Um die vielen deutschtürkischen Talente ist in den vergangenen Jahren ein harter Kampf zwischen dem DFB und der TFF (Türkiye Futbol Federasyonu) entstanden. Yildiray Bastürk könnte bald Europa-Scout der Türkei werden. Wir sprachen mit ihm über die Disziplin von Deutschtürken, die Probleme der Nationalmannschaft und die Trauer um Serdar Tasci.
Yildiray Bastürk, was haben Sie seit Ihrem Karriere-Ende vor zwei Jahren gemacht?
Ich habe geheiratet, bin zwei Mal Vater geworden und habe in der Türkei die Trainer A‑Lizenz erworben. Demnächst möchte ich den Fußballlehrer-Lehrgang machen und als Jugendtrainer arbeiten. Zu Bayer Leverkusen gibt es bereits Kontakt.
Der Leitung des Europa-Büros des türkischen Verbandes ist zurzeit unbesetzt. Lange hat dort der ehemalige Bundesliga-Spieler Erdal Keser nach Talenten mit türkischen Wurzeln gesucht. Das wäre doch wie gemacht für Sie.
Man hat mich schon gefragt, ob ich das Europa-Büro leiten möchte. Dazu müssten aber die Bedingungen stimmen. In der Vergangenheit wurden dort viele Fehler gemacht.
Sie meinen die Konflikte zwischen dem DFB und der TFF bei der Rekrutierung deutsch-türkischer Talente für die Nationalmannschaft?
Matthias Sammer war zu seiner Zeit beim DFB über die Abwerbungsversuche von Erdal Keser bei der U17-Nationalmannschaft ziemlich aufgebracht. Letztendlich ist es aber vor allem für die Jungs ein Problem, wenn die Verbände ständig bei ihnen und ihren Eltern anrufen. Das macht die jungen Spieler verrückt, verdirbt sie gewissermaßen. Ich sage: Die Türkei darf Deutschland nicht als Konkurrent sehen und muss endlich anfangen, mit dem DFB zu kooperieren. Denn eines ist sicher: Der türkische Verband hat ein ernsthaftes Problem mit der Nachwuchsförderung und kann sich sehr glücklich schätzen, dass so viele Deutschtürken die U‑Nationalmannschaften des DFB durchlaufen und dort auf höchstem Niveau ausgebildet werden. Und längst nicht alle davon haben das Zeug, später Leistungsträger der DFB-Elf zu werden. Sie können sich dann immer noch für die Türkei entscheiden.
Sobald ein Spieler in einem Pflichtspiel einmal für eine A‑Nationalmannschaft aufgelaufen ist, gibt es kein zurück mehr. Da liegt es doch nahe, dass sich die Verbände junge Talente erst einmal „sichern“ wollen.
Was aber schnell zum Nachteil der Spieler werden kann. Nehmen Sie das Beispiel Serdar Tasci (Tasci machte bislang 14 Länderspiele, konnte sich aber nicht auf Dauer in der deutschen Nationalmannschaft durchsetzen, d. Red.). Auch bei Ilkay Gündogan, der nach einem durchwachsenen Start in Dortmund für Deutschland nominiert wurde, hatte ich zunächst das Gefühl, der DFB will sich den Spieler sichern. Dass es jetzt so gut läuft, konnte keiner voraussehen.
Nuri Sahin hätte es hingegen bestimmt in Deutschland packen können. Die Chancen, bei einer WM zu spielen, wären ohne Zweifel höher gewesen.
Nuri hat schon mit 16 für die Türkei gespielt. Wenn du als Spieler dann erstmal die türkische Hymne gesungen hast, ist es eigentlich ausgeschlossen, später für ein anderes Land zu spielen. Umgekehrt ist das viel unkomplizierter. Das ist die Chance für den türkischen Verband.
Sie waren über Jahre hinweg immer eine Art großer Bruder für Profis mit türkischen Wurzeln. Was würden Sie einem Talent wie Samed Yesil vom FC Liverpool raten?
Ich würde als Jungnationalspieler schauen, wer da in Deutschland auf meiner Position spielt. Wie viele Spieler sind da noch vor mir? Deutschland hat eine sehr junge Mannschaft, das sollte jedem bewusst sein. Das ist keine leichte Entscheidung und in jedem Fall differenziert zu betrachten.
Wenn sich ein Spieler für die Türkei entscheidet, wird oft mit der viel zitierten „Herzensangelegenheit“ argumentiert. Der Deutschtürke im DFB-Dress besinnt sich hingegen auf die sportliche Perspektive. Wo liegt die Wahrheit?
