Wolf­gang Vieten, Frank Jun­ge­mann, nach der WM 2010 bilan­zierten Sie, dass die nega­tive Bericht­erstat­tung über Süd­afrika Ihnen rund 2000 Buchungen gekostet habe. Wie war das in Bra­si­lien?
Wolf­gang Vieten: Die Bericht­erstat­tung war deut­lich fairer. Was aber für Miss­stim­mung sorgte, war die Angst vor Kra­wallen, wie sie beim Confed Cup statt­ge­funden haben. Viele fürch­teten, nicht recht­zeitig zu den Spielen zu kommen, etwa weil der Bus umla­gert oder die Reifen zer­sto­chen würden. Das hat auch uns Kopf­zer­bre­chen bereitet. Aber ver­gli­chen mit der Schwarz­ma­lerei, die es im Vor­feld der WM 2010 gab, war das ein Klacks.

Wie sehr hat Sie das Thema Sicher­heit tan­giert?
Vieten: Wir haben im Vor­feld in Kata­logen, in Internet-Blogs und auf Info-Treffs auf das Sicher­heits­pro­blem hin­ge­wiesen. Manche Kol­legen sagten: Wolf­gang, Du machst ja regel­recht Anti-Stim­mung.“ Aber mir war wichtig, dass nie­mand ängst­lich nach Bra­si­lien reist, sonst ist es besser zuhause zu bleiben.

Ist nun wäh­rend des Tur­niers viel pas­siert?
Vieten: Letzt­lich ist die Rea­lität dem sehr nahe gekommen, was wir vor­aus­ge­sagt haben: Dem Lever­ku­sener Profi Stefan Rein­artz wurden die Schuhe am Strand gestohlen. Einigen Rei­senden wurde der Schmuck vom Hals gerissen oder das Handy aus der Tasche gestohlen. Einem Mit­ar­beiter wurde im Bus die Tasche abge­nommen, einem anderen wollten Räuber Geld abnehmen, aber er kam unge­schoren davon. Alles nicht schön, aber letzt­lich doch zu ver­kraften.

Als Rei­se­ver­an­stalter durften Sie diesmal keine WM-Tickets anbieten. Woran lag das?
Vieten: Wir durften auch bei den WMs 2002 und 2006 keine Tickets ver­kaufen. Die FIFA und ihr ange­schlos­senes Reise- und Ticket­un­ter­nehmen Match“ wissen genau, wo sie unsere Hilfe brau­chen und wo nicht. Bra­si­lien ist ein Land, das die Men­schen bereisen wollen. Hier macht Match“ das Geschäft gern allein. In Süd­afrika hat uns die FIFA hin­gegen gern als Aut­ho­rized Tour Ope­rator genommen, weil es schwierig war, Kunden für das Land zu begeis­tern.

Sie sind mit Ihrem Geschäft also auf die Gunst der FIFA ange­wiesen?
Frank Jun­ge­mann: Wenn sie uns brau­chen – so wie in Süd­afrika – arbeiten sie mit uns, aber wenn sie wissen, dass sie die Tickets ohne uns los­werden, lassen sie uns links liegen. Diesmal brauchten sie nur Agen­turen, die ihnen die teuren VIP-Tickets ver­kaufen. Darauf haben wir aber ver­zichtet.

Ent­zieht das Ihnen als Ver­an­stalter von WM- und EM-Reisen nicht mit­tel­fristig die Geschäfts­grund­lage?
Vieten: In Europa steuern wir auf diese Situa­tion zu. Wir waren gerade bei der UEFA in Nyon. Die fanden unsere Kata­loge der letzten zwanzig Jahre und unsere Pro­gramme wirk­lich toll, weil unsere Reisen sehr fan­ori­en­tiert sind. Aber sie sagten auch: Euer Geschäft ist tot.“

Warum?
Vieten: Sobald ein Cham­pions League Finale oder eine Euro­pa­meis­ter­schaft ver­geben werden, ist das Event gewis­ser­maßen schon aus­ver­kauft. Der nor­male Fuß­ballfan hat keine Chance mehr an Karten her­an­zu­kommen. Als Rei­se­ver­an­stalter kommen wir auch nur noch an die Kate­gorie von VIP-Tickets um die 2000 Euro. Aber das hat nichts mehr mit einem Tur­nier für Fans zu tun, son­dern richtet sich aus­schließ­lich an reiche Leute oder Fir­men­kunden. Wir beide aber sind Fans – und möchten ein Pro­gramm für Leute machen, die so ticken wie wir.

