Vor dreieinhalb Jahren stand André Hahn vor dem Karriere-Aus, im Sommer wechselte er nun zu Borussia Mönchengladbach. Kaum jemand hatte mit dem rasanten Aufstieg des 23-Jährigen gerechnet. Hier erklärt Hahn seinen Höhenflug.
André Hahn, seit dem 1. Juli stehen Sie bei Borussia Mönchengladbach unter Vertrag. Den Wechsel vom FC Augsburg an den Niederrhein bezeichneten Sie als „nächsten Schritt“. Was sind die Unterschiede zwischen beiden Klubs?
In Gladbach ist alles zwei Nummern größer. Das Umfeld, das Stadion, die Zahl der Mitarbeiter, die Anzahl der Zuschauer. Es ist schon ein Unterschied, ob zehn Leute zu einer Trainingseinheit kommen oder 200. Dass sich Fans extra Urlaub nehmen, nur um das Training zu besuchen, das kannte ich aus Augsburg nicht. Ausschlaggebend war für mich aber vor allem die gute sportliche Perspektive.
Wie unterscheidet sich denn die Spielweise der Borussia von der des FC Augsburg?
Beim FCA sind wir sehr viel über den Kampf und den Teamgeist gekommen. Das hat gerade in der letzten Saison perfekt gepasst. Bei Borussia wird hingegen viel mehr Wert auf das Spielerische gelegt. Die Kontrolle der Partie spielt eine viel größere Rolle.
Sie sind sehr kampfstark, kommen außerdem über Ihre Schnelligkeit. Passen Sie überhaupt ins taktisch und technisch geprägte System von Lucien Favre?
Ich weiß, dass ich genau auf diesen Feldern noch nicht perfekt bin. Das war aber einer der Gründe, warum ich zu Borussia gewechselt bin. Lucien Favre lässt technisch und taktisch unheimlich intensiv trainieren, das kann mir nur helfen.
Favre gilt als Förderer junger Talente, aber auch als sehr penibler Trainer. Welchen Eindruck haben Sie von ihm?
Er ist ein akribischer Arbeiter, der sehr viel und genau erklärt. Macht ein Spieler einen Fehler, nimmt er ihn zur Seite und erklärt ihm seine Vorstellungen an der Taktiktafel oder später bei der Videoanalyse. Den Spaß an seiner Arbeit merkt man unserem Trainer jedenfalls an.
In Augsburg kamen Sie meist über den rechten Flügel. Wo sehen Sie sich in Gladbach?
Ich kann auf beiden Außenpositionen oder auch in der Spitze spielen und glaube, dass ich dadurch viel Flexibilität ins Offensivspiel bringe. In der Vorbereitung habe ich bislang meist rechts gespielt, auch wenn ich während der Spiele oft mit Ibrahima Traoré die Seiten getauscht habe. Eigentlich ist mir aber egal, wo ich spiele. Die Hauptsache ist, dass ich auf dem Platz stehe.
Das klingt sehr selbstbewusst. Ihren Körper ziert der Spruch „Lieber stehend sterben als kniend leben“…
…was übrigens in keiner Weise auf die Liedzeile der „Böhsen Onkelz“ bezogen ist – das möchte ich gleich klarstellen.
Trotzdem: Was bedeutet Ihnen dieses Tattoo?
Ich habe den Spruch mal irgendwo aufgeschnappt und fand ihn so gut, dass ich ihn mir habe stechen lassen.
Ist er die passende Beschreibung für den Verlauf Ihrer Karriere?
Auf jeden Fall. Vor ein paar Jahren hätte wohl niemand damit gerechnet, dass ich jemals in der Bundesliga spielen werde. Ich habe aber nie aufgegeben und mich immer voll rein gehauen. Das Tattoo passt perfekt zu mir.
2008 verpflichtete Sie der Hamburger SV. Sie standen vor dem großen Durchbruch, kamen aber nur in der zweiten Mannschaft zum Einsatz. Zwei Jahre später hieß es, Sie dürften gehen. Ein Nackenschlag?
Der HSV wollte eigentlich mit mir verlängern. Allerdings gab es damals keinen Sportdirektor. Urs Siegenthaler sollte zwar vom DFB kommen, der Deal zog sich aber in die Länge. Ich habe gewartet und mich darauf verlassen, dass da noch etwas kommt. Eines Tages hieß es dann plötzlich, es werde kein auslaufender Vertrag verlängert. Also stand ich ohne Verein da.
Nach kurzer Suche wechselten sie doch noch – in die vierte Liga, zum FC Oberneuland.
Sportlich war das eine super Zeit, weil ich endlich wieder kicken konnte. Ich kam vom HSV, war trotz meiner 20 Jahre einer der Führungsspieler. Das Leben abseits des Platzes war aber nicht so rosig. Wir lebten in Wohngemeinschaften, bekamen nur wenig Gehalt und mussten uns irgendwie durchschlagen.
Haben Sie sich wegen des Geldmangels tatsächlich wochenlang nur von Fertigpizzen ernährt?
Die Gehälter kamen nicht vollständig, es gab immer nur kleine Anzahlungen. Davon mussten wir unsere Versicherungen und die Spritkosten zahlen. Wir haben einen Wochenplan aufgestellt, wer noch wie viel Sprit hat und sind mit fünf oder sechs Jungs in einem Auto zum Training gekurvt. Anschließend ging es in den Supermarkt, wo wir uns die günstigsten Wasser-Pakete und eben Fertigpizzen gekauft haben.
Wie lange haben Sie das mitgemacht?
