Heute vor 40 Jahren begann die WM in Spanien. Mitten im blutigen Kampf zwischen Protestanten und Katholiken gelingt der nordirischen WM-Auswahl von 1982 die Sensation. Die Waffen ruhen, das ganze Land feiert zusammen. Wenn auch nur für kurze Zeit.
Es ist heiß im Estadio Mestalla zu Valencia. Zusätzlich zur physischen Hitze kommt die psychische, ausgehend von fast 50.000 frenetischen Zuschauern. Spaniens Rafael Gordillo verliert tief in der nordirischen Hälfte den Ball an Gerry Armstrong, einen 28-jährigen Sturmtank vom FC Watford. Der zieht dynamisch los, frisst Meter um Meter, überquert die Mitttellinie und gibt nach rechts außen auf Billy Hamilton. Hamilton flankt weich nach innen, wo Torwart Luis Arconada den Ball zum Elfmeterpunkt abwehrt. genau dort lauert Armstrong, zieht ab und trifft. Für Nordirland. 1:0 gegen Gastgeber Spanien. Am letzten Spieltag der WM-Vorrunde 1982. Die Sensation ist perfekt: Nordirland steht als Gruppenerster in der Zwischenrunde.
„Gerry Armstrong, what a worker he is! Striding away there with Hamilton to his right and Whiteside up on the far side of the area. Still Billy Hamilton, he’s gone past Tendillo Arconada… ARMSTRONG!!“ Danach gibt es kein Halten mehr im Belfaster Wohnzimmer von Teddy Jamieson. Menschen schreien durcheinander. Ganz Belfast explodiert. Noch heute bekommt Jamieson Gänsehaut, wenn er an den Live-Kommentar der BBC Kommentatoren-Legende John „Motty“ Motson an jenem denkwürdigen 25. Juni 1982 denkt. „In diesem Moment fühlte ich mich nordirischer als mein ganzes Leben zuvor. 1982 starben in Nordirland Menschen wegen ihrer Religion oder weil sie eine Uniform trugen, oder nur, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Es gab nicht viele Sachen, auf die man stolz sein konnte. In dieser Nacht war der Sport eine davon“, schreibt der in Deutschland geborene und in Nordirland aufgewachsene Jamieson in seinem Buch „Whose Side Are You On“.
Hassbriefe und Drohungen
Dass in Spanien ein Team mit Protagonisten beider Lager unter einer Flagge zu Heldentaten fähig sein könnte, hatte im Vorfeld niemand gedacht. Stattdessen hatten die Verbandsverantwortlichen Trainer Billy Bingham angefleht, sich doch bitte nicht zu blamieren. Und noch etwas wünschten sich die Funktionäre: Dass es bei diesem Turnier ja nicht um Politik gehen würde. Politik war in diesen Tagen allerdings unvermeidlich für Bingham. Die Trainerlegende, aufgewachsen im Belfaster Protestanten-Ghetto, machte Martin O’Neil zum Kapitän. Beide, Bingham und O’Neil erhielten als Reaktion Hassbriefe und wurden massiv bedroht. Dem Ulster-Teil des Landes passte es nicht, bei einem Weltturnier vom Katholiken O´Neil vertreten zu werden.
Bingham rief seinen Kader zwei Wochen vor der WM in Brighton zusammen und versuchte zumindest nach außen den Anschein zu wahren, dass es nur um Fußball gehen sollte: „Politik hat in meinen Teams nie eine Rolle gespielt. Es ging darum, wer einen Ball stoppen und fest aufs Tor schießen konnte.“ In minutiöser Arbeit werkelte er Tag und Nacht an seiner Aufstellung für das Turnier. „Ich war immer ein Trainer mit Fantasie. Also habe ich mir überlegt, mit wessen Stärken ich wessen Schwächen kaschieren könne. Gerry Armstrong war ein guter Mittelstürmer, aber schwerfällig. Martin O’Neil ein klasse Läufer mit Defiziten in der Verteidigung. Also habe ich Gerry nach rechts gezogen, damit er bei der Annahme nicht zwei Verteidiger im Rücken und somit mehr Zeit hatte. So konnte Gerry die Drecksarbeit für Martin machen und Martins defensive Schwäche fiel nicht so sehr ins Gewicht, da der rechte Flügel jetzt doppelt abgedeckt war.“
Jungstar Norman Whiteside, der im Auftaktspiel mit 17 Jahren und 41 Tagen debütierte und damit Pelé als jüngsten WM-Spieler aller Zeiten ablöste, drückte das Teamgefühl passend aus, als er das Prozedere vor Heimspielen im Belfaster Windsorpark beschrieb: „Wir saßen im Culoden Hotel herum und anstatt ins Bett zu gehen sangen wir. Es gab Proddy Songs (proddy ist ein Slangwort für irische Protestanten, d. Red.), katholische Songs, irische Songs. Wir waren einfach nur eine große, glückliche Familie.“