Das Pro­blem mit der Kom­mer­zia­li­sie­rung im Fuß­ball.
Vieten: Die FIFA und die UEFA brau­chen diese Art von Fuß­ball­be­geis­terten nicht mehr, die wir anspre­chen möchten. Jedes Land ver­teilt an seine Fan­klubs zwei‑, drei­tau­send Tickets, damit ein biss­chen Stim­mung ins Sta­dion kommt, der Rest geht an die VIP- und Spon­so­ren­kunden, die sich teil­weise gar nicht richtig für Fuß­ball inter­es­sieren. Diese Ent­wick­lung voll­zieht sich seit über zehn Jahren. Auf dem Weg ins Sta­dion vorm Finale 2002 in Yoko­hama sagte ich im Bus – mehr aus Spaß, weil wir in einen Stau kamen: Ich hoffe, Sie waren alle schon einmal im Sta­dion.“ Darauf hat die Hälfte der Leute ver­neint, fünf meinten sogar, dass sie Fuß­ball hassen.
Jun­ge­mann: Bei der EM 2004 haben Gäste, die die Reise gewonnen hatten, ihre Final­ti­ckets in Lis­sabon ver­fallen lassen, um shoppen zu gehen.
Vieten: Wir können also nur hoffen, dass in Zukunft mög­lichst viele Tur­niere in Län­dern wie Geor­gien oder Aser­bai­dschan statt­finden, weil diese Länder für Rei­sende blöd gesagt so unat­traktiv sind, dass die FIFA dort gern unser Know-How in Anspruch nimmt. Dann sind auch die nor­malen Fans wieder gut genug. Mal sehen, viel­leicht wird das auch in Russ­land und Katar der Fall sein.

In jedem Rei­se­führer heißt es: In Bra­si­lien braucht man sehr viel Geduld. War die Rei­se­pla­nung für Sie hier lang­wie­riger als bei frü­heren Tur­nieren?
Jun­ge­mann: Als wir vor der WM in Deutsch­land Hotel­ver­träge gemacht haben, wurde ver­han­delt, der Ver­trag unter­schrieben und die Sache war erle­digt. In Süd­afrika und Bra­si­lien mussten wir vor dem Ver­han­deln erst einmal ein per­sön­li­ches Ver­hältnis zum Besitzer und zum General Manager auf­bauen, man musste bis zu zehn Mal zu Gesprä­chen anreisen, Kaf­fee­trinken, das war sehr zeit­in­tensiv. Die großen Ket­ten­ho­tels sind alle über die FIFA geblockt, wir mussten also Kon­takt zu kleinen Fami­li­en­be­trieben auf­bauen. Die kennen uns aber nicht und hatten noch nie mit einer WM zu tun. Sie sind also ent­spre­chend skep­tisch.

Was dauert in Bra­si­lien sonst noch länger als bei uns?
Jun­ge­mann: In einem nagel­neuen Hotel in Rio arbeiten zwanzig Leute am Emp­fang, aber keiner weiß genau, wie man mit Roo­ming Listen für große Gruppen umgeht. Ich habe gehört, dass die fran­zö­si­schen Spie­ler­frauen zum Vier­tel­fi­nale ange­reist sind. Der Check-in begann um 14 Uhr und war um 17 Uhr noch nicht abge­schlossen.

Gab es Ver­trags­partner, die Ver­ab­re­dungen nicht ein­ge­halten haben?
Jun­ge­mann: Bei den Hotels hat nach der guten Vor­ar­beit alles geklappt.
Vieten: Wir hatten ein Pro­blem mit unserem Flug zum Ach­tel­fi­nale in Porto Alegre. Nach der Aus­lo­sung ent­schieden wir uns zunächst für Sal­vador als Standort für unsere Gäste – wo Deutsch­land als Grup­pen­zweiter sein Ach­tel­fi­nale gespielt hätte. Dort ist es wesent­lich wärmer und kul­tu­rell reiz­voller. Als sich abzeich­nete, dass Deutsch­land Grup­pen­sieger wird und wir die Gäste nach Porto Alegre chauf­fieren müssen, haben wir Kon­takt zu einem Char­ter­un­ter­nehmen auf­ge­nommen. Nach dem 2:2 gegen Ghana setzte uns die bra­si­lia­ni­sche Air­line plötz­lich die Pis­tole auf die Brust. Wir müssten jetzt sofort buchen, dabei war der Grup­pen­sieg kei­nes­wegs sicher. So haben wir etwas zer­knirscht einen Tag vorm letzten Vor­run­den­match gegen die USA den Ver­trag unter­schrieben. Doch alles ging gut aus, Deutsch­land musste in Porto Alegre ran. Als wir aber auf unser Recht pochten, wurde uns mit­ge­teilt, dass wir den Ver­trag zwar unter­schrieben hätten, die Air­line aber nicht.

