Im April 2012 machte Stefan Effenberg seinen Trainerschein. Welche Ziele hatte er? Welche Träume? Wir haben ihn damals begleitet.
Diese Reportage erschien in der 11FREUNDE-Ausgabe #125 (April 2012)
Wenn es um Stefan Effenberg geht, dann geht es auch immer um den Finger. Es ist Freitagabend, in einer Stunde wird das Spiel zwischen Borussia Mönchengladbach und dem FC Bayern angepfiffen. Effenberg ist auf dem Weg zum Stadion, er wird für Sky an der Seite von Marcel Reif das Spiel kommentieren.
Effenberg sitzt auf dem Beifahrersitz, sein Kumpel Christian Hochstätter hinten. Der Verkehr staut sich, direkt neben dem Auto hält ein Bus, vollgepackt mit Fans in Schwarz-Weiß-Grün. Anderthalb Meter trennen Effenberg von ihnen. Würden sie ihn jetzt entdecken, würden sie entweder dem Spieler zujubeln, mit dem ihr Verein vor 17 Jahren seinen letzten Titel holte, den DFB-Pokal. Oder sie würden ihm, der vergangene Saison versucht hat, ihren Verein zu übernehmen, den Mittelfinger zeigen.
Egal war er nie
Stefan Effenberg war der beste Mittelfeldspieler seiner Generation. Und der einzige, der den deutschen Fans den Stinkefinger zeigte, 1994, bei der Weltmeisterschaft in den USA. Wenn es um ihn geht, dann gibt es seit zwanzig Jahren nur Daumen hoch oder Mittelfinger hoch. Bewunderung oder Hass. Nichts dazwischen. Egal war er nie.
Effenbergs Kopf ist halb in die Kapuze seiner Daunenjacke gerutscht, der Fellrand verdeckt das Gesicht. Draußen ist es kalt, das Gegröle der Fans im Bus hat die Scheiben beschlagen lassen. Niemand bemerkt Effenberg, das ist ihm ganz recht, denn unvorbereitete Situationen mag er nicht. Da macht er zu. Er sei, das sagen die Menschen, die ihn kennen, im Grunde ein schüchterner Mensch.
Man hört bei solchen Gesprächen überhaupt einige Adjektive, von denen man dachte, dass sie sich vom Namen Effenberg abstoßen wie die gleichen Pole zweier Magnete: umgänglich, höflich, bescheiden, nett, unprätentiös. Sie sind wie neue, nicht recht passende Teile in dem Effenberg-Puzzle, das man glaubte, blind zusammensetzen zu können: provokant, arrogant, ehrgeizig, peinlich, süchtig nach Aufmerksamkeit. Der Stinkefinger, die Tigerfrisur, die Tattoos, die Tattoos seiner zweiten Frau, die Scheidung von der ersten, der Betrug mit einer dritten, sein Buch, die Fotokampagne zum Buch, zuletzt seine Kaperfahrt nach Mönchengladbach. Würde man nicht wissen, dass Stefan Effenberg der Sohn eines Hamburger Maurers ist, man würde einiges darauf verwetten, dass „Bild“ und Ed Hardy ihn erfunden haben.
Welcher Effenberg will da auf die Trainerbank?
Als Experte und Co-Kommentator bei Sky gehört Effenberg jetzt zu all den anderen Ex-Spielern und Trainern, die wie Satelliten um den Planeten Bundesliga kreisen und beständig in seine Richtung senden. In der Hoffnung, von dort ein Landesignal zu empfangen. In diesen Wochen macht er an der Hennes-Weisweiler-Akademie in Hennef seinen Fußballlehrerschein. Steht er ab April bereit für einen Trainerjob? „Theoretisch ja“, sagt er, „aber im April als Trainer anzufangen, bedeutet: Feuerwehrmann. Das bin ich definitiv nicht.“
Stefan Effenberg wird im April Opa und im Sommer 44 Jahre alt. Er will, daran lässt er keinen Zweifel, zurück in die Bundesliga. Aber welcher Effenberg will da auf die Trainerbank? Der Mittelfinger-Effe? Der Boulevard-Effe? Oder gibt es einen neuen Effenberg, mit dem Ehrgeiz und Siegeswillen des alten, aber ohne dessen Drang, es ständig allen zeigen zu wollen?