Saisonendspurt, das bedeutet auch: zittern, bangen, trauern. Unsere Autoren erinnern sich an verpasste Meisterschaften, verpatzte Aufstiege und die Anfänge vom HSV-Ende. Taschentücher raus und ab dafür.
Dresden – Bielefeld, Saison 2013/14 (34. Spieltag)
Wenn man als Fan von Arminia Bielefeld eines gelernt hat, dann dieses: Am Ende zeigt einem das Leben die lange Nase. Die Zweitliga-Saison 2013/14 lieferte dafür wieder mal erstklassiges Anschauungsmaterial. Immerhin: Vor dem letzten Spieltag gedieh ein zartes Pflänzchen Hoffnung, in dessen Muttererde geschrieben stand: Ihr müsst am letzten Spieltag in Dresden gewinnen, dann könnt ihr dem Teufel noch von der Schippe springen.
Nun aber meldete sich unsere Lebenserfahrung höhnisch zu Wort: Wann bitte ist Arminia Bielefeld je am letzten Spieltag dem Teufel noch von der Schippe gesprungen? Wenn sich diesem Verein die Gelegenheit zum Abstieg bittet, dann sagt er gewöhnlich: Wo ist der Teufel? Wo seine Schippe? Und wann darf ich Platz nehmen?
Kein Wunder, dass wir mit einem klammen Gefühl vor dem Fernseher saßen, als unser Klub in Dresden antrat. Wir fühlten uns wie ein Rentner, der seit 40 Jahren die gleichen Lottozahlen abgibt und noch nie was gewonnen hat. Unsere Spieler freilich schienen davon unberührt. Ihr Auftritt war nicht verzagt, sondern selbstbewusst. Sie erspielten sich eine Reihe von Torchancen.
Wir dachten: „Nanu?
Dann flog unser Abwehrchef vor der Pause mit Gelb-Rot vom Platz. „Aha!“, dachten wir. „So läuft das also diesmal mit dem Teufel und seiner Schippe.“
Dann schossen wir mit zehn Mann das 0:1. Dann flog auch ein Dresdner vom Platz. Dann schossen wir das 0:2. Dann bombten die Dresdner Fans das Stadion zu Klump (na ja, fast). Dann wurde das Spiel unterbrochen. Dann ging es weiter und Dresden schoss 20 Sekunden später das 1:2. „Aha!“, dachten wir. „So läuft das also diesmal mit dem Teufel und seiner Schippe.“
Dann schoss Dresden das 2:2. „Aha!“, dachten, ach was, schrien wir unseren Schmerz in die Welt. „Scheiß Teufel! Scheiß Schippe! Immer dasselbe!“
Dann schossen wir das 2:3. „Nanu“, dachten wir. Dann war Schluss.
Und wir, wir saßen ungläubig vor dem Fernseher und kratzten uns ratlos am Kopf: Wie, nicht abgestiegen??? Wir sahen kopfschüttelnd die weinenden Dresdener Spieler und fragten uns: „Kann es sein, dass diesmal wirklich andere die Arschkarte gezogen haben?“ Bis uns einfiel, dass wir gar nicht gerettet, sondern lediglich in der Relegation waren. „Wir sehen uns Freitag in Darmstadt“, sagte der Teufel und grinste.
P.S.: In Darmstadt gewann Arminia Bielefeld mit 3:1, verlor aber das Rückspiel mit 2:4 nach Verlängerung. Abstieg. War klar.
Jens Kirschneck
MSV Duisburg – Dortmund, Saison 1991/1992 (34. Spieltag)
Mein schlimmster wiederkehrender Fußball-Albtraum geht so: Am letzten Spieltag treten wir auswärts an, aber die Partie wird zu einem Heimspiel, weil ziemlich exakt zwei Drittel der Zuschauer unsere Farben tragen. Es sind so viele, weil wir zum ersten Mal seit fast 30 Jahren Meister werden können. Die Chancen sind allerdings nicht die allerbesten, denn punktgleich vor uns liegen gleich zwei Vereine mit einem viel besseren Torverhältnis. In erster Linie geht es also darum, die Mannschaft für eine tolle Saison zu feiern. Prompt gehen wir früh in Führung. Es ist sehr warm, die Sonne scheint – die Stimmung ist sensationell.
Und dann, ganz langsam, kriegen wir trotz der Hitze Gänsehaut. Denn zur Pause sind wir auf einmal Tabellenführer, weil die anderen beiden Klubs nur unentschieden spielen. Nach sechzig Minuten liegen wir immer noch vorne. Als die letzte Viertelstunde anbricht, kommen die Fahnen raus. Wir haben Karten für den Heimblock (der natürlich auch voll mit unseren Leuten ist) und dadurch beste Sicht auf die feiernde Gästekurve. Es ist der tollste Anblick der Welt. Aber noch laufen die Spiele.
„Bei beiden 1:1“
Im Minutenabstand spricht jemand den Fan mit dem Radio an.
„Wie steht’s?“
„Bei beiden 1:1.“
Der Gegner kämpft gegen den Abstieg und wird angetrieben vom Mut der Verzweiflung. Doch obwohl wir weiterhin mit nur einem Tor führen, hat niemand von uns auch nur den geringsten Zweifel, dass wir dieses Spiel gewinnen werden. Im Grunde sind alle mit den Gedanken auf den zwei anderen Plätzen.
„Wie steht’s?“
„Bei beiden 1:1“
Noch zehn Minuten. So fühlt sich das also an, wenn man Meister wird. Fast unwirklich. Noch fünf Minuten.
„Wie steht’s?“
„Bei beiden 1:1.“
Plötzlich erstirbt uns gegenüber der Gesang. Die Fahnen wehen nicht mehr. Zehn, dreißig, fünfzig Leute drehen sich um zu dem Fan mit dem Radio.
„Was ist los? Was ist passiert?“
Der Fan mit dem Radio sieht ihre flehenden und zugleich ängstlichen Blicke. Er sagt nichts.
„Mensch, sprich doch! Was ist los?“
An dieser Stelle wache ich schweißgebadet auf.
Beim ersten Mal ging das leider nicht, denn beim ersten Mal war es kein Traum. Da nahm ich das Radio von der Schulter und sagte tonlos: „Tor für Stuttgart. 86. Minute.“
Uli Hesse