Julius „Jule“ Ludorf ist eine Legende des Ruhrgebietsfußballs. Am Wochenende verstarb der einstige „Wunderstürmer“ der SpVgg Erkenschwick im Alter von 95 Jahren. Für unser Spezialheft „Rivalen an der Ruhr“ traf unser Autor Jule Ludorf 2007 zum letzten großen Interview
Jule Ludorf, Sie gelten als eine der großen Legenden des Ruhrgebiets. Sind Sie dem Fußball dankbar, obwohl man damals noch keine Millionen verdienen konnte?
Natürlich! Ich wurde in einem einfachen Bergarbeiterhaus nahe der Zechenmauer geboren und war der Älteste von sieben Geschwistern. Es war keine schöne Kindheit. Meine Mutter starb 1934 an Tuberkulose, mein Vater war Bergmann auf der Zeche Ewald Fortsetzung hier in Erkenschwick. Oft war er aber arbeitslos. Er war ein Säufer und brutal. „Ich hab dich nicht in die Welt gesetzt, um Fußball zu spielen, sondern um die Familie zu versorgen“, hat er mir gepredigt und mir den Arsch vollgehauen. Als ich zwanzig Jahre alt war, wollte er mich noch einmal verprügeln. Da habe ich zu ihm gesagt: „Papa, pass bloß auf! Du hast mir so oft den Arsch vollgehauen, damit ist jetzt Schluss!“ Trotzdem hat er mir eine runtergehauen. Ich habe nicht zurückgeschlagen, aber ich habe das Haus verlassen und bin nicht mehr zurückgekehrt. Später, als ich schon ein bekannter Fußballer war, kam der Alte an und wollte 200 Mark von mir geliehen haben. Ich streckte ihm die Scheine hin und sagte nur: „Nimm das Geld und geh bloß weg.“
Ihr fußballerisches Talent verschaffte Ihnen Aufstiegschancen.
Ich war aber auch in der Volksschule fleißig und hatte gute Zeugnisse. Auf dem Pütt bekam ich eine Lehrstelle als Schlosser. Das war etwas Besseres, denn ich musste nicht in die Grube. Später hat mich die Zeche zur Sporthochschule nach Köln geschickt. So saß ich zusammen mit Hennes Weisweiler und Willi Jürissen beim Bundestrainer Sepp Herberger auf der Bank. Ich hatte Bammel vor den Anforderungen. Zum Glück habe ich mich mit den Herbergers angefreundet. Frau Herberger habe ich sogar das Fahrradfahren beigebracht. Einen Tag vor der Prüfung habe ich sie gefragt: „Ob ich die Prüfung wohl schaffen werde?“ Sie zwinkerte mit den Augen und antwortete nur: „Jule, Sie werden das schaffen!“ Und ich habe es geschafft. Die anderen nannten mich nur noch „den Radfahrer“! (Lacht.)
Warum reichte es nicht zu einem Länderspiel unter Herberger?
Ich habe ihn in Köln gefragt, warum er mich nicht mehr nominiert hat. Er sagte nur: „Jule, wie alt waren Sie?“ Das sagte alles. 1950, als die Nationalmannschaft wiedergegründet wurde, war ich schon 31 Jahre alt.
Können Sie sich noch an den 14. September 1947 erinnern?
Nicht mehr an das Datum, aber vermutlich war es der erste Spieltag der Oberliga West. Wir mussten mit der SpVgg Erkenschwick bei Alemannia Aachen spielen. Wir fuhren am Tag vorher mit der Straßenbahn nach Recklinghausen und von dort mit dem Zug weiter. Wir übernachteten in einem Luftschutzbunker in der Nähe des Aachener Hauptbahnhofs und gingen am nächsten Tag zu Fuß durch die zerbombte Stadt zum Tivoli, dem Stadion der Alemannia. Wir wussten überhaupt nicht, was uns erwarten würde. Wir gewannen mit 5:0 und waren der erste Tabellenführer der Oberliga West. Als wir mit dem Zug zurückfuhren, kam ein Polizist zu uns und sagte: „Seid ihr die Erkenschwicker? Ich habe euch in Aachen spielen sehen. Jungens, euch gehört der Himmel!“ Und so haben wir uns auf dem Weg zurück nach Erkenschwick dann auch gefühlt.
Was hat die Mannschaft aus dem kleinen Ort im Vest Recklinghausen so stark gemacht?
Wir waren alle auffem Pütt vereinigt. Keiner hat auswärts gespielt oder auswärts gearbeitet – nur Zeche Ewald Fortsetzung. Einer in der Schlosserei t, einer beim Bau, ein anderer in der Verwaltung. Sieben Mann von uns waren in der Grube und kamen da noch schwarz raus. Wenn es zum Training ging, hat der Steiger schon mal ein Auge zugedrückt. Was wir im Bergbau gelernt hatten, wollten wir als Mannschaft auf dem Rasen umsetzen: die Zuverlässigkeit, die Kameradschaft, eben „jeder für jeden“. Wir standen wochenlang vor den großen Mannschaften aus Schalke und Dortmund. „Wir begrüßen die Bergbau-Jünglinge von der SpVgg Erkenschwick“, hieß es in Düsseldorf oder Köln, und wir bekamen schon vor dem Anpfiff Applaus.