Wie ging das aus?
Vieten: Wir mussten ganz neu anfangen und zahlten nun für eine Maschine mit 178 Plätzen das­selbe, was wir vorher für zwei Maschinen mit je 110 Plätzen bezahlt hätten. Am Ende kos­tete der Flug rund 1100 Euro pro Gast, was schon des­halb ein Unding war, weil in Bra­si­lien kein Inlands­flug mehr als 1000 Reals, umge­rechnet 330 Euro, kosten darf. Hinzu kam, dass wir einen Groß­teil der Mit­ar­beiter nicht mit­nehmen konnten und für einige Gäste einen Lini­en­flug zubu­chen mussten. Ich konnte nur mit­reisen, weil zwei Kunden aus gesund­heit­li­chen Gründen zuhause blieben.

Welche All­täg­lich­keiten waren in Bra­si­lien beson­ders ner­ven­auf­rei­bend?
Vieten: Wir hatten oft Pro­bleme mit Bussen. Es kam vor, dass zwei von drei Bussen vor­fuhren, um Gäste abzu­holen, der dritte aber nicht. Als man nach­fragte, hieß es: Der Fahrer ist krank.“ Nie­mand hielt es für nötig, uns zu infor­mieren.

Sie ver­an­stalten seit 1994 zu jedem großen Tur­nier Reisen. War Bra­si­lien die bis­lang kom­pli­zier­teste WM?
Vieten: Der Orga­ni­sa­tion und Ver­läss­lich­keit der Süd­afri­kaner würde ich im Nach­hinein eine Note zwi­schen zwei bis drei geben. Die der Bra­si­lianer eine glatte Fünf.

Glauben Sie, dass es in vier Jahren bei der WM in Russ­land ein­fa­cher für Ihr Unter­nehmen wird?
Jun­ge­mann: Die Orga­ni­sa­tion ist sicher leichter, weil die Men­ta­lität eine andere ist, die Distanzen zwi­schen den Spiel­orten aber sind ein ähn­li­ches Pro­blem wie hier. 
Vieten: Ich bin kein Russ­landfan. Wir könnten es dort mit mafia­ähn­li­chen Struk­turen zu tun bekommen, was die Hotel­si­tua­tion anbe­trifft. In Sot­schi wurden uns Zimmer ver­kauft, die wir letzt­lich nicht in Anspruch nehmen konnten. Mit viel Glück bekamen wir später unsere Anzah­lung zurück. Unsere Gäste haben dann in Istanbul gewohnt und wurden von uns zu den Spielen ein­ge­flogen. Idiotie, aber wirk­lich pas­siert. In so einer Situa­tion kann ich als Rei­se­ver­an­stalter nur sehr schlecht arbeiten.
Jun­ge­mann: Das Risiko, dass man dort mehr ver­liert als gewinnt, ist durchaus gegeben.

Ist es vor­stellbar, dass Sie aus diesen Gründen gar keine Reise zur WM 2018 anbieten?
Vieten: Das kann ich nicht aus­schließen. Ich habe mein ganzes Leben nur Dinge gemacht, die mir Spaß machen. Unsere Mit­ar­beiter, Frank, meine Frau Petra und ich machen diesen Job mit sehr viel Herz­blut. Wir arbeiten in einem sehr fami­liären Klima. Ich habe also keine große Lust, eine Reise zu ver­an­stalten, bei der ich von vorn­herein weiß, dass ich über den Tisch gezogen werde. Dann lieber Golf­reisen für Rentner nach Ari­zona, als eine WM in Russ­land.