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Die Sucht, die ver­dammte, fing in Ita­lien an, genauer gesagt: in Pisa. Oliver Bier­hoff war gerade zum AC Mai­land gewech­selt und ich guckte mit meinen Eltern den schiefen Turm an. Der Turm war mir egal. Er war schief, nicht mehr. Was mich fas­zi­nierte war ein Händler, der abseits des Turms im Schatten einer Mar­kise saß. Wahr­schein­lich rauchte er. Neben ihm reihten sich Klei­der­stangen. Darauf hingen dicht an dicht bunte Tri­kots: das Natio­nal­trikot Bra­si­liens, das deut­sche Trikot, ein Leib­chen von Bayern Mün­chen und Lazio Rom. Wäh­rend meine Eltern im Rei­se­führer blät­terten, näherte ich mich dem Mann, der, sobald er mich sah, aus dem Halb­schatten trat, um mich her­bei­zu­winken. Ich ging auf ihn zu. Schritt für Schritt ent­fernte ich mich von meinen Eltern, ohne mich umzu­sehen. Er hatte mich am Haken.

German? Tedesco?“, fragte er. Bevor ich ant­worten konnte, zog der Händler ein Trikot von der Stange und streckte es mir ent­gegen. Rote und schwarze Streifen. Ein ovales Logo und dar­über ein gol­dener Stern. Auf der Brust ein Schriftzug: Opel. Der Händler drehte das Trikot, so als ob nun das ent­schei­dende Kauf­ar­gu­ment folgen würde. Er zeigte mir die Rück­seite: Bier­hoff, die 20. Ich sah ihn am Straf­raum, wie er sich drehte, fast in die Knie ging dabei und schoss: Deutsch­land ist Euro­pa­meister! Ich saß auf der Couch bei Familie Majer, weil wir zuhause keinen Fern­seher hatten. Zwei Jahre war das her. Als ich aus meinen Erin­ne­rungen auf­tauchte, stand mein Vater neben mir und zog ein Schein aus seinem Geld­beutel. Grazie mille“, sagte der Händler. Ich guckte meinen Vater an. Danke Papa.

Blick auf den Bos­porus. Die Rufe des Muez­zins

In Pisa fing die Sucht an. Die Sucht nach gefälschten, bil­ligen Tri­kots. Ich kaufte Tri­kots an ita­lie­ni­schen Stränden, in grie­chi­schen Vor­städten, auf tür­ki­schen Märkten. Vor drei Jahren ver­brachte ich zwei Som­mer­mo­nate in Istanbul. Ich wollte Tür­kisch lernen. Tags­über saß ich in kli­ma­ti­sierten Räumen einer Sprach­schule. Abends, als sich die Stadt abge­kühlt hatte, spielte ich mit Freunden Fuß­ball. Ein Kunst­ra­sen­platz im Flut­licht. Blick auf den Bos­porus. Die Rufe des Muez­zins. Bevor ich mit­spielen konnte, musste ich ein Trikot kaufen, natür­lich.

Ich ging über den Bazar. Es roch nach Gewürzen und ver­branntem Diesel. Ich guckte mich um nach einem Händler, der mir gab, was ich brauchte: ein Stück Stoff; bedruckt, gefälscht, billig. Ich fand ein weißes Trikot von Bes­iktas Istanbul. Auf der Brust ein Schriftzug: cola turka“. Zwei Jahre zuvor hatten Bes­iktas-Fans den Welt­laut­stär­ke­re­kord auf­ge­stellt. 132 Dezibel. Lauter als ein Press­luft­hammer. Lauter als ein Düsenjet. Lauter als ein LKW im Stadt­ver­kehr. 

Der Händler drehte das Trikot, so als ob nun das ent­schei­dende Kauf­ar­gu­ment folgen würde. Del­gado, die 10. Mir fiel nichts ein zu Matías Del­gado. Ich kaufte das Trikot trotzdem. Zwei Monate schwitzte ich es voll. Als ich zurück in Deutsch­land war, legte ich es in den Schrank zu den anderen. Wenn ich es heute raus­hole, dann denke ich an Istanbul. Kunst­ra­sen­platz im Flut­licht. Blick auf den Bos­porus. Die Rufe des Muez­zins. Von der Sucht nach gefälschten Tri­kots bin ich übri­gens geheilt.