Im Frühjahr 2009 sprengen der SV Werder Bremen und der Hamburger SV die Normalität des Spielplans: Vier Duelle binnen neunzehn Tagen. Tagebuch einer epischen Schlacht.
Das Protokoll der norddeutschen Derbydays erschien erstmals in unserem 11FREUNDE Spezial – Erzrivalen. Lang ist’s her. Heute spielen beide Teams in der zweiten Liga.
ERSTER AKT
22. April 2009, DFB-Pokal, Halbfinale
Es regnet aus dunklem Himmel in Hamburg, natürlich regnet es in Hamburg. Ein Drama wird nicht von Sonne beschienen. Im Mittelkreis singt eine Band: „Wir sind die Könige des Nordens, und es wird alles, wie es einmal war.“ Die Hoffnung, die neunzehn Tage später einen grausamen Tod stirbt, hier wird sie beschworen.
Thomas Schaaf hat in den Tagen zuvor gemahnt, man dürfe nicht den Überblick verlieren, in welchem Wettbewerb man gerade gegen den HSV antrete. Vier Duelle binnen nicht einmal drei Wochen, das hat es so noch nicht gegeben. Hamburgs Marcell Jansen sagt in einem Interview: „Das werden Schlachten.“ Sein Satz wird hell und heller, wie eine Leuchtrakete steigt er auf und taucht den Derbymarathon in gleißendes Licht.
Werder, das damals ein anderes Werder ist als heute, ein Sturm-und-Drang-Werder noch, mit Wiese im Tor, mit Naldo in der Innenverteidigung, mit dem genialischen Diego und dem knospenden Özil, mit Pizarro und Sturmstier Almeida, dieses Werder berennt vom Anpfiff weg das Tor von Frank Rost, als ließe sich der ganze Wahnsinn durch einen frühen Treffer verkürzen. In der elften Minute grätscht Mertesacker einen Abpraller ins Netz. „Wir fahren über Hamburg nach Berlin“ singt der Bremer Block.
Der HSV, der damals ein anderer HSV ist als heute, ein HSV, der um die Meisterschaft kämpft, mit Kraftpaket Demel auf rechts und dem umsichtigen Mathijsen in der Defensive, mit dem nimmermüden Jarolim im Zentrum und Petric vorne, mit Olic, Trochowski, Boateng, dieser HSV kommt wütend aus der Kabine. In der 67. Minute schießt Guy Demel, Olic fährt den Fuß aus, 1:1. Verlängerung.
Rosenberg und Naldo verzweifeln an Rost, der, 35 Jahre alt, ein großartiges Spiel liefert. Aber auf der anderen Seite steht Tim Wiese, nein, mehr als das, er schwillt, pumpt sich auf, zu Überlebensgröße. Von Wiese ist bekannt, dass er an seinen Gegenübern wächst. Jede Parade von Rost kontert er mit einer eigenen. Im Elfmeterschießen pariert Wiese, den sie hier seit einer Kung-Fu-Attacke gegen Olic im Jahr zuvor hassen, drei Versuche. Als sich die Arena schon geleert hat, tollt der Muskelprotz noch brusttrommelnd über den Rasen, berauscht von sich selbst und diesem Moment. Werder Bremen steht im DFB-Pokalfinale.