Im Winter habe ich gekündigt, ich konnte nicht mehr.
Sie hatten bereits eine Ausbildung zum Autolackierer abgeschlossen. Haben Sie überhaupt noch an den fußballerischen Durchbruch geglaubt?
Nicht wirklich. Ich habe bereits Pläne für die Zeit ohne Fußball geschmiedet. Als Autolackierer wollte ich aber nicht unbedingt arbeiten. Mein Vater bot mir einen Job in seinem Versicherungsbüro an. Ich habe zugestimmt, auch weil ich mir nichts vormachen wollte: Mit einem kleinen Regionalliga-Gehalt wäre ich nicht über die Runden gekommen. Ich hätte vermutlich ein paar Jahre gespielt und dann ohne beruflichen Plan dagestanden. Das war mir zu riskant.
Ihr Glück war der Drittligist TuS Koblenz, zu dem Sie 2011 wechselten. Ein halbes Jahr später ging es zum Ligarivalen Kickers Offenbach. Haben Sie selbst mit diesem Comeback gerechnet?
Im Rückblick musste ich mich tatsächlich ab und zu kneifen. Mittlerweile habe ich aber realisiert, dass ich wohl eine sehr ungewöhnliche Karriere hingelegt habe.
Eine Karriere mit Höhen und Tiefen. Können Sie Ihren Beruf mehr wertschätzen als andere junge Spieler?
Für mich ist es nicht selbstverständlich, in der Bundesliga zu spielen. Früher saß ich nach einem normalen Arbeitstag vor der Sportschau und habe mir gedacht: ›Da willst du mal hin.‹ Ich glaube schon, dass ich einen anderen Blick auf die Bundesliga habe.
Seit dem Winter 2013 spielen Sie nun in der ersten Liga. Damals klopfte der abstiegsbedrohte FC Augsburg an. Wie kam der Kontakt zustande?
Wir sind mit Offenbach im DFB-Pokal sehr weit gekommen, haben Fürth, Union Berlin und auch Fortuna Düsseldorf ausgeschaltet. Stefan Reuter hat mir später einmal gesagt, ich hätte den Verein mit den Spielen im DFB-Pokal endgültig überzeugt. Eines Tages saß ich nach dem Training im Auto, als das Telefon klingelte. Ich war der festen Überzeugung, dass Reuter mich erst für den Sommer verpflichten wollte. Augsburg stand damals mit neun Punkten auf dem letzten Tabellenplatz, ich habe geglaubt, sie planen bereits für die kommende Zweitliga-Saison.
Bis Reuter Ihnen sagte, er wolle Sie sofort verpflichten.
Das habe ich zunächst gar nicht realisiert. Ich habe mich freundlich für das Interesse bedankt und gesagt, ich würde mit meinem Vater in den kommenden Wochen über das Angebot sprechen. Stefan Reuter bat mich, das doch bitte sofort zu tun, weil er mich gerne noch im Winter holen würde. Ich habe erst einmal geschluckt und sofort meinen Vater angerufen. Wenige Tage später stand ich in Augsburg unter Vertrag.
Sie spielten eineinhalb Jahre überragend und wurden zum ersten Augsburger Nationalspieler seit Helmut Haller.
Wir hielten sensationell die Klasse und spielten auch in der nächsten Saison sehr konstant. Eines Abends Ende Februar fuhr ich wieder im Auto vom Training nach Hause, wieder kam ein Anruf. Hansi Flick meldete sich und lud mich zum Testspiel der Nationalmannschaft gegen Chile ein. Ich habe zuerst gedacht, ich werde veräppelt und habe nur verlegen geantwortet. Realisiert habe ich die Sache erst, als auch Stefan Reuter und Markus Weinzierl anriefen und gratulierten.
Im Sommer durften Sie sogar mit ins erste WM-Trainingslager. Wie haben Sie sich gefühlt, als klar war, dass Sie nicht im endgültigen WM-Kader stehen?
Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass das nicht weh tat. Die Entscheidung hat schon ein paar Tage an mir genagt. Wenn ich meinen Werdegang betrachte, durfte ich aber froh sein, dass ich überhaupt zum vorläufigen Kader zählte.
Wie haben Sie die Weltmeisterschaft und den deutschen Titelgewinn verfolgt?
Während der ersten WM-Partien war ich noch im Urlaub. Dort konnte ich die Spiele aber auch sehen. Anschließend habe ich entweder auf der Couch oder mit der Nachbarschaft und einigen Kumpels beim Public Viewing geschaut.
Hatten Sie denn auch noch Kontakt nach Brasilien?
Ich habe zwar einige Nummern, den Jungs aber nicht geschrieben. Die haben so viele Nachrichten bekommen, da wollte ich nicht auch noch nerven. Im Endeffekt bin ich einfach nur froh, dass sie es gepackt haben.
André Hahn, in drei Wochen folgt das nächste Kapitel ihrer Karriere. Sie werden mit Borussia Mönchengladbach in der Europa League antreten.
Ich freue mich riesig darauf, mein Können auf der internationalen Bühne zu präsentieren. In Liga, Pokal und Europapokal anzutreten, das ist ein Traum. Ich werde alles dafür geben, so viele Spiele wie möglich machen zu dürfen.
Und dann klappt es auch wieder mit der Nationalelf?
Während der WM-Vorbereitung habe ich jedenfalls Blut geleckt. Wenn ich meine Leistung bringe, werde ich bestimmt wieder die Chance erhalten. Über eine Einladung würde ich mich jedenfalls nicht beschweren...