Im Sommer 2018 wechselte Thomas Lemar für stolze 70 Millionen Euro zu Atlético Madrid. Er wurde dort mit hohen Erwartungen empfangen – und konnte diese bislang kaum erfüllen. Über den vielleicht größten Transferflop unserer Zeit.
Es war eine Szene mit Symbolcharakter: Im Wanda Metropolitano lief am Sonntag die 86. Minute, beim Spitzenduell zwischen Atlético Madrid und dem FC Barcelona stand es trotz einiger Möglichkeiten der Madrilenen noch 0:0. Bis, ja bis Thomas Lemar – der an den vorherigen Torraumszenen seiner Mannschaft kaum Anteil hatte – sich entschied, auch mal eine Offensivaktion initiieren zu wollen und einen etwas zu riskanten Diagonalball spielte. Sergi Roberto ging dazwischen, die Kugel landete schnell bei Lionel Messi und der Argentinier machte mal wieder das, was er von allen Fußballspielern dieses Planeten mit Abstand am besten kann – und erzielte mit einem Geistesblitz den Siegtreffer für Barcelona.
Nun wäre weder ein Gegentor durch Lionel Messi, noch der vorherige Ballverlust etwas allzu dramatisches. Fehler können schließlich passieren und warum sollte man einem Flügelspieler keine missglückte Offensivaktion verzeihen? Allerdings wirkte der Übeltäter selbst anschließend nicht gerade erpicht darauf, seinen Fehler wieder auszubügeln. Seine Reaktion ließ eher vermuten, ihn würde gerade nichts weniger interessieren, als den durch ihn verursachten Konter der Katalanen zu verteidigen. Statt dem verloren gegangenen Ball hinterherzujagen, statt im Vollsprint den Kollegen zur Hilfe zu eilen oder wenigstens den (zugegebenermaßen nicht gerade aussichtsreichen) Versuch zu unternehmen, Lionel Messi das Spielgerät wieder abzunehmen, reagierte der Franzose wie allzu häufig seit seiner Ankunft in Madrid: mit einem behäbigen Traben Richtung eigene Hälfte, mit gesenktem Kopf und mit der Körpersprache eines 12-jährigen Störenfrieds, der gerade an der Tafel vor versammelter Klasse durch die fiese Mathelehrerin gemaßregelt worden ist.
Vermeintliche Wende
Genau das ist es, was die Fans der Colchoneros inzwischen auf die Palme bringt, wenn die Sprache auf Thomas Lemar kommt. Startschwierigkeiten oder fehlendes Spielglück, okay, aber dann solle man sich doch bitte wenigstens richtig in die Zweikämpfe hauen – gerade in einer notorischen Arbeitermannschaft wie der von Atlético. Seit seinem Wechsel im Sommer 2018 verweigert Thomas Lemar aber genau das allzu häufig. Er spielt häufig gehemmt, tritt desinteressiert auf und wirkt, als ob er nicht ganz bei der Sache sei. In seiner ersten Saison reichte das trotzdem noch für 31 Einsätze, in denen ihm jedoch lediglich zwei Tore und drei Vorlagen gelangen. Eine magere Ausbeute, gerade in Anbetracht der für ihn bezahlten 70 Millionen Euro, aber vielleicht noch mit Anlaufproblem in der neuen Heimat oder einer kräftezehrenden Spielzeit mit Monaco inklusive anschließender Weltmeisterschaft zu erklären.
Nach diesem Sommer aber hätte es keine Störfaktoren mehr geben sollen. Lemar absolvierte eine verletzungsfreie Vorbereitung und Atléticos Trainer Diego Simeone erklärte noch vor der Saison, im Zuge des Umbruchs seines Teams „definitiv offensiver“ spielen lassen zu wollen. Das System solle sogar vom bevorzugten 4−4−2, in dem der Übungsleiter gerne zentrale Mittelfeldspieler wie Saúl Ñíguez oder Koke auf den Flügeln positioniert, zu einem 4−3−3 transformiert werden. Mehr klassische Flügelspieler statt breiter aufgestellten Sechsern, mehr Offensivpressing statt drögem Ergebnisfußball. Eigentlich genau das, was man als Angreifer gerne von seinem Coach hört.