Es ist klar, dass die Spieler im Zweifel lieber für die erfolgreichere Nationalmannschaft spielen wollen. Ich habe immer gesagt, dass ich nach meinem Herzen gegangen bin. Aber inzwischen hat sich einiges verändert. Als mein Vater damals als Arbeiter nach Herne kam, war klar, dass wir eines Tages wieder in die Türkei zurückkehren würden. Dementsprechend wurde ich als Kind erzogen und geprägt. Ich kann mir jetzt aber nicht mehr vorstellen, in der Türkei zu leben, weil ich in Deutschland geboren bin und mein ganzes Leben hier verbracht habe. Und das werde ich auch so meinen Kindern weitergeben. Für die Türkei wird es deshalb immer schwieriger, Spieler in zweiter, dritter Generation rüberzuholen.
Der deutschen Nationalmannschaft hätte ein Techniker wie Sie in den frühen Nuller-Jahren aber gut zu Gesicht gestanden. Hat der DFB zu spät mit der Einberufung von Deutschtürken angefangen?
Jürgen Klinsmann hat mir später mal gesagt, dass er mich gerne dabei gehabt hätte. Als der DFB sich einmal nach mir erkundigte, war ich bereits Jugendnationalspieler der Türkei. Damals war es noch nicht möglich, den Verband dann noch einmal zu wechseln. Meine Entscheidung habe ich aber nie bereut – ich war 2002 im WM-Halbfinale. Trotzdem hat der DFB nichts verschlafen. Erich Ribbeck hat schon 1999 Mustafa Dogan als ersten Türken nominiert. Und Sie müssen sehen: Bis vor einigen Jahren gab es kaum Deutschtürken, die sich über längere Zeit in der Bundesliga etabliert haben und überhaupt infrage gekommen wären. Nach mir kamen erst wieder die Altintops.
In Deutschland leben ungefähr drei Millionen Deutschtürken. Warum sind so viele von ihnen hoch veranlagte Fußballer?
Zu meiner Zeit bei Wanne-Eickel in den späten Achtziger Jahren haben sehr viele Türken ihre Zeit beim Fußballspielen auf der Straße verbracht. Und was das grundsätzliche Talent betrifft – vor allem Technik und Ballbehandlung – da sind wir Türken in der Welt ganz vorne dabei. Das ist uns in die Wiege gelegt worden.
Wo ist die eigentliche Heimat der Deutschtürken?
Deutschtürken unterscheiden sich in ihrer Einstellung, Sprache und Denkweise deutlich. Der Begriff „Almancilar“ wird oft benutzt. So werden die Türken bezeichnet, die in Deutschland leben. Für die Spieler gibt es dann schon Momente, wo sie sich fragen: Wo gehöre ich jetzt eigentlich hin? Bin ich Türke oder bin ich Deutscher?
Können Sie ein Beispiel nennen?
Ein Deutschtürke wird auf jeden Fall disziplinierter und fleißiger trainieren, als ein Türke, der in der Türkei lebt.
Liegt es auch daran, dass sich kaum ein Türke im europäischen Ausland durchsetzen kann?
In der Türkei werden die Spieler sofort in den Himmel gelobt, wenn sie mal ein paar gute Spiele gemacht haben. Da wird alles für die Spieler gemacht, sie müssen sich um nichts kümmern, sind völlig unselbstständig. Klar, dass es dann zu Schwierigkeiten kommt, wenn sie ins Ausland gehen – und sei es nur, dass sie plötzlich nicht mehr auf der Straße erkannt werden. Es gibt momentan eigentlich nur eine Ausnahme: Arda Turan von Atletico Madrid.
Warum hat die Türkei in der WM-Qualifikation so große Probleme?
Es mangelt schlicht an Qualität. Spieler wie Mehmet Ekici, die in der Bundesliga nur unregelmäßig zum Einsatz kommen, müssen jetzt Verantwortung übernehmen. Und die Klubs verpflichten lieber teure Ausländer wie Didier Drogba oder Wesley Sneijder, als mal ein paar Millionen in die Nachwuchsförderung zu stecken. Da kann sich Deutschland glücklich schätzen. Ganz Europa schaut neidisch auf diese Jugendförderung.
Verraten Sie uns noch, welcher Deutschtürke in den nächsten Jahren für Furore sorgen wird?
Ich halte sehr viel von Emre Can und Bayern München tut gut daran, ihn zu fördern. Bei Samed Yesil muss man abwarten, wie er sich nach seinem Kreuzbandriss bei Liverpool weiter entwickelt. Für den türkischen Verband ist vor allem Dortmunds Koray Günter interessant, denn Innenverteidiger sind rar. Wenn man den türkischen Nationaltrainer heute fragt, wem er am meisten hinterher trauert, wird er Ihnen nicht Mesut Özil oder Ilkay Gündogan nennen. Er würde vom Innenverteidiger Serdar Tasci sprechen.