André Hahn, seit dem 1. Juli stehen Sie bei Borussia Mön­chen­glad­bach unter Ver­trag. Den Wechsel vom FC Augs­burg an den Nie­der­rhein bezeich­neten Sie als nächsten Schritt“. Was sind die Unter­schiede zwi­schen beiden Klubs?
In Glad­bach ist alles zwei Num­mern größer. Das Umfeld, das Sta­dion, die Zahl der Mit­ar­beiter, die Anzahl der Zuschauer. Es ist schon ein Unter­schied, ob zehn Leute zu einer Trai­nings­ein­heit kommen oder 200. Dass sich Fans extra Urlaub nehmen, nur um das Trai­ning zu besu­chen, das kannte ich aus Augs­burg nicht. Aus­schlag­ge­bend war für mich aber vor allem die gute sport­liche Per­spek­tive.

Wie unter­scheidet sich denn die Spiel­weise der Borussia von der des FC Augs­burg?
Beim FCA sind wir sehr viel über den Kampf und den Team­geist gekommen. Das hat gerade in der letzten Saison per­fekt gepasst. Bei Borussia wird hin­gegen viel mehr Wert auf das Spie­le­ri­sche gelegt. Die Kon­trolle der Partie spielt eine viel grö­ßere Rolle.

Sie sind sehr kampf­stark, kommen außerdem über Ihre Schnel­lig­keit. Passen Sie über­haupt ins tak­tisch und tech­nisch geprägte System von Lucien Favre?
Ich weiß, dass ich genau auf diesen Fel­dern noch nicht per­fekt bin. Das war aber einer der Gründe, warum ich zu Borussia gewech­selt bin. Lucien Favre lässt tech­nisch und tak­tisch unheim­lich intensiv trai­nieren, das kann mir nur helfen.

Favre gilt als För­derer junger Talente, aber auch als sehr peni­bler Trainer. Wel­chen Ein­druck haben Sie von ihm?
Er ist ein akri­bi­scher Arbeiter, der sehr viel und genau erklärt. Macht ein Spieler einen Fehler, nimmt er ihn zur Seite und erklärt ihm seine Vor­stel­lungen an der Tak­tik­tafel oder später bei der Video­ana­lyse. Den Spaß an seiner Arbeit merkt man unserem Trainer jeden­falls an.

In Augs­burg kamen Sie meist über den rechten Flügel. Wo sehen Sie sich in Glad­bach?
Ich kann auf beiden Außen­po­si­tionen oder auch in der Spitze spielen und glaube, dass ich dadurch viel Fle­xi­bi­lität ins Offen­siv­spiel bringe. In der Vor­be­rei­tung habe ich bis­lang meist rechts gespielt, auch wenn ich wäh­rend der Spiele oft mit Ibrahima Traoré die Seiten getauscht habe. Eigent­lich ist mir aber egal, wo ich spiele. Die Haupt­sache ist, dass ich auf dem Platz stehe.

Das klingt sehr selbst­be­wusst. Ihren Körper ziert der Spruch Lieber ste­hend sterben als kniend leben“…
…was übri­gens in keiner Weise auf die Lied­zeile der Böhsen Onkelz“ bezogen ist – das möchte ich gleich klar­stellen.

Trotzdem: Was bedeutet Ihnen dieses Tattoo?
Ich habe den Spruch mal irgendwo auf­ge­schnappt und fand ihn so gut, dass ich ihn mir habe ste­chen lassen.

