1. Mladen Pralija (Foto)
Der Schrecken war groß, als Uli Stein, der durch 1000 Stahlbäder gegangene HSV-Zerberus, im Super-Cup-Finale im Juli 1987 gegen den FC Bayern München Jürgen Wegmann mit einer trockenen Geraden zu Boden streckte. Man rufe sich das apokalyptische Bild noch einmal ins Gedächtnis: Die „Kobra“, die soeben den Ball zum 2:1‑Siegtreffer über die Line gedrückt hatte, lag nun k.o. im Schlamm, und der Schiedsrichter schickte den Wüterich per Express in eine zehnwöchige Sperre und die Vereinslosigkeit.
Doch dieser Schrecken, er wäre wohl noch größer gewesen, wenn die Fans in dieser Stunde schon gewusst hätten, wer nach Steins Suspendierung sein Erbe antreten würde: Mladen Pralija, der so geschmähte wie bemitleidenswerte Seuchenvogel aus Split.
Dass jugoslawische Torhüter zu expressionistischen Alleingängen außerhalb des Strafraums neigen, das wusste die Bundesliga spätestens seit Petar Radenkovic. Doch was Pralija tat, war weniger jugoslawisch als japanisch: Es war Harakiri. Schon bei seinem Einstand am 2. Spieltag der Saison 1987/88 kassierte er sechs Tore gegen die Bayern, vier davon gingen auf seine Kappe. In der Folge verfiel der ohnehin für einen letzten Mann schon arg Nervöse in einen derartigen Übereifer, dass er die eigenen Abwehrspieler – immerhin so abgewichste Vertreter wie Ditmar Jakobs und Manni Kaltz – in größere Angst versetzte als die gegnerischen Stürmer. Er war, soviel war allen Hamburgern bald klar, „der Feind in meinem Tor“.
Da fragt man sich: Wie kann ein solcher Fliegenfänger es überhaupt in die Bundesliga schaffen? Die Antwort ist einfach: Pralija war eigentlich gar keiner. Trainer Josip Skoblar hielt ihn gar für den „besten Torwart Osteuropas“. Doch schon bei jenem 0:6 geriet er in eine Abwärtsspirale, vor der er auch im Privatleben keine Rettung fand. Ohne Familie und ohne einen Brocken Deutsch nach Hamburg gereist, blieb Pralija isoliert und wurde zusehends unglücklicher. Die desaströsen Spiele gegen den KSC (0:4) und Mönchengladbach (2:8) waren schon nur noch Ausdruck einer zerrütteten Sportlerpsyche.
Die bedauerliche Entwicklung – vom Magazin „kicker“ in gewohnt spröder Diktion auf das Prädikat „Flop“ eingedampft – fand am 15. Spieltag ihr Ende. Skoblar, der als Nachfolger Ernst Happels ein noch schwereres Erbe hatte antreten müssen, wurde entlassen. Die erste Amtshandlung des neuen Trainers Willi Reimann war die Degradierung Pralijas, der bald das Weite suchte und mit Skoblar Asyl bei Celik Zenika fand.
Für den HSV stand fortan der Beinahrentner Jupp Koitka zwischen den Pfosten. Doch auch er konnte die Sehnsucht nach Uli Stein nicht wesentlich lindern.
2. Hermann Rülander
Als Ostfriese in Bremen muss man ohnehin ein dickes Fell haben, als ostfriesischer Torhüter beim SV Werder braucht man schon einen Schutzpanzer. Aber als ostfriesischer Torhüter, der die höchste Heimniederlage in der Geschichte des Vereins verschuldet hat, hilft einem gar nichts mehr – Hermann Rülander war verloren.
Dabei witterte der 21-Jährige nach dem Kieferbruch des Stammkeepers Dieter Burdenski die Chance seines Lebens: Gegen Eintracht Frankfurt am 13. Spietag der Saison 1981/82 würde er spielen dürfen. Doch vielleicht atmete er die Bundesligaluft etwas zu tief ein. Völlig übermotiviert und deshalb meistens orientierungslos strauchelte er durch den Strafraum, vier Tore schenkten ihm die Hessen ein, eines schoss er selbst. Ins eigene Gehäuse, versteht sich.
