Und schon wieder ein 100. Geburtstag! Genau eine Woche, nachdem sich der Fußball vor Hennes Weisweiler verneigte, begehen wir schon den nächsten Jahrestag einer Person, die von großer Bedeutung für den deutschen Sport war. Doch heute sind die Reden knapper, die Elogen dürrer, die Feiern kürzer. Das liegt zum einen daran, dass der Jubilar in erster Linie ein Funktionär war, und deren Taten besingt man selten so hymnisch wie die von Spielern und Trainern. Zum anderen liegt es daran, dass der am 12. Dezember 1919 in Völklingen geborene Hermann Neuberger das nicht bestanden hat, was der Engländer den „test of time“ nennt. Denn mit jedem Jahr, das ins Land zieht, sieht man den langjährigen Präsidenten des DFB kritischer.
Als Neuberger im September 1992 in der Homburger Universitätsklinik verstarb, widmete ihm der „Kicker“ noch einen ganzseitigen, glorifizierenden Nachruf und feierte ihn als „eine der ganz großen Persönlichkeiten des Fußballs“. Zwar deutete der Text immer wieder an, dass Neuberger nicht unumstritten war, obwohl er den DFB seit 1975 zum größten Sportverband der Welt ausgebaut hatte. Doch warum es „Stimmung in der Öffentlichkeit“ und „gedankenlose Vorwüfe“ gab, das wurde nicht präzisiert. Stattdessen erschien der Saarländer als Prophet, der im Ausland verehrt wurde, aber daheim nichts galt: „In solchen Stunden erwies sich Hermann Neuberger als sensibler Mensch, der sich darüber klar zu werden begann, dass er hierzulande kaum den gebührenden Dank für sein Wirken ernten würde.“
„Kollaboration mit dem Verbrechen“
Doch spätestens seit 2014 denken viele Menschen beim Namen Neuberger nicht zuerst an den WM-Titel von 1990, der unter seiner Führung errungen wurde, nicht einmal an die Gründung der Bundesliga, die ohne ihn vielleicht nicht geschehen wäre. Denn 2014 war das Jahr, in dem die Dokumentation „Das Mädchen“ die ARD-Zuschauer erschütterte. In dem Film geht es um die deutsche Studentin Elisabeth Käsemann, die im Frühjahr 1977 von den Schergen der argentinischen Junta verschleppt, wochenlang gefoltert und vergewaltigt und schließlich ermordet wurde. Der Film beleuchtet das bittere Versagen der deutschen Politik, die die junge Frau hätte retten können. Und er beschäftigt sich auch eingehend mit der Rolle des DFB.
Denn am 5. Juni 1977 stand in Buenos Aires ein prestigeträchtiges Spiel zwischen Argentinien und der westdeutschen Nationalelf an. Neuberger, der über das schreckliche Schicksal der jungen Deutschen informiert war, hätte wahrscheinlich nur zum Telefonhörer greifen und mit einer Absage drohen müssen. Er tat es nicht. Dazu sagt im Film Hellmuth Karasek, der zu jener Zeit als Südamerika-Korrespondent des „Spiegel“ arbeitete: „Das ist mehr als eine Unterlassung und Anbiederung. Das ist Kollaboration mit dem Verbrechen.“