Ist er die pas­sende Beschrei­bung für den Ver­lauf Ihrer Kar­riere?
Auf jeden Fall. Vor ein paar Jahren hätte wohl nie­mand damit gerechnet, dass ich jemals in der Bun­des­liga spielen werde. Ich habe aber nie auf­ge­geben und mich immer voll rein gehauen. Das Tattoo passt per­fekt zu mir.
2008 ver­pflich­tete Sie der Ham­burger SV. Sie standen vor dem großen Durch­bruch, kamen aber nur in der zweiten Mann­schaft zum Ein­satz. Zwei Jahre später hieß es, Sie dürften gehen. Ein Nacken­schlag?
Der HSV wollte eigent­lich mit mir ver­län­gern. Aller­dings gab es damals keinen Sport­di­rektor. Urs Sie­gen­thaler sollte zwar vom DFB kommen, der Deal zog sich aber in die Länge. Ich habe gewartet und mich darauf ver­lassen, dass da noch etwas kommt. Eines Tages hieß es dann plötz­lich, es werde kein aus­lau­fender Ver­trag ver­län­gert. Also stand ich ohne Verein da.

Nach kurzer Suche wech­selten sie doch noch – in die vierte Liga, zum FC Ober­neu­land.
Sport­lich war das eine super Zeit, weil ich end­lich wieder kicken konnte. Ich kam vom HSV, war trotz meiner 20 Jahre einer der Füh­rungs­spieler. Das Leben abseits des Platzes war aber nicht so rosig. Wir lebten in Wohn­ge­mein­schaften, bekamen nur wenig Gehalt und mussten uns irgendwie durch­schlagen.

Haben Sie sich wegen des Geld­man­gels tat­säch­lich wochen­lang nur von Fer­tig­pizzen ernährt?
Die Gehälter kamen nicht voll­ständig, es gab immer nur kleine Anzah­lungen. Davon mussten wir unsere Ver­si­che­rungen und die Sprit­kosten zahlen. Wir haben einen Wochen­plan auf­ge­stellt, wer noch wie viel Sprit hat und sind mit fünf oder sechs Jungs in einem Auto zum Trai­ning gekurvt. Anschlie­ßend ging es in den Super­markt, wo wir uns die güns­tigsten Wasser-Pakete und eben Fer­tig­pizzen gekauft haben.

Wie lange haben Sie das mit­ge­macht?
Im Winter habe ich gekün­digt, ich konnte nicht mehr.

Sie hatten bereits eine Aus­bil­dung zum Auto­la­ckierer abge­schlossen. Haben Sie über­haupt noch an den fuß­bal­le­ri­schen Durch­bruch geglaubt?
Nicht wirk­lich. Ich habe bereits Pläne für die Zeit ohne Fuß­ball geschmiedet. Als Auto­la­ckierer wollte ich aber nicht unbe­dingt arbeiten. Mein Vater bot mir einen Job in seinem Ver­si­che­rungs­büro an. Ich habe zuge­stimmt, auch weil ich mir nichts vor­ma­chen wollte: Mit einem kleinen Regio­nal­liga-Gehalt wäre ich nicht über die Runden gekommen. Ich hätte ver­mut­lich ein paar Jahre gespielt und dann ohne beruf­li­chen Plan dage­standen. Das war mir zu ris­kant.

Ihr Glück war der Dritt­li­gist TuS Koblenz, zu dem Sie 2011 wech­selten. Ein halbes Jahr später ging es zum Liga­ri­valen Kickers Offen­bach. Haben Sie selbst mit diesem Come­back gerechnet?
Im Rück­blick musste ich mich tat­säch­lich ab und zu kneifen. Mitt­ler­weile habe ich aber rea­li­siert, dass ich wohl eine sehr unge­wöhn­liche Kar­riere hin­ge­legt habe.

Eine Kar­riere mit Höhen und Tiefen. Können Sie Ihren Beruf mehr wert­schätzen als andere junge Spieler?
Für mich ist es nicht selbst­ver­ständ­lich, in der Bun­des­liga zu spielen. Früher saß ich nach einem nor­malen Arbeitstag vor der Sport­schau und habe mir gedacht: ›Da willst du mal hin.‹ Ich glaube schon, dass ich einen anderen Blick auf die Bun­des­liga habe.

