Heute Abend spielt der FC Brentford in Wembley gegen Fulham um den Aufstieg in die Premier League. Vater des Erfolgs ist Besitzer Matthew Benham. Der Betreiber einer professionellen Wettfabrik setzt ganz auf die Macht der Zahlen. Wir sprachen mit ihm über die perfekte Fußballwette.
Dieses Interview erschien erstmals im April 2013 in 11FREUNDE #137. Das Heft ist hier bei uns im Shop erhältlich.
Matthew Benham, Sie haben eine Art Wettfabrik mit 80 festangestellten Mitarbeitern. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dass professionelles Fußballwetten ein Geschäft sein könnte?
Ich mochte immer schon Mathematik und Fußball, und um die Jahrtausendwende ergab sich die Möglichkeit, das miteinander zu kombinieren.
Inwiefern?
Vorher konnte man nur zu sehr hohen Preisen bei traditionellen Buchmachern wetten. Außerdem war es nicht möglich, auf einzelne Spiele zu setzen, sondern wie beim Toto nur auf mehrere gleichzeitig. Als sich der asiatische Wettmarkt für Leute aus dem Westen öffnete, waren plötzlich ganz neue Wettformen zu wesentlich straffer kalkulierten Konditionen möglich. Wir etwa wetten vor allem Asian Handicap. Das ist eine Wette, bei der es quasi kein Unentschieden gibt und die daher besser zu berechnen ist.
Das klingt nicht so, als ob es Ihnen ums Zocken ginge?
Oh nein, ich mag das nicht. Ich habe nie aus Spaß gewettet oder um mir die Zeit zu vertreiben. Bei uns geht es um Wahrscheinlichkeitsberechnungen mit Hilfe mathematischer Modelle. Dabei hilft mir mein beruflicher Background. Ich habe in Oxford Physik studiert und war später Derivatehändler in der Londoner City – übrigens auch für die Deutsche Bank.
Gegen wen wetten Sie eigentlich, sind die Buchmacher Ihre Wettbewerber?
Nein, so darf man sich das nicht vorstellen. Wetten sind ein Markt, auf dem sich die Kurse ständig verändern. Wir versuchen, Marktschwächen zu finden und zu nutzen.
Sie haben Ihr Unternehmen 2004 gegründet, wie schnell war es profitabel?
Schon nach ein paar Monaten, damals war der Wettmarkt noch sehr ineffizient.
Was wäre denn Ihr wichtigster Rat für Hobbywetter, die ihre Chancen verbessern möchten?
Am allerwichtigsten ist: Man muss Aufzeichnungen von seinen Wetten machen!
Warum?
Wenn man das nicht tut, erinnert man sich nur an die Fälle, in denen man richtig gelegen hat. Oder man redet sich darauf hinaus, dass man einfach nur Pech hatte.
Wir neigen dazu, uns selbst zu täuschen?
Und zwar ganz entscheidend. Deshalb würde ich auch jedem, der systematisch wetten möchte, eines meiner absoluten Lieblingsbücher empfehlen: „Schnelles Denken, langsames Denken“ von Daniel Kahnemann. Ein Kapitel darin heißt „Die Illusion der Gültigkeit“ und erklärt sehr genau, wie lächerlich überoptimistisch Menschen im Bezug auf ihre Voraussagefähigkeit sind. Selbst bei höchst fadenscheinigen Belegen ziehen wir voller Überzeugung unsere Schlussfolgerungen. Wir mögen nämlich keine Zweifel. Das ist auch der Grund dafür, weshalb selbst bei Experten, etwa auf den Finanzmärkten, die Quote richtiger Voraussagen im Schnitt nicht weit von einer puren Zufallsverteilung entfernt ist.
Also sollte man beim Wetten sein Bauchgefühl durch etwas Systematisches ersetzen?
Genau. Im Kapitel „Intuitionen und Formeln“ belegt Kahnemann, dass selbst Experten mit langjähriger Erfahrung bei Voraussagen schlechter abschneiden als eine äußerst simple Formel. Ein berühmtes Beispiel dafür ist, ob eine Paarbeziehung halten wird. Auf der einen Seite befragte ein Psychologe die Paare ausführlich und erhob auch darüber hinaus eine Menge Informationen über deren Zusammenleben. Auf der anderen schaute man nur, wie oft die Paare in der Woche Sex haben minus wie oft sie miteinander streiten. Diese simple Formel war sehr viel besser als das, was der Psychologe voraussagte. Deshalb sagen wir auch nie, dass Manchester United das Spiel gewinnen wird, sondern: „Meine beste Schätzung ist die, dass Manchester United eine 55-prozentige Siegchance hat.“
Sollten sich Hobbywetter ihr eigenes Wettmodell basteln?
Warum denn nicht? Im Internet gibt es genug Vorlagen dafür, mit denen man anfangen und sie für seine Zwecke umwandeln kann.
Dann stellt sich aber die Frage, welche Informationen man dort einrechnet. Klassische Wettvorschauen etwa geben immer an, wie Teams in den letzten Jahren gegeneinander gespielt haben. Interessiert Sie das?
Serien sind tendenziell viel häufiger Zufall, als die meisten Leute denken. Wir nennen das „Störgeräusch“ im Gegensatz zum „Signal“, auf das wir hören sollten. Nehmen wir die Elfmeterschießen von England und Deutschland. England hat sechs von sieben verloren und das englische U21-Team noch weitere zwei von zwei. Deutschland hat, abgesehen vom EM-Finale 1976 gegen die Tschechoslowakei, alle Elfmeterschießen bei großen Turnieren gewonnen. Aber wenn Spiele wie früher durch Münzwurf entschieden worden wären, gäbe es möglicherweise ganz ähnliche Serien. Wir würden dann aber keine Geschichten über deutsche Effektivität erzählen oder wie sich im Elfmeterschießen der Nationalcharakter zeigt. Ich würde beim nächsten Elfmeterschießen zwischen England und Deutschland zwar nicht von einer 50:50-Chance ausgehen, aber doch sehr nah dran.