Vorstadtruine statt Fußballromantik – bei Alemannia Aachen ist zehn Jahre nach dem Aufstieg in die Bundesliga nichts mehr, wie es war.
Alexander Klitzpera steht ganz oben, zu seinen Füßen das Neubaugebiet. „Lage ist gut“, sagt er. Im Südwesten erhebt sich der bewaldete Lousberg auf 264 Meter über den Meeresspiegel, und die Aachener Innenstadt ist auch nur ein paar Minuten entfernt. Man könnte Klitzpera jetzt fast für einen Immobilienmakler halten, der die letzten freien Grundstücke noch an den Mann bringen will.
Begehrte Hanglage, allerdings schwer zu bebauen. Erst recht dieser Hang, der Würselener Wall. Oder das, was nach dem Abriss des Tivolis von ihm geblieben ist: die alten Aufschüttungen der Stehplatztribüne aus Kriegsschutt, Sand und Geröll, spärlich bepflanzt.
Der Würselener Wall ist der letzte Rest vom Tivoli. Links um die Ecke ging es früher weiter zur Haupttribüne. Ungefähr da, wo eine Wurstbude stand, endet der einstige Umlauf an der Abbruchkante. Auf dem ehemaligen Vip-Parkplatz ist ein Supermarkt hochgezogen worden, an der Hauptstraße wird ein Hotel gebaut, daneben steht ein vollverglastes Bürogebäude.
Wie eine Auferstehung
Das eigentliche Stadiongelände in zweiter Reihe hat sich in eine westdeutsche Vorstadtidylle verwandelt: Ein- und Mehrfamilienhäuser, weiß verputzte Wände, vor den Türen Kinderfahrräder und Tretroller, in den Gärten Rutschen und Buddelzeug. Eine der neuen Straßen heißt „An der Haupttribüne“. Handwerker sind noch hier und da zugange, Baustaub liegt in der Luft. An eine Garagenwand hat jemand „Bonzen“ gesprüht.
Es ist noch nicht lange her, da war das hier einer der aufregendsten Orte des deutschen Fußballs. Im April 2006, vor genau zehn Jahren, hat Alemannia Aachen hier den Aufstieg in die Bundesliga gefeiert, am – Achtung: Symbolik! – Osterwochenende. Nach 36 Jahren in der Unterklassigkeit haben sie das damals wirklich wie eine Auferstehung empfunden.
Es war aber auch ein Moment der Ungleichzeitigkeit: In dem Jahr, in dem der Fußball in Deutschland mit der WM im eigenen Land endgültig gesellschaftsfähig wurde, hat sich die Alemannia als Gegenentwurf zum Fifa-zertifizierten Sommermärchen behauptet, als letztes Relikt einer wilden Zeit, in der der Fußball noch ungezähmt war. Im Land der austauschbaren WM-Arenen wurde der marode Tivoli zum Sehnsuchtsort aller Fußballromantiker. Man könnte auch sagen: Alemannia-Fan zu sein, das hat sich damals einfach richtig angefühlt.
„Das war ’ne Hammerzeit“
Der Klub hat in jener Zeit geradezu unglaubliche Geschichten geschrieben. Kurz nach der Jahrtausendwende war er mit 2,8 Millionen Euro Schulden quasi am Ende, die Steuerfahndung wurde regelmäßig in der Geschäftsstelle vorstellig, die Spieler sammelten in der Fußgängerzone Geld für ihren Klub, Jörg Schmadtke bewarb sich auf eine Stellenanzeige im „Kicker“ als Sportdirektor – und wurde genommen.
Was dann folgte, war mindestens genauso unglaublich. 2004 erreichte die Alemannia als Zweitligist das Pokalfinale, im Uefa-Cup schaffte sie es in die Zwischenrunde, und 2006 stieg sie unter Dieter Hecking in die Bundesliga auf. „Das war ’ne Hammerzeit. Die ganze Stadt hat für Alemannia gelebt“, sagt Alexander Klitzpera, der bei all den Erfolgen als Innenverteidiger auf dem Platz gestanden hat.