Seit dem Winter 2013 spielen Sie nun in der ersten Liga. Damals klopfte der abstiegs­be­drohte FC Augs­burg an. Wie kam der Kon­takt zustande?
Wir sind mit Offen­bach im DFB-Pokal sehr weit gekommen, haben Fürth, Union Berlin und auch For­tuna Düs­sel­dorf aus­ge­schaltet. Stefan Reuter hat mir später einmal gesagt, ich hätte den Verein mit den Spielen im DFB-Pokal end­gültig über­zeugt. Eines Tages saß ich nach dem Trai­ning im Auto, als das Telefon klin­gelte. Ich war der festen Über­zeu­gung, dass Reuter mich erst für den Sommer ver­pflichten wollte. Augs­burg stand damals mit neun Punkten auf dem letzten Tabel­len­platz, ich habe geglaubt, sie planen bereits für die kom­mende Zweit­liga-Saison.

Bis Reuter Ihnen sagte, er wolle Sie sofort ver­pflichten.
Das habe ich zunächst gar nicht rea­li­siert. Ich habe mich freund­lich für das Inter­esse bedankt und gesagt, ich würde mit meinem Vater in den kom­menden Wochen über das Angebot spre­chen. Stefan Reuter bat mich, das doch bitte sofort zu tun, weil er mich gerne noch im Winter holen würde. Ich habe erst einmal geschluckt und sofort meinen Vater ange­rufen. Wenige Tage später stand ich in Augs­burg unter Ver­trag.

Sie spielten ein­ein­halb Jahre über­ra­gend und wurden zum ersten Augs­burger Natio­nal­spieler seit Helmut Haller.
Wir hielten sen­sa­tio­nell die Klasse und spielten auch in der nächsten Saison sehr kon­stant. Eines Abends Ende Februar fuhr ich wieder im Auto vom Trai­ning nach Hause, wieder kam ein Anruf. Hansi Flick mel­dete sich und lud mich zum Test­spiel der Natio­nal­mann­schaft gegen Chile ein. Ich habe zuerst gedacht, ich werde ver­äp­pelt und habe nur ver­legen geant­wortet. Rea­li­siert habe ich die Sache erst, als auch Stefan Reuter und Markus Wein­zierl anriefen und gra­tu­lierten.

Im Sommer durften Sie sogar mit ins erste WM-Trai­nings­lager. Wie haben Sie sich gefühlt, als klar war, dass Sie nicht im end­gül­tigen WM-Kader stehen?
Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass das nicht weh tat. Die Ent­schei­dung hat schon ein paar Tage an mir genagt. Wenn ich meinen Wer­de­gang betrachte, durfte ich aber froh sein, dass ich über­haupt zum vor­läu­figen Kader zählte.

Wie haben Sie die Welt­meis­ter­schaft und den deut­schen Titel­ge­winn ver­folgt?
Wäh­rend der ersten WM-Par­tien war ich noch im Urlaub. Dort konnte ich die Spiele aber auch sehen. Anschlie­ßend habe ich ent­weder auf der Couch oder mit der Nach­bar­schaft und einigen Kum­pels beim Public Vie­wing geschaut.

Hatten Sie denn auch noch Kon­takt nach Bra­si­lien?
Ich habe zwar einige Num­mern, den Jungs aber nicht geschrieben. Die haben so viele Nach­richten bekommen, da wollte ich nicht auch noch nerven. Im End­ef­fekt bin ich ein­fach nur froh, dass sie es gepackt haben.

André Hahn, in drei Wochen folgt das nächste Kapitel ihrer Kar­riere. Sie werden mit Borussia Mön­chen­glad­bach in der Europa League antreten.
Ich freue mich riesig darauf, mein Können auf der inter­na­tio­nalen Bühne zu prä­sen­tieren. In Liga, Pokal und Euro­pa­pokal anzu­treten, das ist ein Traum. Ich werde alles dafür geben, so viele Spiele wie mög­lich machen zu dürfen.

Und dann klappt es auch wieder mit der Natio­nalelf?
Wäh­rend der WM-Vor­be­rei­tung habe ich jeden­falls Blut geleckt. Wenn ich meine Leis­tung bringe, werde ich bestimmt wieder die Chance erhalten. Über eine Ein­la­dung würde ich mich jeden­falls nicht beschweren...