Ob Trainer Otto Rehhagel in der Pause überhaupt noch mit Rülander sprach, ist nicht überliefert. Nach zwei weiteren Gegentoren, beim Stand von 2:7 nahm er ihn vom Platz – die vollendete Schmach.
Zwar bewies der Geprügelte hinterher Steherqualitäten, indem er mutig formulierte: „Ich brauche noch Zeit und Erfahrung. Vielleicht geht es nächstes Mal besser.“ Doch zu diesem nächsten Mal kam es nicht: Burdenskis Kauleiste war verheilt, und zwei Wochen nach dem Waterloo gab Manager Willi Lemke Rülander einen Scheck über 50.000 DM und den Laufpass.
Die späte Rehabilitierung: 1987 stieg er mit dem SV Meppen in die Zweite Bundesliga auf und blieb dort drei Jahre lang Stammkeeper. Und das, obwohl es ein Ostfriese im Emsland nicht unbedingt leichter hat.
3. Olli Isoaho
Wie übertriebener Ehrgeiz und öffentlicher Druck einen Mann in den Abgrund treiben können, zeigt die Geschichte von Olli Isoaho, dem finnischen Tormann in Diensten Arminia Bielefelds: Plötzlich steht ein Könner als Nichtskönner da.
In seiner Heimat war er der unbestritten Beste seines Fachs gewesen. Das mag kein Kunststück sein, doch auch in den WM-Qualifikationsspielen gegen Deutschland hatte er seine Klasse unter Beweis gestellt. In Ostwestfalen sah man das mit wachsendem Interesse, schickte zur Saison 1982/83 den guten alten Wolfgang Kneib in den Ruhestand und verpflichtete den talentierten Volker Diergardt und eben Isoaho.
Zwischen den beiden Kontrahenten entbrannte ein erbitterter Zweikampf um den Platz im Tor. Der Finne war umso entschlossener, ihn für sich zu entscheiden, da viele Journalisten seine Bundesligatauglichkeit angezweifelt hatten. Tatsächlich lief er am ersten Spieltag gegen Leverkusen auf, hielt blitzsauber und parierte sogar einen Elfmeter. Und doch gelang es ihm nicht, eine Lobby aufzubauen. Kaum war er in einer Szene unsicher gewesen, forderte die Presse, Trainer Horst Köppel solle gefälligst Diergardt spielen lassen.
Dann, in einem Moment, in dem der Zweck wohl alle Mittel heiligte, traf Isoaho eine folgenschwere Entscheidung: Aus Angst um seinen hart erkämpften Stammplatz verschwieg er eine schmerzhafte Handverletzung. Naturgemäß ließ er fortan die Bälle fallen wie heiße Kartoffeln, wehrte sie aber mit seiner gesunden Hand tadellos ab. Von außen betrachtet, wurde sein Spiel als ständiger Wechsel zwischen „Welt- und Kreisklasse“ („Kicker“) empfunden.
Doch ein Torwart wird nun einmal zu allererst nach seinen Fehlern beurteilt. „Fliegenfänger“, schallte es alsbald von den Rängen. Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: Am 12. Spieltag, in der Partie gegen Borussia Dortmund, schmerzte die Hand so sehr und war Isoaho schon so verunsichert, dass er in nur einer Halbzeit historische zehn Gegentreffer hinnehmen musste.
Es ehrt Horst Köppel, dass er dem Armen noch vier Spiele Gelegenheit gab, sich zu rehabilitieren. Doch sie wurden, wie eigentlich zu erwarten war, ein Spießrutenlauf. „Das 1:11 war, rückblickend betrachtet, der Knackpunkt meiner Karriere“, resümierte Isoaho später. Da war er, nachdem Arminia ihn in ganz Europa wie Sauerbier feilgeboten hatte, über die eher exotische Station Hongkong schon wieder in den Niederungen des skandinavischen Fußballs angelangt.
Ein schwacher Trost für Isoaho: Er hatte sich, noch lange vor Reck, als erster „Pannen-Olli“ in die Annalen der Bundesliga eingetragen.
4. Peter Endrulat
34. Spieltag der Saison 1977/78, Gladbach – Dortmund 12:0. Ein einsamer Rekord, ein Menetekel für die Borussen – und der traurige Tiefpunkt einer an sich schon traurigen Karriere.
