft“ auf­sagen, eine Floskel, die vor ihm bezeich­nen­der­weise schon Dietmar Hopp für sein asep­ti­sches Hof­fen­heimer Pro­jekt bemüht hat.

Letzt­lich ver­dichtet sich die Suche nach einer Posi­tion im Fall von Red Bull in der Frage, wie eine leben­dige Fuß­ball­kultur aus­sieht und wie sich RB Leipzig dazu ver­hält. Über die Fuß­ball- und Fan­kultur ist in den ver­gan­genen Jahren häufig gestritten worden. Wenn es dabei einen Kon­sens gab, dann den, dass diese Kultur nur aus Lei­den­schaft, aus tiefer Pas­sion für den Fuß­ball ent­stehen kann. Diese Lei­den­schaft lässt 12 000 Frank­furter unter der Woche nach Bor­deaux reisen und ebenso viele Glad­ba­cher nach Rom. Sie lässt Fans schon Stunden vor dem Spiel vor den Sta­di­on­toren unge­duldig auf Ein­lass warten. Und sie lässt Kie­bitze bei Wind und Wetter zum Trai­nings­platz pil­gern, um dem Ersatz­keeper bei Dehn­übungen zuzu­schauen. Fans tun all das, weil sie sich sicher sind, dass ihr Verein diese Anstren­gungen wert ist. Weil sie das Gefühl haben, gebraucht zu werden. Weil sie glauben, dass es solch einen groß­ar­tigen Klub wie den eigenen kein zweites Mal gibt, selbst wenn es sich nur um Arminia Bie­le­feld oder den VfL Bochum han­delt. Und weil sie wissen, dass alle Akteure im Klub etwas Grund­le­gendes zusam­men­hält.

Es ist auch bei RB irgendwie fast so wie überall sonst

RB Leipzig hat von Beginn an mit all dem nichts am Hut gehabt. Kalkül ersetzt hier kon­se­quent Pas­sion. Emo­tionen stehen hier im Dienste der Marke, was nicht aus­schließt, dass die RB-Ange­stellten ihrem Tage­werk mit Lei­den­schaft nach­gehen. Sport­di­rektor Ralf Rang­nick kann über­zeu­gend von den Per­spek­tiven des Leip­ziger Stand­orts schwärmen. Chef­coach Alex­ander Zor­niger ist eines der großen Trai­ner­ta­lente hier­zu­lande. Sie fühlen sich nur offenbar nicht dem ver­pflichtet, was den Fuß­ball so beson­ders macht, seiner Kultur.

Von den herr­schenden Ver­hält­nissen bekommt jeder einen Ein­druck, der ein Dritt­li­ga­spiel in der Leip­ziger Arena besucht. Beim am Ende mit 0:1 ver­lo­renen Kick gegen den Tabel­len­letzten Wacker Burg­hausen bevöl­kern etwas mehr als 7000 Men­schen das ehe­ma­lige Zen­tral­sta­dion, was für die Liga und den Gegner eine ordent­liche Zahl ist, was gleich­wohl ange­sichts leer geblie­bener 35 000 Plätze auch nicht gerade den Ein­druck über­schwap­pender Euphorie ver­mit­telt. Im Fan­block fehlt es nicht an Zaun­fahnen, Schwenk­fahnen, Schals und Gesängen. Draußen for­dert gar ein Schild Spenden für die nächste Cho­reo­grafie ein. Es ist alles fast so wie überall sonst. Aber eben nur fast. Denn letzt­lich ist das, was sich da alle zwei Wochen in Leipzig abspielt, nur eine leid­lich aus­ge­feilte Simu­la­tion von Fan­kultur. Echte Fan­kultur ist eine Kultur, die von Teil­habe und Krea­ti­vität lebt, von Witz und Spon­ta­neität, und bis­weilen auch davon, dass Grenzen aus­ge­testet werden. Womit ziem­lich genau umrissen wäre, was der Klub nicht will. Aktive Fans, Ultra­kultur, Mit­be­stim­mung der Fans – all das kann gerne in Halle, Jena, Berlin statt­finden, nicht aber in Leipzig. Der Klub steht statt­dessen für fus­sel­freies, cleanes Enter­tain­ment für die ganze Familie, planbar und über­ra­schungsarm wie ein Musi­cal­be­such. Wer die Atmo­sphäre in der Arena elek­tri­sie­rend findet, hält sicher auch beim siebten Besuch von Star­light Express die Span­nung kaum aus. Nun argu­men­tieren RB-Gefolgs­leute, es könne sich doch auch in Leipzig eine Fan­kultur ent­wi­ckeln. Kann sie das wirk­lich? Gibt es eine authen­ti­sche Fan­kultur, deren Refe­renz ein Klub ist, der seine Exis­tenz aus­schließ­lich der unter­neh­me­ri­schen Ent­schei­dung eines öster­rei­chi­schen Geträn­ke­mo­guls ver­dankt? Ein Klub, der sich schon des­halb nicht für ein­zig­artig halten kann, weil es ihn in New York und Salz­burg noch ein zweites und ein drittes Mal gibt, wobei der Salz­burger Klon bei seiner Grün­dung oben­drein den Tra­di­ti­ons­verein Aus­tria Salz­burg platt­ge­macht hat? Ein Klub, dessen Name Rasen­ball­sport“ nicht von unge­fähr an die kruden Kon­struk­tionen erin­nert, mit denen Quiz­sender früher den Zuschauern das Geld aus der Tasche zogen? Ein Klub, dessen eigent­li­cher Ver­eins­zweck ist, Emo­tionen kon­se­quent zu kapi­ta­li­sieren?

Wer all das igno­rieren will, kann das tun. Er kann den Gedanken ver­scheu­chen, wie es eigent­lich wäre, wenn die ganze Liga nur noch aus Klubs wie RB Lepizig bestehen würde. Er kann behaupten, dass er wegen des schönen Fuß­balls zu RB Leipzig geht, wobei dessen Spiel­kultur der­zeit gerade aus­reicht, um mäßig ambi­tio­nierte Dritt­li­gisten in Schach zu halten. Er kann auf Lok Leipzig und die BSG Chemie schimpfen, die ja ihre Chance gehabt hätten. Er kann sich ein­reden, dass RB Leipzig ein Klub wie jeder andere ist. Er kann ver­su­chen, das Ver­eins­leben aktiv mit­zu­ge­stalten.

Als Erstes kann er ja mal ver­su­chen, Mit­glied zu werden.