Ach, wäre Peter Endrulat doch bloß auf der Linksverteidiger-Position geblieben, die er bei seinem Heimatverein, der SpVgg Burbach, innehatte! Doch wegen seiner außergewöhnlichen Sprungkraft stellte man ihn ins Tor, und das Unheil, verkleidet als Aufstieg zu höheren Weihen, nahm seinen Lauf: Über die Westfalenauswahl gelangte er zu Schalke 04, zunächst als Nummer 3, später als Vertreter von Norbert Nigbur. Seine Einsätze kann man an einer Hand abzählen, doch wann immer er spielte, bekam er die Hütte voll.
Zumindest fürs Oberhaus schien die Sprungkraft also doch nicht zu auszureichen, Endrulat wechselte zur SpVgg Erkenschwick in die Oberliga. Auch dort blieb er Reservist und hinterließ als Erinnerung nur die Berichte über einen Autounfall. Doch das Unheil dachte sich immer neue Tricks aus: Es engagierte Otto Rehhagel als Lockvogel. Der holte ihn aus unerfindlichen Gründen zu Borussia Dortmund. Dort wartete „Endru“ zwei Jahre lang hinter Horst Bertram darauf, was genau das Unheil denn nun mit ihm vorhaben würde.
Als sich der Stammkeeper vor dem 26. Spieltag verletzte, war es soweit: Schon beim 5:3 gegen Bochum hielt Endrulat „wie eine Wurst“, so Augenzeugen. Dank der einigermaßen intakten Offensive um Stürmerfuchs Manni Burgsmüller war zum Glück noch ein Sieg und am Ende auch der Klassenerhalt herausgesprungen. Das Blöde: Am letzten Spieltag wollten die lästigen Gladbacher unbedingt noch Meister werden – und der Weg zu diesem Ziel konnte nur über das Torverhältnis führen. So stand Endrulat da wie das Kaninchen vor einer ganzen Busladung von Schlangen. Sie bissen zwölfmal zu. 0:12 – das war die höchste Bundesliga-Niederlage aller Zeiten.
Für einen derart oft Gebissenen dauerte Peter Endrulats Karriere erstaunlich lange: Noch im Alter von 41 Jahren stand er für Eintracht Haiger im Endspiel um die Amateurmeisterschaft zwischen den Pfosten. Immer in der Hoffnung, „es käme mal ein anderer, der noch mehr reinkriegen würde.“
5. Heinz Rohloff
Wenn die Zuschauer fordern, er möge durch einen Boxer ersetzt werden, der am Abend zuvor in den Ringstaub geschickt worden ist, dann weiß ein Torhüter, wie es um ihn steht. Nämlich schlecht.
Dabei war Heinz Rohloff nur einer von vielen Untauglichen in der an sich desolaten Mannschaft von Tasmania 1900 Berlin. Da Hertha BSC abgestiegen war und dem DFB die Vorstellung von einer Bundesliga ohne Hauptstadtclub nicht gefiel, war Tasmania als nächstbesserer Verein ins Oberhaus zwangsversetzt worden – um es nach 28 Niederlagen in 34 Spielen als Rekordabsteiger wieder zu verlassen.
Rohloff tanzte dabei mit seinem Leidensgenossen Klaus Basikow das Ballett der Störche im Salat. Einer schlechter als der andere, kamen sie beide auf gleich viele Einsätze. Rohloff aber war es, dem die Ehre zuteil wurde, durch einen Strafstoß von Frankfurts Jürgen Grabowski den 100. Gegentreffer zu kassieren. In seinem Rücken legten die verbliebenen Fans ein goldbekränztes, trauerflorumwehtes Pappschild mit der Aufschrift „100“ nieder. Rohloff trug’s mit Fassung, er selbst hatte ja nur 63 Gegentore hinnehmen müssen.
Dass ihm nach dieser Horror-Spielzeit die Verantwortlichen des aufstrebenden Ajax Amsterdam ein Angebot machten, muss auf einer Verwechslung, einem Witz, Mitleid oder allem gleichzeitig beruhen. Rohloff war realistisch: Er blieb bei Tasmania.